Herr Außenminister, der russische Präsident hat die europäische Forderung nach einem 30-tägigen Waffenstillstand ignoriert und direkte Gespräche mit Kiew vorgeschlagen – erwarten Sie sich davon etwas, oder spielt Putin nur auf Zeit?
Putin spielt auf Zeit. Er wird aber realisieren müssen, dass es jetzt eine eng abgestimmte europäische Position gibt, die in dem einmaligen Besuch der Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Polen und Deutschland in Kiew deutlich geworden ist. Die Außenminister dieser Länder stimmen sich eng ab, denn anders als Putin wollen wir und die Ukraine endlich Frieden. Putin muss sich darauf einrichten, dass Europa Gewicht hat und in diesem Prozess eine Rolle spielt.
Haben Sie Anzeichen dafür, dass Putin bereit ist sich zu bewegen?
Dass Putin überhaupt über konkrete Verhandlungen mit der Ukraine redet, ist eine Reaktion auf die neue Lage. Er wird wissen, dass sich seine Position in der nächsten Zeit eher verschlechtern wird.
Am Wochenende sah es so aus, als gebe es wieder einen Moment der europäische-amerikanischen Einigkeit – dann hat Präsident Trump Kiew aufgefordert, zu verhandeln, ohne auf den vorherigen Waffenstillstand zu bestehen. Ist dieser Moment also wieder vorbei?
Das täuscht. Ich stehe in engem Kontakt zu Außenminister Rubio. Wir sehen außerdem gerade im US-Senat, dass sich immer mehr Senatoren zu einer Mehrheit für Sanktionen zusammenfinden, das ist sehr beachtlich. Da sollte man sich in Russland keine Hoffnung machen: Wir arbeiten transatlantisch eng zusammen.
Trotz dieser Zusammenarbeit scheint aber Europa doch wieder nicht am Tisch zu sitzen, wenn am Donnerstag tatsächlich Gespräche in der Türkei beginnen sollten?
Entscheidend ist, dass Europäer, Amerikaner und die Ukraine an einem Strang ziehen. Und das sehen wir doch ganz klar, wenn es darum geht, Russland nicht aus der Pflicht zu nehmen, endlich in einen Waffenstillstand einzuschlagen. Es geht schließlich um die Lösung eines Konflikts in Europa. Daher müssen wir auch an der Lösung beteiligt werden.
Also hat Europa in Amerika unter Trump doch wieder einen Partner?
Im Kern hatte ich nie Zweifel, dass die Vereinigten Staaten an unserer Seite stehen. Richtig ist, dass uns manches in den letzten Wochen irritiert hat. Aber viele Gespräche haben jetzt gezeigt, dass wir zusammenstehen. Ich freue mich, meinen Kollegen Rubio diese Woche in Antalya beim NATO-Treffen zu sprechen und wir haben uns verabredet, dass wir uns sehr bald in Washington treffen.
Dass wir uns unabhängiger machen müssen, ist eine Erkenntnis, die man in ganz Europa teilt. Ich fand schon den Vorschlag des französischen Präsidenten richtig, über eine europäische Souveränität zu reden. Das heißt nicht Abkopplung, aber doch die Bereitschaft und Fähigkeit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Abgesehen davon muss man die Äußerung von Friedrich Merz in einer Kontinuität sehen. Angela Merkel hatte schon unter der ersten Trump-Präsidentschaft darauf hingewiesen, dass wir mehr leisten müssen, weil wir nicht in jeder Situation automatisch auf die Amerikaner setzen können.
Sie haben mit Rubio telefoniert, Merz mit Trump. Haben Sie den Eindruck gewonnen, dass Washington die Geduld mit Putin verliert und das Europa hilft?
Es gibt jetzt jedenfalls ein neues europäisches Momentum, das ist ein Faktor in der Weltpolitik, der überall wahrgenommen wird. Dazu trägt Deutschland bei, weil wir wieder als Aktivposten gesehen werden.
Als Sie in Lemberg waren, haben die Ukrainer Ihnen auch Munition vom Schlachtfeld aus chinesischer Produktion vorgeführt: haben Sie noch Hoffnungen, dass China einen konstruktiven Beitrag leisten kann zur Lösung des Konflikts?
China befindet sich in einem ständigen Abwägungsprozess, was seinen Interessen mehr dient. Darauf müssen wir Einfluss nehmen und China deutlich machen, dass es chinesischen Interessen nicht förderlich ist, einen Angriffskrieg in Europa zu unterstützen. Denn dieser Krieg berührt europäische Kerninteressen, und schadet auch China.
Zu dem europäischen Momentum gehört, dass mit neuen Sanktionen gedroht wurde, wenn der Waffenstillstand nicht kommt. Wie will Europa dieser Drohung Taten folgen lassen, wenn es wegen der Blockade aus Ungarn fürchten muss, nicht mal die bisherigen Sanktionen verlängern zu können?
Unterschätzen Sie nicht die europäische Einigkeit, die ich schon in vielen Gesprächen festgestellt habe. Wir sind bereit und in der Lage, mehr zu machen. Ich werde alle Energie darauf verwenden, damit dies nicht leere Worte bleiben.
Über diese Frage findet im G-7-Kreis und der Europäischen Union bereits ein intensiver Austausch statt.
Also lassen Sie diese Option offen?
Wir haben uns prinzipiell entschieden, jetzt strategische Ambiguität walten zu lassen. Putin muss wissen, dass er uns nicht kalkulieren kann, solange er sich selbst unkalkulierbar verhält.
Gehört zu dieser neuen strategischen Ambiguität, dass Sie nicht mehr veröffentlichen wollen, welche Waffen Deutschland an die Ukraine liefert?
Genau. Wir wollen nicht mehr ausrechenbar sein und alle Optionen haben. In dieser entscheidenden Situation glauben wir, dass dieser Weg besser ist.
Werden deutsche Soldaten einen Frieden in der Ukraine absichern?
Das lässt sich jetzt noch nicht beantworten.
Die Ukraine wünscht sich als Beitrag den Taurus-Marschflugkörper. Werden Sie liefern, wie Sie es in der Opposition gefordert haben?
(schmunzelt) Da verweise ich auf meine Antwort zu der strategischen Ambiguität.
Was eine schöne Möglichkeit zur Ausflucht bei dieser Frage bietet.
Ich muss in Kauf nehmen, dass mir in Deutschland solche Vorhaltungen gemacht werden. Aber in der Abwägung ist es wichtiger, dass wir eine maximale Wirkung nach außen erreichen.
Haben Sie von Ihrem Koalitionspartner die Unterstützung für die Lieferung zugesagt bekommen?
Ich bleibe bei der strategischen Ambiguität. Aber selbstverständlich werden so zentrale Fragen in der Koalition sorgfältig abgestimmt.
Wenn der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner mit regimenahen Russen in Baku spricht, fürchten Sie da Rückfälle ihres Koalitionspartners in alte Russlandnähe, eine Nebenaußenpolitik?
Nein. Die Außenpolitik dieser Koalition ist konsistent und einig. Es steht mir als Mitglied der Regierung auch nicht zu, das Parlament zu bewerten.
Kann es in absehbarer Zeit überhaupt eine Annäherung an Moskau geben?
Selbstverständlich. Wir leben auf demselben Kontinent und uns verbindet doch keine Feindschaft mit dem russischen Volk. Wir haben aber eine Regierung und einen Präsidenten in Moskau, der das Völkerrecht mit Füßen tritt und unseren Interessen diametral zuwiderhandelt. Wenn das korrigiert wird, werden wir natürlich bereit sein, mit Russland auf verschiedenen Ebenen in Kontakt zu treten. Das ist derzeit bedauerlicherweise aber nicht absehbar.
Korrigiert heißt: wenn Putin nicht mehr an der Macht ist?
In welcher Form auch immer korrigiert. Er könnte seine Politik auch diametral ändern und den Krieg beenden. Klar ist: Die derzeitige Politik macht es unmöglich für uns, wieder die Beziehungen zu normalisieren.
Mir sind einige Sorgen genommen worden, wenn unterstrichen wird, dass der Gazastreifen den Palästinensern gehört und sie diesen nicht gegen ihren Willen verlassen müssen, und dass die israelische Armee nach dem Ende der Kämpfe gegen die Hamas das Gebiet wieder verlässt. Aber wir werden das letztendlich an konkreten Taten messen. Und es gibt noch weitere Fragen: wie wir endlich zu Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern kommen und wie wir die Versorgung der Menschen im Gaza-Streifen sicherstellen können. Aber auch, wie dem berechtigen Sicherheitsinteresse Israels genüge getan werden kann. Denn von Gaza darf nie wieder Terror ausgehen.
Seit Anfang März blockiert Israel die humanitäre Versorgung des Gaza-Streifens, die Lage ist dramatisch. Bricht Israel Völkerrecht?
Israel hat zuletzt die klare Bereitschaft gezeigt, kurzfristig Abhilfe zu schaffen und den amerikanischen Plan zur Verteilung von Hilfsgütern schnell umzusetzen. Ich habe klar gemacht, wie dringlich das ist im Sinne der Menschen, die dort leiden.
Die Union hatte die vorige Bundesregierung wegen Verzögerungen bei den Rüstungsexporten kritisiert. Wird die neue also ohne Verzögerung alles liefern, was Israel möchte?
Wir werden immer schauen was notwendig und verantwortbar ist. Darüber erlauben wir uns ein Urteil, das muss in Deutschland geprüft werden.
Eine Staatsräson mit Einschränkungen?
Das ist keine Einschränkung. Die Staatsräson ist aber keine Verpflichtung, Israel gleich jeden Wunsch zu erfüllen.
Relativ wenig, glaube ich. Die CDU war doch immer eine außenpolitisch orientierte Partei und die meiste Außenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten haben die CDU-Bundeskanzler gemacht. Ich setze das fort mit einem klaren Kompass: der Westbindung und Orientierung an der Freiheit, die Adenauer schon zum Maßstab gemacht hat, und einer Europa-Agenda, wie sie Kohl und Merkel verfolgt haben. Das alles passt zur Aufstellung des Auswärtigen Amtes.
Bei Ihrer Vorstellung im Amt haben Sie gesagt, dass Sie mit ihrer Vorgängerin in vielem übereinstimmen, aber nicht in allen Punkten – in welchen?
Ich möchte eine Außenpolitik machen, die sich in diesen stürmischen Zeiten darauf konzentriert, deutsche und europäische Interessen voranzustellen. Und ich möchte das Kerngeschäft der Diplomatie wiederbeleben, zu dem gehört, dass wir Kontakt aufnehmen und Positionen vermitteln auch mit Partnern, die uns nicht angenehm sind.
Was bedeutet das zum Beispiel konkret für den Konflikt in Syrien?
Dass ich als erstes der Regierung in Syrien sage, dass sie einen Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen organisieren und den Terrorismus bekämpfen muss. Danach können wir dafür sorgen, dass im Gespräch mit allen Nachbarn Schutz für das Land sichergestellt wird. Das ist ein anderer Ansatz als der meiner Vorgängerin.
Sie schauen also nicht zuerst darauf, dass alle Teile der Bevölkerung, wie die Frauen, beteiligt werden beim Prozess des Übergangs?
Das ist mir wichtig, aber ich muss in dieser prekären Situation für die Region und das Land andere Prioritäten setzen. Und Syrien wird nur stabil werden, wenn der Prozess dort inklusiv gestaltet und Terror bekämpft wird.
Sie haben Ihren Mitarbeitern Gottes Segen gewünscht in Ihrer Antrittsrede, das war man dort von einem Minister nicht gewohnt – gehört das auch zur Rückkehr der CDU in dieses Amt?
Das ist ein persönliches Statement. Ich bin glücklich, dass mir der christliche Glaube Zuversicht und Orientierung gibt. Das wünsche ich jedem. Aber es gilt: Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden.