Was wir aus dem WEF und wer folgt auf Klaus Schwab?

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Drei Wochen nach dem großen Knall ist man beim Weltwirtschaftsforum bemüht, den Eindruck von „Business as usual“ zu erwecken: Seht her, die Geschäfte laufen auch nach der Trennung von Übervater Klaus Schwab weiter, lautet die Botschaft. Doch normal ist zurzeit wenig hinter der schönen Fassade in der Zentrale am Genfer See, seit am Ostermontag Schwabs plötzlicher Rückzug als Vorsitzender des Stiftungsrats bekannt gegeben worden ist.

Am Vortag hatte das Gremium das Rücktrittsangebot des 87 Jahre alten Gründers angenommen, so die offizielle Lesart. In Wahrheit kam der Schritt einem Rauswurf gleich. Seitdem beherrscht der plötzliche Abgang des Übervaters die Organisation. Einige empfinden den Schritt als Aufbruch in neue Zeiten, andere sind schockiert über die Art und Weise, wie man mit Schwab umgesprungen ist. „Man hat ihn vor den Bus gestoßen“, heißt es gegenüber der F.A.Z.

Am 16. April hatte das Board eine anonyme E-Mail erhalten, in der schwere Anschuldigungen gegen Schwab erhoben wurden. Die amerikanische Wirtschaftszeitung „The Wall Street Journal“ hatte über den Inhalt der Nachricht berichtet, die ansonsten bislang kaum jemand gesehen hat. Das Forum hat die Existenz der E-Mail und ihre Inhalte jedoch bestätigt.

Es geht um finanzielle Verfehlungen und mehr

Es geht darin unter anderem um finanzielle Verfehlungen. So soll Schwab Mitarbeiter instruiert haben, an Geldautomaten Tausende von Dollar abzuheben von Konten der Stiftung, außerdem sollen private Massagen aus Stiftungsmitteln bezahlt worden sein und Schwabs Ehefrau luxuriöse Reisen auf Kosten der Organisation gemacht haben. Zudem gab es Vorwürfe wegen Schwabs Umgang mit Personal und mit Vorwürfen wegen sexueller Belästigung innerhalb des „WEF“, wie es in der Schweiz nur genannt wird.

Schwab reagierte auf den Bruch vom Osterwochenende mit einer verbitterten Stellungnahme auf die „bösartigen“ Vorwürfe und zeigte sich tief enttäuscht von der Reaktion der Ratsmitglieder um seinen Stellvertreter Peter Brabeck-Letma­the, die ihn zum Rücktritt gedrängt haben sollen, anstatt ihn im Sinne der Unschuldsvermutung zu stützen. Die Vorwürfe weist er entschieden zurück. Der Stiftungsrat beschloss hingegen einstimmig, die Vorwürfe des Whistleblowers durch eine unabhängige Untersuchung der Schweizer Anwaltskanzlei Homburger AG aufarbeiten zu lassen.

Ein bitterer Abschied für den Mann, der die heutige Multimillionen-Stiftung vor mehr als einem halben Jahrhundert aus der Taufe gehoben hat. Der aus Ravensburg stammende Maschinenbauer und Managementprofessor rief 1971 ein Treffen für Manager ins Leben, das zunächst dem Austausch und der Weiterbildung diente. Mittlerweile ist das Jahrestreffen im Alpenort Davos zu einem einzigartigen Treffpunkt der Mächtigen aus Politik und Wirtschaft geworden, welches die kleine Schweiz zum Jahresauftakt regelmäßig in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt. Doch die Stiftung mit Sitz in Cologny ist mit ihren fast tausend Mitarbeitern längst ganzjährig rund um die Welt unterwegs.

Schwab und das Forum waren lange Zeit eins

Stiftungsmitglieder sind gut 900 Partner und Unternehmen, die im Jahr rund 25.000 Franken (rund 26.700 Euro) Gebühr zahlen, um in Davos dabei zu sein. Wer Mitglied im elitären Kreis der Partner sein will, muss dafür eine satte Jahresgebühr von 600.000 Franken (rund 640.700 Euro) berappen. Für Ende Juni 2024 wies das Forum einen Jahresumsatz von 440 Millionen Franken (rund 470 Millionen Euro) aus. „Das WEF ist eine Gelddruckmaschine“, sagt ein langjähriger Teilnehmer.

Schwab und das Forum waren lange Zeit eins. Nun muss er ansehen, wie ihm sein Lebenswerk durch die Finger zu rinnen droht, denn seine Demission gleicht einer unehrenhaften Entlassung. Es droht eine juristische wie mediale Schlammschlacht. Außerdem steht die Frage im Raum, wie es nach Klaus Schwab weitergeht.

An diesem Dienstag kommen die Mitglieder des Stiftungsrats – des sogenannten Board of Trustees – zur virtuellen Sitzung ohne den WEF-Gründer zusammen. Über die Agenda ist öffentlich nichts bekannt. Aber gewiss wird es in der Sitzung vor allem um den heiklen Umgang mit Klaus Schwab gehen.

Geleitet wird das Gremium interimistisch von Peter Brabeck-Letmathe, einem immerhin auch schon 80 Jahre alten ehemaligen Nestlé-Manager, der in seiner Zeit bei der Formel-1-AG auch den Übergang von der Überfigur Bernie Eccle­stone erlebt hat. Unter den 27 Mitgliedern befinden sich viele klangvolle Namen aus Wirtschaft und Politik: Die Spitzen aus Weltbank und Internationalem Währungsfonds sind ebenso darunter wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde, der frühere US-Vizepräsident Al Gore und Königin Rania von Jordanien.

Zu den namhaften Vertretern aus der Wirtschaft zählen etwa Blackrock-Chef Larry Fink, der Vorstandsvorsitzende des Versicherungsriesen AXA, Thomas Buberl, und Joe Kaeser, Chefkontrolleur von Siemens Energy. Wie groß die Anspannung vor dem Treffen war, lässt sich aus den einförmigen Antworten verschiedener Mitglieder auf F.A.Z.-Anfrage ablesen: Kein Kommentar.

Wegbegleiter halten Vorwürfe für konstruiert

„Es ist der letzte Kampf eines Mannes, der leider nicht rechtzeitig loslassen konnte“, kommentiert ein ehemaliger Manager des Forums im Gespräch mit der F.A.Z. die Ereignisse. Der Mann, der anonym bleiben will, kann sich nach eigenem Bekunden nicht vorstellen, dass sich Schwab persönlich bereichert hat. „Gelddinge haben ihn nie wirklich interessiert.“

Zu dieser Sichtweise passt, dass Schwab in seinem persönlichen Statement einen „Spezialbonus von fünf Millionen Franken“ erwähnt, der ihm im Jahr 1999 angeblich zugesagt worden sei im Gegenzug für sein relativ kleines Gehalt in der Aufbauzeit des Forums, den er aber nie eingefordert habe. „Wenn Sie so etwas aufgebaut haben, unterscheiden Sie irgendwann nicht mehr zwischen dem Unternehmen und dem eigenen Vermögen. Dann denken Sie, Ihnen gehöre sowieso alles“, sagt der ehemalige WEF-Manager.

Ein anderer ehemaliger Wegbegleiter hält die Bereicherungsvorwürfe ebenfalls für konstruiert: „Er hasste Urlaub, kam meistens vorzeitig zurück und wollte wieder an die Arbeit.“ Schwab hätte es finanziell auch nicht nötig, in die WEF-Kasse zu greifen. Angeblich orientierten sich seine Bezüge an jenen des Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, der rund eine Million Franken im Jahr verdient. Diese Korrelation resultiert aus einer Vereinbarung mit dem Schweizer Außenministerium aus dem Jahr 2015. Seither firmiert das WEF als „internationales Organ“ und ist von der Steuer befreit. Im Gegenzug darf kein Angestellter des Forums mehr verdienen als der höchstbezahlte Schweizer Staatsbedienstete, heißt es.

Im Hintergrund kursieren verschiedene Narrative

Auch wenn manche Stiftungsräte Schwab freundschaftlich verbunden (gewesen) sein mögen – verantwortlich sind sie gegenüber der Institution und haben damit wenig Spielraum. Diese steht über ihrem Gründer. Zudem sind sie dem Schweizer Stiftungsrecht verpflichtet.

Die Eidgenössische Stiftungsaufsicht achtet genau darauf, dass es eine klare Trennung zwischen Stiftungs- und Privatinteressen gibt. Eine Stiftung darf ihr Vermögen nur für gemeinnützige Zwecke verwenden. Für die Einhaltung dieser Vorgabe sind die Stiftungsräte zuständig. Wenn sie dieser Kontrollfunktion nicht gerecht werden, können sie von der Stiftungsaufsicht aus ihren Ämtern entfernt werden.

Einen solchen Imageschaden will sich gewiss keiner der illustren Granden im „Board of Trustees“ einhandeln. Hinzu kommt: Für etwaige Schäden aus ihrer Arbeit als Stiftungsrat haften sie nach Schweizer Stiftungsrecht mit ihrem eigenen Vermögen.

Derzeit kursieren im Hintergrund verschiedene Narrative, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Die bittere Ironie aus Sicht von Schwab ist, dass das abrupte Ende zu einem Zeitpunkt kam, als er schon seinen Abschied eingeläutet hatte – wenn auch auf Raten und deutlich langsamer, als dies im Stiftungsrat gewünscht war.

Kritik an seinem angeblich patriarchalischen Führungsstil und an seiner Personalpolitik gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Mehrere hohe Manager mussten ihre Posten räumen, darunter Personalchef Paolo Gallo und Mediendirektor Adrian Monk. Schwab soll unzufrieden gewesen sein, wie die Organisation mit den wachsenden Anfeindungen gegen ihn und das Forum vorgegangen sei.

Kein Interesse an professioneller Personalführung

Professionelle Personalführung hat Schwab lange Zeit nicht interessiert. Doch mit zunehmendem Alter schwante ihm, dass er Strukturen aufbauen musste, die nicht mehr nur von ihm abhängen, sondern für die Ewigkeit sind. „Was Schwab dabei nicht bedacht hatte, war, dass das Strukturen waren, zu denen er selbst nicht mehr passt“, erklärt ein ehemaliger Vertrauter. „Ihm war nicht klar oder er wollte nicht wahrhaben, dass dieser Umbau auch für ihn und seinen Führungsstil Konsequenzen haben würde.“

Zudem sorgte eine – inzwischen einvernehmlich beigelegte – gerichtliche Auseinandersetzung in den USA für Aufsehen. Eine ehemalige Mitarbeiterin in New York erhob den Vorwurf, wegen ihrer Hautfarbe und einer Schwangerschaft diskriminiert worden zu sein.

Diese Entwicklung dürfte dazu beigetragen haben, dass Schwab vor fast genau einem Jahr den Machtwechsel einläutete. Das operative Geschäft des CEO, vergleichbar einem Vorstandschef in einem Unternehmen, ging in die Hände des ehemaligen norwegischen Außenministers Borge Brende über, der seit Jahren im WEF auf diese Rolle vorbereitet worden war. Schwab selbst sicherte sich die Leitung des Boards, vergleichbar einem Aufsichtsrat eines Konzerns. Die neue Ämtertrennung ließ er sogar in der Satzung festschreiben. Der F.A.Z. liegt die entsprechende Passage vor.

Besonders brisant: Dort steht geschrieben, dass immer ein Mitglied oder ein Entsandter der Familie Schwab Mitglied im Board sein soll. Außerdem darf Schwab persönlich seinen Nachfolger bestimmen. Wie das künftig gehen soll, dürfte die Mitglieder des Gremiums auf ihrer Sitzung beschäftigen. Weder vom Forum noch von Schwab waren dazu im Vorfeld konkrete Antworten zu bekommen. Schwab ließ die F.A.Z.-Anfrage für ein Gespräch unbeantwortet, das Forum antwortete auf einen Katalog mit mehr als 20 detaillierten Fragen nur in sehr allgemeiner Form.

Spekulationen um die politische Ausrichtung in Davos

Für die jüngste Eskalation zwischen dem Forum und seinem Gründer kursieren verschiedene Erklärungen. Ein Ansatz geht so: In einer internen Veranstaltung hatte Schwab im Frühjahr mitgeteilt, dass er bald den kompletten Rückzug einleiten werde. Für einen Artikel in der „Financial Times“ am 3. April konkretisierte das WEF dann, dass der Wachwechsel zum Jahrestreffen im Januar 2027 abgeschlossen sein sollte. In der Organisation gilt es vielen als offenes Geheimnis, dass Schwab als Nachfolgerin Christine Lagarde favorisierte, deren Mandat bei der EZB 2027 endet. Schwab wäre dann fast 90 Jahre alt. Die Aussicht auf knapp zwei weitere Jahre unter seiner De-facto-Führung am Genfer See könnte einigen aktuellen wie ehemaligen Mitarbeitern missfallen haben und zu der belastenden E-Mail an den Stiftungsrat geführt haben. Bleibt die Frage, wer das Ganze initiiert hat.

Andere Spekulationen beziehen sich auf die politische Ausrichtung in Davos. Schwab hatte lange das diplomatische Credo hochgehalten, man müsse das WEF als Plattform des Dialogs für alle offen halten – egal wie kontrovers die Standpunkte seien. Er schmückte sich mit seinen persönlichen Kontakten zu den Mächtigen von Washington bis Moskau, auch Wladimir Putin war ein regelmäßiger Gesprächspartner und Gast. Nach dem Überfall auf die Ukra­ine schwenkte Schwab jedoch radikal um: Die Russen wurden ausgeschlossen, dem Widerstand der Ukraine viel Platz eingeräumt. Diese klare Positionierung soll nicht jedem gefallen haben. Es gebe Strömungen, die vor allem den Business-Aspekt stärker in den Mittelpunkt rücken wollten, sagt ein Insider. Denn um den offiziellen Teil des Jahrestreffens herum hat sich eine gewaltige Vertriebsmaschine entwickelt. Weltkonzerne zahlen eine siebenstellige Summe allein für die Miete eines Geschäfts auf der Davoser Hauptstraße Promenade, um Geschäftspartner aus aller Welt zu hofieren. Da stört zu viel Politik mitunter nur.

Deshalb schauen viele Beobachter nun mit großer Spannung darauf, wer vom internen Ausschuss für die Nachfolge Schwabs als Board-Chef vorgeschlagen wird und ob sich daraus eine Richtungsentscheidung erkennen lässt. Schwab selbst soll laut Schweizer Medienberichten vorgeschlagen haben, ihn als Ehrenpräsidenten des Forums einzusetzen. Große Chancen werden diesem Vorstoß jedoch nicht eingeräumt – schon gar nicht vor Abschluss der Untersuchungen. Schwabs Wunsch passt aber ins Bild eines zutiefst verbitterten Menschen, der etwas Großartiges aufgebaut hat, aber nicht rechtzeitig den Absprung schaffte.

An der Strahlkraft des Weltwirtschaftsforums dürfte sich nach dem Abgang ihres Gründers nichts ändern, darin sind sich die meisten Beobachter indes einig. Die Stiftung hat längst auch ohne ihren Gründer laufen gelernt, das Geschäft kann weitergehen. Das als „Sommer-Davos“ titulierte Jahrestreffen der New Champions in Tianjin und das bevorstehende Global Technology Governance Retreat in San Francisco seien in vollem Gange „und spiegeln unseren Auftrag und unsere globale Wirkung wider“, heißt es selbstbewusst vom Forum. Bislang ist auch nicht bekannt, dass ein zahlendes Mitglied wegen der Demission des Gründers abspringen will. Oder wie es ein Schweizer Unternehmer flapsig formuliert: „Es kam ja keiner nach Davos, um den Klaus mal zu treffen.“