Mehr als ein Jahr nach den Bauernprotesten fühlen sich Europas Landwirte weiter von der Politik im Stich gelassen. Zu dem Ergebnis kommt eine aktuelle, der F.A.Z. vorliegende Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Auftrag des Agrarverbands Croplife Europe, für die im Frühjahr 2025 knapp 2000 Landwirte aus mehreren EU-Staaten befragt wurden. Als größte Hürde empfinden die Befragten den hohen bürokratischen Aufwand: Einfachere Kontrollen könnten wertvolle Zeit und Ressourcen freisetzen.
Genau an diesem Punkt setzt nun die Europäische Kommission an. Sie hat am Mittwoch Vorschläge zum Bürokratieabbau vorgelegt, die den Landwirten Entlastungen von beinahe 1,6 Milliarden Euro bringen sollen. „Wir packen die Kuh bei den Hörnern“, sagte der für Bürokratieabbau zuständige Kommissar Valdis Dombrovskis. Die europäischen Bauern seien durchschnittlich sieben volle Arbeitstage im Jahr mit der Erfüllung bürokratischer Vorgaben beschäftigt, begründete Agrarkommissar Christophe Hansen die Vorschläge zum Abbau der Vorgaben.
Konkret will die Kommission etwa Biolandwirten den Nachweis ersparen, dass sie die im Gegenzug für die Subventionen der EU erforderten Umweltvorgaben erfüllen. Kleine Betriebe sollen bis zu 2500 Euro im Jahr als pauschale Hilfe bekommen können, ohne umfassende Formulare auszufüllen. Sie sollen zudem von bestimmten Umweltvorgaben ausgenommen werden. Sofern es nationale Vorgaben etwa zum Schutz von Mooren und Feuchtgebieten gibt, sollen die EU-Vorgaben automatisch als erfüllt gelten. Die Nutzung von Satellitendaten soll den Verwaltungsaufwand verringern. Daten sollen nur noch – „wie beim einheitlichen Ladegerät für Handys“, so Kommissar Hansen – in einem einzigen Satz erhoben und dann für alle nötigen Zwecke genutzt werden. Zudem will die Kommission nur eine Vor-Ort-Kontrolle im Jahr erlauben. Heute seien es je nach Land fünf, sechs oder sieben, sagte Hansen.
Landwirtschaftsminister Rainer begrüßte Vorschläge
Der neue deutsche Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) begrüßte die Vorschläge. Der Verwaltungsaufwand sei „für viele Betriebe kaum noch zu bewältigen“, sagte er. „Der Schreibtisch darf nicht die wichtigste Ackerfläche sein.“ Der CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins kündigte an, die Verabschiedung der Kommissionsvorschläge im Europaparlament zu beschleunigen, da diese Maßnahmen nur für die kommenden zwei Jahre gelten würden, bis die nächste Reform der EU-Agrarpolitik anstehe. Auch der Ministerrat muss zustimmen, damit die Vorschläge in Kraft treten können.
Umweltschützer, Grüne und Sozialdemokraten lobten Teile des Pakets wie die Ausnahmen für Biolandwirte. Sie kritisierten zugleich, dass die Kommission Standards senke. Die Bauern sollten viel mehr Dauergrünland zu Agrarflächen umwidmen können, hob die Europaabgeordnete Maria Noichl (SPD) hervor. „Dadurch könnten in den kommenden Jahren mehr als 100 Millionen Tonnen schädlicher Kohlenstoff freigesetzt werden.“ Es sei eine Katastrophe, dass der Mindestschutz von Mooren und Feuchtgebieten gestrichen würde. Der Verband NABU kritisierte, dass die Verknüpfung zwischen EU-Umweltrecht und Agrarpolitik aufgehoben werde. „Angesichts der Diskussion um den zukünftigen EU-Haushalt brauchen wir eine ehrliche Reformdebatte – keine Stückwerk-Politik auf Zuruf“, sagte Martin Häusling (Grüne).