Kaum noch Pfeile im Köcher gegen Russland

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Auf 17 ist die Zahl der EU-Sanktionspakete gegen Russland inzwischen gewachsen. Und das sind nur die Maßnahmen, die seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 auf den Weg gebracht wurden. Schon in den Jahren zuvor hatte Brüssel mit Sanktionen auf Russlands Annexion der Krim 2014 und die russische Aggression im Osten der Ukraine reagiert.

Zwar zeigen sich mittlerweile immer klarer die Folgen für Russlands Wirtschaft: Die Sanktionen führen neben anderen, strukturellen Problemen dazu, dass die überlasteten Produktionskapazitäten nicht ausgebaut werden können. Zudem verteuern sie Importe. Beides fördert die Inflation, die mit einem hohen Leitzins bekämpft werden muss und ein klares Indiz dafür ist, dass die auf den Krieg ausgerichtete Wirtschaft nicht so reibungslos läuft, wie Präsident Wladimir Putin behauptet. Russlands Wirtschaftsleistung soll Analysten zufolge im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorquartal zum ersten Mal seit 2022 leicht zurückgegangen sein; offizielle Daten stehen dazu aber noch aus.

Doch hofften viele im Westen vor gut drei Jahren, dass die Strafmaßnahmen schneller und drastischer wirken würden. So blieb etwa die als „nukleare Option“ bezeichnete Abkopplung vieler russischer Banken vom westlichen Finanzdienstleister SWIFT weitgehend folgenlos. Das lag auch daran, dass manche große Banken von der Maßnahme ausgenommen wurden, da einige europäische Länder weiterhin russisches Gas und Öl beziehen und dafür einen Zahlungsweg benötigen. So blieben genug Kanäle offen.

Eine Maßnahme ist schmerzhaft

Ähnliches gilt für das Einfrieren von rund 300 Milliarden Dollar an im Westen lagernden Währungsreserven der russischen Zentralbank: Für Russland zahlte sich aus, dass es seit 2014 dank konservativer Haushaltspolitik auch anderweitig Rücklagen angehäuft hatte, etwa im Nationalen Wohlfahrtsfonds, und kaum verschuldet war, als Putin den Befehl zum Einmarsch in die Ukraine gab. So ist Moskau bis heute nicht dringend auf die Auslandsreserven angewiesen.

Besonders schmerzhaft für Russland ist dagegen eine Maßnahme, die gar nicht mit Sanktionen unterlegt ist: Durch die weitgehende Abkehr der EU von russischem Pipeline-Gas hat Russlands staatlich kontrollierter Energiekonzern Gazprom seinen wichtigsten Absatzmarkt verloren. Anders als beim Öl, das nun statt nach Westen, nach Asien verkauft wird, kann Gazprom sein Röhrengas nicht umleiten. Zwar importieren Länder wie Ungarn und die Slowakei weiterhin russisches Pipeline-Gas und auch Pipeline-Öl, die Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus Russland in die EU haben sich sogar erhöht. Doch sind die Mengen insgesamt nur noch ein Bruchteil dessen, was Russland vor 2022 nach Europa verkaufte.

Hoch und sichtbar:  Gazprom sitzt in St. Petersburg, der russische Konzern hat wichtige Absatzmärkte in Europa  verloren.
Hoch und sichtbar: Gazprom sitzt in St. Petersburg, der russische Konzern hat wichtige Absatzmärkte in Europa verloren.Reuters

An viele andere Maßnahmen passte sich die russische Wirtschaft überraschend schnell an. So wird Technologie, deren Export nach Russland eigentlich verboten ist, über Drittstaaten wie China oder zentralasiatische Länder eingeführt. Auch der von den G-7-Ländern Ende 2022 beschlossene Ölpreisdeckel gilt als wenig wirksam. Hinter der Maßnahme steckte die Annahme, dass Russland auf Tanker westlicher Reedereien sowie auf westliche Versicherer angewiesen sein würde, und die Einhaltung des Preisdeckels so kontrolliert werden könne. Doch Russland kaufte – häufig bei griechischen Reedern – alte Tanker, baute eigene Versicherer und Abfertigungsunternehmen auf, und entzog die Flotte so dem Zugriff des Westens.

Das neueste, 17. Sanktionspaket der EU sieht neue Maßnahmen gegen rund 200 dieser sogenannten Schattentanker vor. Allerdings standen nach Berechnungen der Denkfabrik Brookings Institution Ende April bereits 77 Prozent der mehr als 300 Schiffe von Russlands Schattenflotte unter Sanktionen – entweder der EU, der Vereinigten Staaten, Großbritanniens oder von mehreren Akteuren gleichzeitig. Im Januar hatte der damalige amerikanische Präsident Joe Biden knapp 200 Tanker auf Sanktionslisten gesetzt, was als harter Schlag für den russischen Ölhandel gewertet wurde.

Wirkung mancher Sanktionen verpufft binnen Wochen

Tatsächlich hätten die Maßnahmen eine Wirkung auf die russischen Ausfuhren gehabt, sagt der Fachmann für den russischen Energiesektor bei der Denkfabrik Carnegie, Sergej Wakulenko, der F.A.Z. – allerdings sei diese nach zwei, drei Wochen verpufft. Im Handel mit China, Russlands Hauptkunden für den Öl-Export, spielen die Sanktionen kaum eine Rolle. So stünden mehrere Öl-Terminals in chinesischen Häfen unter US-Sanktionen. Dennoch seien sie große Umschlagplätze für russisches Öl, sagte kürzlich der China-Fachmann von Carnegie, Alexandr Gabujew, in einem Interview.

Um Öl nach China zu verschiffen, kann Russland also auch sanktionierte Schiffe verwenden. Für andere Länder, beispielsweise Indien, ist laut Wakulenko der Schiff-zu-Schiff-Transfer eine Option. Dabei liefern sanktionierte Schiffe das Öl über weite Strecken, und laden ihre Fracht erst kurz vor dem Bestimmungsort auf „saubere“ Tanker um, die dann in die Häfen einlaufen.

Fachleuten zufolge bleiben der EU und auch den USA kaum noch neue, wirksame Maßnahmen, die Moskau mehr treffen würden als den Westen selbst, etwa durch einen Anstieg des Ölpreises. Der amerikanische Präsident Donald Trump hatte Ende März damit gedroht, Käufer von russischem Öl mit „Sekundärzöllen“ auf deren in die USA eingeführten Produkte zu bestrafen. Dies würde indes eine neue Eskalation des Zollstreits bedeuten – allen voran mit China, mit dem Trump sich gerade auf eine weitgehende Rücknahme der Zölle geeinigt hat. Zudem hat sich der Präsident mit Sanktionsdrohungen gegen Putin insgesamt zurückgehalten, stattdessen das Potenzial eines wirtschaftlichen Austauschs mit Russland hervorgehoben und das Land an seinem „Liberation Day“ Anfang April nicht mit Zöllen belegt.

Merz offen für “deutliche Verschärfung“

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat dagegen eine „deutliche Verschärfung“ der EU-Sanktionen angekündigt für den Fall, dass die geplanten Verhandlungen zwischen Russland, der Ukraine und den Vereinigten Staaten an diesem Donnerstag in Istanbul scheitern. Im Gespräch ist offenbar eine Absenkung des Ölpreisdeckels, der aktuell bei 60 Dollar je Fass liegt. Allerdings liegt der Preis der russischen Sorte Urals derzeit sogar darunter, womit die Maßnahme ohnehin obsolet geworden ist. Da es zu den alten Bedingungen nicht gelungen sei, den Preisdeckel umzusetzen, werde dies wohl auch mit einer niedrigeren Obergrenze kaum passieren, sagt Wakulenko.

Eher symbolisch wären auch EU-Maßnahmen gegen die von Russland nach Deutschland führende Ostseepipeline Nord Stream 2, die laut der Zeitung „Wall Street Journal“ diskutiert werden sollen. Die Röhre, deren Betreiber, die Nord Stream 2 AG, unter US-Sanktionen steht, ist nie von der Bundesregierung zertifiziert worden und nicht einsatzbereit. Allerdings soll der Kreml das Thema einer Inbetriebnahme in den Gesprächen mit der amerikanischen Seite aufgebracht haben. Die Pipeline offiziell mit Sanktionen zu belegen, würde noch einmal die klare Ablehnung solcher Pläne seitens der EU bekräftigen.

Merz nannte als Option auch Maßnahmen gegen den russischen Finanzmarkt. Dieser hat sich allerdings ebenfalls an die Sanktionen gewöhnt. Wirkungsvoller als der SWIFT-Ausschluss waren dabei die von Washington angedrohten Sekundärsanktionen gegen Banken und Unternehmen in Drittländern, die mit russischen Partnern Geschäfte machen: Dass viele große Banken deshalb vor Geschäften mit Russland zurückscheuten, führte zu deutlichen Mehrkosten und Schwierigkeiten russischer Unternehmen bei internationalen Transaktionen. Doch scheint auch dieses Problem inzwischen gelöst: So berichtete die Nachrichtenagentur Reuters kürzlich von einem Schema, nach dem große russische Banken, die unter westlichen Sanktionen stünden, mit chinesischen Partnern direkte Zahlungswege aufgebaut hätten, die an SWIFT und westlichen Banken vorbei gingen.