Es spricht der Außenkanzler Merz

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Der Bundeskanzler gibt einen klaren Zeitplan vor. Nach gut 55 Minuten Regierungserklärung ist Friedrich Merz (CDU) angekommen bei den letzten Sätzen in seinem Redemanuskript, ruhig hat er seine Botschaften vorgetragen und beständige Zwischenrufe aus der Opposition, von links und von rechts, abperlen lassen. Nun sagt er: „Ich möchte, dass Sie, die Bürgerinnen und Bürger, schon im Sommer spüren: Hier verändert sich langsam etwas zum Besseren, hier geht es jetzt voran!“

Merz sagt allerdings auch, dass Union und SPD sich darauf verständigt hätten, wie man Politik gestalten wolle, zum Wohl der Bürger, problemlösend, ohne öffentlichen Streit und „mit Blick nicht nur auf die Risiken, sondern vor allem mit Blick auf die Chancen, die wir haben“. Das war in den ersten Tagen der neuen Regierung nicht so ganz einfach einzuhalten. Es ist also auch ein ambitionierter Zeitplan.

Gut eine Woche nach seiner Wahl zum Bundeskanzler steht Merz zum ersten Mal in seiner neuen Rolle vor den Abgeordneten. Aber nicht nur Merz muss an diesem Tag in seine neue Rolle finden, das neue Parlament nimmt seine Arbeit auf, befragt die einen Minister am Vormittag und diskutiert mit den anderen am Nachmittag über ihr Arbeitsprogramm. Trotzdem richtet sich die Aufmerksamkeit doch auf das, was Merz zur Mittagszeit am Mittwoch zu verkünden hat – und auch, wie er es tut.

Merz dankt Scholz

Mit der ersten Regierungserklärung ist es nicht so leicht. Sie soll nicht nur einen Ausblick geben auf das, was ein Kanzler mit seiner Regierung erreichen will, sondern auch, wie er dies zu schaffen gedenkt. Welchen Ton er oder sie anschlägt, ist wichtig, in welchen Farben er oder sie den Zustand des Landes beschreibt. Eine Momentaufnahme deutscher Realitäten und Befindlichkeiten, ein Motto, unter dem ein neuer Regierungschef seine Amtszeit gerne sehen möchte. Zur Realität passt das freilich nicht immer.

Zwei Stunden hatte der Sozialdemokrat Gerhard Schröder 1998 gesprochen, und nach 16 Jahren Helmut Kohl unter dem Rede-Motto „Weil wir Deutschlands Kraft vertrauen“ einen Konsolidierungskurs versprochen in der Haushalts- und Finanzpolitik, und den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Angela Merkel wandelte 2005 ein Zitat eines anderen großen Sozialdemokraten ab: „Lasst uns mehr Freiheit wagen.“ Und sie kündigte an, was zu den folgenden 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft durchaus passen sollte: eine Politik der „kleinen Schritte“. Bei Olaf Scholz war wenige Wochen nach seiner Regierungserklärung vieles schon hinfällig, da hatte Russland die Ukraine überfallen, und die Zeitenwende-Rede sollte die zentrale Regierungserklärung werden.

Für seine Reaktion auf den russischen Angriff dankt Merz seinem Vorgänger auch gleich zu Beginn seiner eigenen Regierungserklärung. Bei Merz, der als Oppositionsführer oft ein scharfer Redner war, wird nach wenigen Minuten deutlich: Er versteht sich als außenpolitischer Kanzler, durch und durch. Die Lage ist ernst, und Merz will Deutschland und Europa da durchbringen. „Wir erleben eine Welt in Bewegung“, sagt Merz, „ja geradezu in Aufruhr.“ Genauso ernst trägt Merz auch seine Erklärung vor, ihr Motto wie beim Koalitionsvertrag: „Verantwortung für Deutschland“.

„80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und im 35. Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands wird unsere Freiheit durch die Gegner und Feinde unserer liberalen Demokratie so sehr angegriffen wie selten zuvor“, sagt Merz. Er blickt auf Russland. „In der Ukraine steht nicht weniger als die Friedensordnung unseres ganzen Kontinents auf dem Spiel“, sagt er. Merz spricht von mehr Verantwortung von Deutschland in Europa und der NATO, davon, dass die Bundeswehr „die konventionell“ stärkste Armee Europas werden solle.

Er zeigt auf, wie für ihn der Weg zu einem „gerechten, dauerhaften, tragfähigen Frieden in der Ukraine“ aussieht, und sagt, er hoffe und arbeite daran, „dass diese klare Haltung nicht nur überall in Europa vertreten wird, sondern auch von unseren amerikanischen Partnern“. Dann leitet er nach gut 20 Minuten Außen- und Sicherheitspolitik schließlich über zur wirtschaftlichen Lage, denn: „Deutschlands Sicherheit, Deutschlands Gestaltungskraft in der Welt, das steht und fällt mit unserer wirtschaftlichen Stärke.“

Erstaunliche Töne aus der SPD

So viel ist schon in den ersten sieben Tagen seiner Amtszeit passiert, so viel ist Merz gereist: nach Paris, Warschau, Brüssel und am Wochenende nach Kiew zusammen mit den Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Polen, Großbritannien. Seinen Taten lässt er mit der Regierungserklärung Worte folgen.

Vergessen ist aber nicht, dass ihm im ersten Wahlgang vor einer Woche mindestens 18 Stimmen aus den eigenen Reihen gefehlt haben. Schon weil die Opposition ihn gern daran erinnert. Zum Beispiel die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge während ihrer Rede. Merz spricht nicht über diesen Tag. Aber wie stabil ist seine Koalition?

Selbst bei der Außenpolitik kommen von seinem Koalitionspartner schon erstaunliche Töne. Derzeit wird zwischen den Fraktionen die Verteilung der Ausschussvorsitze ausgehandelt. Interesse am Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses hatte der SPD-Politiker Rolf Mützenich. Der geht aber leer aus, die Union bekommt den Ausschussvorsitz. Berichtet wird, dass ihn Armin Laschet übernehmen soll. Mützenich kommentierte die Entscheidung am Mittwoch im „Stern“ so: „Eine demokratische und kluge Außenpolitik darf sich nicht allein auf militärische Themen und Ziele konzentrieren.“

Das klingt schon anders als das, was der Kanzler vorträgt. Und während die Regierung künftig Moskau im Unklaren lassen will darüber, was sie wirklich an Kiew an Waffen liefert, unterläuft der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch diese strategische Ambiguität schon durch die Festlegung, dass man den Taurus-Marschflugkörper nicht liefern werde. Merz spricht darüber in seiner Regierungserklärung nicht.

Direkt auf Merz antwortet Weidel

Beim Thema Migration und Zurückweisungen hatte Merz vor einigen Tagen selbst von „einigen Irritationen“ gesprochen. Am Mittwoch ist es am Vormittag zunächst die Aufgabe seines Kanzleramtsministers Thorsten Frei (CDU) und die von Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD), Unklarheiten zu beseitigen.

In der Regierungsbefragung bekräftigten die beiden die Aussagen des Kanzlers: Deutschland verschärft seine Migrationspolitik, aber im Rahmen des europäischen Rechts. Überhaupt geben sich die beiden große Mühe, in erste sich andeutende Risse im schwarz-roten Bündnis viel Kitt zu schmieren. Merz spricht dann nicht nur über die Probleme einer ungesteuerten Migration. Er sagt auch: Deutschland wolle ein freundliches und respektvolles Land bleiben.

Ein Konflikt hatte sich auch beim Lieferkettengesetz angebahnt. Noch am Abend vor der Regierungserklärung hatte Merz gesagt, nicht nur das deutsche Lieferkettengesetz solle abgeschafft werden, sondern auch die entsprechende EU-Richtlinie. Was wiederum die SPD provoziert hatte. Am Mittwoch spart Merz das Thema aus.

Auf Merz antwortet die AfD-Politikerin Alice Weidel als Vertreterin der stärksten Oppositionsfraktion. Weidel sieht in Merz’ Rede nur „Schwäche und Instabilität“. Er sei ein Kanzler der Linken, was bei dieser wiederum zu enormem Gelächter führt. Weidel greift auch den Verfassungsschutz und dessen Einschätzung an, wonach die AfD gesichert rechtsextrem ist (was die Behörde bis zu einem Gerichtsurteil nicht öffentlich wiederholen will).

Matthias Miersch, der SPD-Fraktionsvorsitzende, verleiht zu Beginn seiner Rede der Abscheu gegenüber der AfD Ausdruck. Dann hält er eine derart sozialdemokratische Rede, die fast vergessen machen könnte, dass die SPD selbst Teil dieser Regierung ist. Streit, sagt Miersch, werde es wohl geben. Aber der werde immer zielgerichtet sein.