„Ein Navigationssystem für die Politik“

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Einer der gerne wiederholten, wenn auch schon etwas älteren Wortbeiträge des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz zur Zukunft des Planeten geht ungefähr so: Die Welt wird morgen schon nicht untergehen. Wer die Betonung auf dem Vorgang (untergehen) und die gewiss explizit gewählte Negierung – nicht untergehen – mitlas, konnte aufatmen. Viele wollte den Satz so lesen. Für andere lag die Betonung eindeutig auf der Auswahl des Zeithorizonts: Bis morgen werde schon nicht viel passieren, sehr wohl aber vielleicht ab übermorgen – was objektiv gesehen auch nicht so weit weg ist. Wer die Prophezeiung von Merz so lesen wollte, war am Ende eher pessimistisch gestimmt.

Die wichtige Frage aber, die der damals noch entschiedene Anti-Wärmepumpen-Wahlkämpfer Merz mit seiner Behauptung in den Raum stellte, sollte nie diskutiert werden. Denn sie ist besonders schwer zu beantworten: Wie lange noch? Wie lange geht das noch mit gut mit unserem ökologischen Raubbau am Planeten? Oder positiv gewendet: Was muss passieren, dass die Menschheit – zu welchem Zeitpunkt auch immer – unsere Lebensgrundlagen nicht endgültig ruiniert?

Modelle zur drohenden ökologischen Katastrophe

Mit Computermodellen lassen sich solche Fragen näherungsweise beantworten. Bis solche numerischen, auf physikalischen Parameter und auf sozioökonomischen Annahmen basierten Modelle politisch die Aufmerksamkeit genossen, die sie verdienen, hat es einige Generationen gedauert. Der Hamburger Klimapionier Klaus Haselmann, auf den ganz Deutschland inzwischen stolz ist, weil er für seine Klimamodellierungen mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet worden ist, hatte die Sache Ende des vergangenen Jahrhunderts entscheidend ins Rollen gebracht. Später, 2009, war es eine von dem Schweden Johan Rockström und einem internationalen Forscherteam veröffentlichte Studie, die das Modellieren unseres planetaren Schicksals einen großen Schritt voranbrachte. Er hat die „planetaren Belastungsgrenzen“ ins Spiel gebracht. Inzwischen gab es dank der Fortschritte in der Hardware erträglich schnell arbeitende Erdsystemmodelle.

Der Potsdamer Hans Joachim Schellnhuber, auch er einer der ersten Klimamodellierer, die weit mehr als nur den Klimawandel betrachteten, hat die Frage der drohenden ökologischen Katastrophe damals politisch neu aufgegossen. Wissenschaftlich erwies sich das Problem aber als hartnäckig, Voraussagen blieben notorisch schwierig. Die Spielräume in den Prognosen waren – und sind – durch Unsicherheiten (in den Variablen) und Unbestimmtheiten (was die Zukunft angeht) erheblich. Schellnhubers Nachfolger am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung wurde Rockström, und dieser hat nun zusammen mit einem Team um den niederländischen Klimamodellierer Detlef van Vuuren die planetaren Belastungsgrenzen einem Zukunftstest unterworfen. Van Vuuren, der heute am holländischen Umweltbundesamt PBL in Den Haag tätig ist, hat also mit seinem Team zu ermitteln versucht, ob und wie es möglich werden könnte, dass wir den Planeten nicht vollends ruinieren. Dazu wurden an das komplexe Umweltbewertungsmodell „Image“, mit dem der Status der planetaren Belastungsgrenzen ermittelt worden war, die denkbaren umweltpolitischen Pfade der nächsten Jahrzehnte gekoppelt.

Belastungsgrenzen überschritten

Zu den planetaren Belastungsgrenzen zählen neben dem Klimawandel, die Ozeanversauerung sowie Veränderungen im Stickstoff- und im Phosphor-Kreislauf sowie in Süßwasser-Systemen, die Verletzung der Stratosphäre, die Aerosolbelastung und die Integrität der Biosphäre. Aktuell gelten sechs der neun definierten Belastungsgrenzen für den Planeten als bereits überschritten, die entsprechenden Werte liegen in einem langfristig riskanten Bereich. sprich: die jeweilige Obergrenze für den sicheren – noch unbedenklichen – Bereich wurden gerissen. Gleichbedeutend ist dies nach Auffassung der Forscher mit einem dauerhaften Verlust der „Widerstandskraft des Planeten“ – ähnlich wie etwa ein krankhaft hoher Blutdruck die Gesundheit auf Dauer untergräbt und die Existenz letztlich gefährdet.

In der neuen Studie, die nun in „Nature“ veröffentlicht wurde, geht es um die Zukunft dieses Patienten Erde unter verschiedenen möglichen politischen Szenarien: Einem Weiter-so, einer nachlässigeren Umweltpolitik mit pessimistischen Fortschrittsperspektiven sowie einem „nachhaltigen“ Szenario. In der Kalkulation wurden acht der neun planetaren Belastungsgrenzen für 28 der weltweit wichtigsten Wirtschaftsregionen betrachtet. Fazit: Ohne zusätzliche Politikmaßnahmen bis 2100 würde die Situation in fast allen Bereichen schlechter, mit Ausnahme der Ozonschicht in der Stratosphäre und der Luftverschmutzung. Schon zur Jahrhundertmitte würden bei einem Weiter-so, nationale Klimaziele hin oder her, die Klima- und die Stickstoff-Belastung weit in den Hochrisikobereich abrutschen.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Klimaschutz allein – auch ambitionierterer Klimaschutz mit dem Pariser Klimaziel 1,5 Grad maximaler Erwärmung – genügt laut der Berechnung nicht, um die schon überlasteten Belastungsgrenzen in den sicheren Bereich zurückzubringen. Aufforstungen etwa seien fürs Klima gut und entlasteten etwa Boden und Luft. Aber der massenhafte und als Klimamaßnahme angedachte Umstieg auf Biosprit wiederum belastet genau diese Böden und den Wasserhaushalt. In den USA werden mittlerweile ein Drittel aller Maisflächen ausschließlich für die Biospriterzeugung genutzt.

„Ambitionierte Politik kann einen großen Unterschied machen“

Kommt zu ehrgeizigen, realisierten Klimazielen – Klimaneutralität in den nächsten Dekaden – allerdings der „nachhaltige“ Lebensstil hinzu, könnte die „Gesundheit“ des Planeten bis 2050 auf die Situation von vor 2015 rückgeführt werden. Konkret geht es darum, die Ernährung im großen Stil auf wenig Fleisch umzustellen, Lebensmittelabfälle zu halbieren und mit Wasser und Nährstoffen deutlich effizienter umzugehen. Der Planet würde sich so nicht nur erholen, sondern könnte sich ökologisch in der zweiten Jahrhunderthälfte auch sukzessive verbessern. Nicht jede der planetaren Belastungsgrenzen sei auf diese Weise wieder in den Griff zu bekommen, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Modellstudie, „aber ambitionierte Politik kann einen großen Unterschied machen“.

Die Studie liefert also wichtige Anhaltspunkte über mögliche und keineswegs nur katastrophale Aussichten. Rockström sieht in den Modellergebnissen „ein Navigationssystem für die Politik“. Dennoch bleiben Lücken und Unsicherheiten. Viele der denkbaren Entwicklungen wurden nicht berücksichtigt. Würde sich beispielsweise technisch bedingt die Ausbeutung und der Konsum von Rohstoffen tatsächlich reduzieren – und nicht immer weiter steigern – lassen, oder würden sich ambitioniertere Luftreinhaltemaßnehmen global durchsetzen, dürfte das einige der planetaren Belastungsgrenzen spürbar beeinflussen. Unberücksichtigt geblieben ist in den Modellen bisher auch der – in Krisenzeiten für jeden leicht erkennbaren – Einfluss des Wirtschaftswachstums, der sich in den technologischen Fortschritten, aber auch in der jeweiligen Umweltpolitik eines Landes niederschlägt. Evident ist das in diesen Tagen allenthalben: Ressourcenschonung und Umweltschutz zählen zu den menschlichen Leistungen, an die sich in Krisenzeiten nicht jeder erinnert.