Bericht des Klima-Expertenrat: “Aus Klimasicht ist das Jahr 2045 bereits sehr nah”

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interview

Stand: 15.05.2025 10:15 Uhr

Hat die frühere Bundesregierung alles getan, um ihre Klimaziele zu erreichen? Das hat der Klima-Expertenrat geprüft. Das Ergebnis: Deutschland hat eine Punktlandung hingelegt. Das ist aber kein Grund sich auszuruhen, sagt Expertin Knopf.

tagesschau: Frau Knopf, welche Daten und Zahlen sind die Grundlage für Ihren diesjährigen Prüfbericht?

Brigitte Knopf: Die Zahlen kommen vom Umweltbundesamt. Diese werden immer am 15. März veröffentlicht. Darin prüfen wir zwei Dinge: Das eine sind die Emissionsdaten des Vorjahres, also für 2024 gucken wir uns die Zahlen an und überprüfen diese.

Besonders relevant sind aber die sogenannten Projektionsdaten. Das sind Zukunftsrechnungen für die Zeit ab 2025 sogar bis zum Jahr 2045, für die uns Zahlen vorgelegt werden. Wir prüfen, ob das sogenannte Emissionsbudget eingehalten wird. Das heißt, eine Summe der Emissionen über die Jahre 2021 bis 2030 und auch summiert über alle Sektoren – also im wesentlichen Gebäude-, Verkehrs-, Industrie- und Energiesektor.

Die Prüfung ist insofern relevant, denn wenn wir eine Überschreitung dieses Budgets über den festgelegten Zielen im Klimaschutzgesetz feststellen, dann muss die Bundesregierung mit einem Sofortprogramm nachsteuern.

Brigitte Knopf

Zur Person

Brigitte Knopf ist promovierte Physikerin und Klimawissenschaftlerin. Sie forscht zu Klimaökonomie und Energiepolitik mit Fokus auf sozial gerechter Ausgestaltung der Transformation. Seit 2020 ist sie stellvertretende Vorsitzende des von der Bundesregierung berufenen Expertenrats für Klimafragen. Von 2015 bis Ende 2023 war sie Generalsekretärin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und war dort auch Initiatorin und Leiterin der Policy Unit. 2024 gründete sie die wissenschaftliche Denkfabrik Zukunft KlimaSozial.

Regierung muss Klimaschutzprogramme vorlegen

tagesschau: Und was ist das Ergebnis Ihrer Prüfung?

Knopf: Wir haben dieses Jahr festgestellt, dass wir ungefähr eine Punktlandung haben und etwa bei dem vorgegebenen Budget landen. Deswegen sagen wir sehr formal: Wir können keine Überschreitung feststellen.

Das bedeutet aber nicht, dass man sich jetzt zurücklehnen und sagen kann “Na gut, ist ja alles in Butter und wir brauchen hier kein Maßnahmenprogramm.” Sondern es gibt weitere Zielverfehlungen, die wir identifiziert haben. Zudem ist es unabhängig von unserer Prüfung so, dass die Regierung ein Klimaschutzprogramm vorlegen muss.

tagesschau: Im vergangenen Jahr wurden die Budgets überschritten. Was ist passiert, dass es dieses Jahr nicht so ist?

Knopf: Das sind verschiedene Elemente, die da zusammenkommen. Zum einen haben wir eine Wirtschaftskrise, da sind die Emissionen etwas gesunken und auch für die Zukunft wird ein geringeres Wirtschaftswachstum erwartet. Zum anderen sind es aber auch Verbesserungen bei der Modellierung. Da wurden einige Rahmendaten aktualisiert, weshalb wir dieses Jahr zu einer anderen Einschätzung kommen als letztes Jahr.

Sektoral gibt es große Unterschiede: Der Energiesektor liefert hier einen sehr großen Beitrag, dass das Budget eingehalten wird – beispielsweise durch den starke Ausbau der erneuerbaren Energien und den Rückgang der Kohle.

Andere Sektoren weisen dagegen eine große Zielverfehlung bis 2030 auf: Dazu gehört zum Beispiel der Gebäudesektor und der Verkehrssektor. Die haben im letzten Jahr und auch die Jahre davor ihre Ziele nicht eingehalten – und werden sie letztlich auch bis 2030 nicht einhalten. Das ist besonders problematisch, weil wir nicht nur nationale Zielverpflichtungen haben, sondern auch im Rahmen der europäischen Klimaziele bestimmte Verpflichtungen haben. Die werden damit auch bis 2030 nicht eingehalten.

Zielvorgaben einhalten

tagesschau: Wie könnte denn die Bundesregierung agieren?

Knopf: Formal ist kein Sofortmaßnahmenprogramm notwendig. Aber völlig unabhängig von unserer Prüfung ist es so, dass im Klimaschutzgesetz festgeschrieben ist, dass mit Beginn einer neuen Legislatur eine neue Bundesregierung ein Klimaschutzprogramm vorlegen muss – innerhalb der ersten zwölf Monate, also bis Ende März 2026. Dieses Klimaschutzprogramm ist relativ umfassend: Das betrachtet nicht nur den Zeitraum bis 2030, sondern auch den bis 2040 und zudem die Ziele für den Landnutzungssektor, der auch Zielverfehlungen aufweist. Auch müssen die Ziele für sogenannte technische Senken, also negative Emissionen, in den Blick genommen werden.

Dieses Klimaschutzprogramm ist aus unserer Sicht jetzt sehr wichtig für die Regierung, dass da die von uns festgestellten Zielverfehlungen auch über das Jahr 2030 hinaus und bei der Klimaneutralität angegangen werden. Da wäre der erste Schritt – so ist es auch zeitlich im Klimaschutzgesetz festgelegt – dass bis etwa Ende September die Ministerien dafür erste Maßnahmenvorschläge machen, was sie da tun wollen.

Nachbesserungsbedarf im Gebäude- und Verkehrssektor

tagesschau: Welche Maßnahmen müssten jetzt aus Ihrer Sicht umgesetzt werden?

Knopf: Weil wir diese verschiedenen Zielverfehlungen festgestellt haben, haben wir einige Handlungsfelder identifiziert, die aus unserer Sicht sehr wichtig wären. Das ist zum einen, dass tatsächlich die Zielverfehlung im Gebäude- und Verkehrssektor angegangen wird. Da ist der zweite europäische Emissionshandel ein wichtiges Element. Wir haben ja schon einen Emissionshandel für Industrie und Energie, und es soll ab 2027 auf europäischer Ebene einen weiteren Emissionshandel geben für die Sektoren Gebäude und Verkehr, also einen CO2-Preis auf die Emissionen. In Deutschland haben wir in den Sektoren schon einen CO2-Preis, das ist ein wichtiges Instrument auch zur Einhaltung der Ziele.

Neben dem Emissionshandeln sind aber auch flankierende Instrumente wichtig, zum Beispiel die Europäische Gebäuderichtlinie oder Energieeffizienzrichtlinie. Daher ist es problematisch, dass im Koalitionsvertrag davon gesprochen wird, dass bestimmte europäische Instrumente vielleicht abgeschwächt oder verzögert umgesetzt werden sollen.

Ein weiterer relevanter Punkt, den wir im Bericht machen, ist in Bezug auf den Sektor Landnutzung. Der hat auch bestimmte Ziele und eigentlich soll der eine CO2-Senke sein – das heißt er soll eigentlich CO2 der Atmosphäre entnehmen. Man sieht aber jetzt in den neuesten Daten, dass er zu einer zusätzlichen Quelle geworden ist. Das bedeutet, dass wir die anderen Sektoren entweder noch stärker reduzieren, beim Waldumbau anders agieren oder verstärkt Moore vernässen müssten.

tagesschau: Und wie hoffnungsvoll sind Sie mit Blick auf den Koalitionsvertrag, dass das auch wirklich passiert?

Knopf: Wir haben uns den Koalitionsvertrag sehr genau angeschaut. Das Problem ist, dass er an vielen Stellen noch sehr vage ist. Wir haben versucht abzuschätzen, ob die Ankündigungen eher emissionssteigernd oder eher emissionssenkend wirken – jeweils im Vergleich zu den Projektionsdaten, die wir vorliegen haben. Und das ist an vielen Stellen noch nicht genau ausformuliert, wie zum Beispiel beim Umgang bei dem Gebäudeenergiegesetz. Je nach Ausgestaltung kann das in eine sehr unterschiedliche Richtung gehen.

In Summe konstatieren wir aber, dass entweder kein signifikanter oder ein leicht emissionssteigernder Effekt von den Ankündigungen im Koalitionsvertrag ausgeht. Aber wir betonen vor allen Dingen, dass es keinen positiven Impuls gibt, die Zielerreichung für das Jahr 2030 sicherzustellen. Bei vielen Punkten muss man schauen, wie sie ausgestaltet werden. Wie wird zum Beispiel das Sondervermögen für die Infrastruktur eingesetzt? Das könnte sich sehr positiv auf den Klimaschutz auswirken, wenn es zum Beispiel in die Schiene investiert wird. Wenn damit aber nur Straßen gebaut werden, dann werden wir mehr Verkehr und mehr Emissionen sehen. Deswegen ist es ein bisschen zu früh, schon etwas zu sagen, wie die Klimawirkung des Koalitionsvertrags tatsächlich sein wird.

Pendlerpauschale und Deutschlandticket

tagesschau: Gibt es auch Punkte, wie zum Beispiel die Pendlerpauschale, wo man eigentlich sehr schnell etwas ändern könnte?

Knopf: Eine Erhöhung der Pendlerpauschale würde eher Anreize zum Fernpendeln geben. Das würde zu mehr Emissionen führen. Ebenso wie die Rücknahme der Erhöhung der Luftverkehrssteuer.

Wir sehen auf der anderen Seite auch ein paar positive Effekte. Im Koalitionsvertrag steht zum Beispiel, dass die Heizungsförderung im Gebäudesektor erhalten bleiben soll, ebenso wie die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets. Das ist ein wichtiger Meilenstein für den Verkehrssektor. In Summe werden wir dann hoffentlich über das nächste Jahr sehen, wohin das dann wirklich geht.

tagesschau: Für Sie als Klimaforscherin: Wie dringlich wäre es, jetzt zu handeln?

Knopf: Aus Klimasicht ist es immer dringlich zu handeln. Wir sehen zwar, dass in Summe die Emissionen bis 2030 vielleicht eingehalten werden, aber wir haben auch sogenannte Lock-in-Effekte im Verkehrs- und Gebäudesektor, da haben wir bestimmte Pfadabhängigkeiten. Wenn man jetzt noch fossile Heizungen einbaut oder weiter Verbrennerautos fördert, dann wirkt sich das nicht nur momentan aus, sondern das sind langfristige Investitionen in fossile Infrastruktur auf Jahre hinaus, die dann zu mehr Emissionen führen. Insofern ist es sehr relevant, jetzt zu handeln und sich nicht darauf auszuruhen, dass das Budget vermutlich eingehalten wird.

Wir betonen auch, dass man unbedingt das Ziel der Klimaneutralität stärker in den Blick nehmen muss. Man kann sagen, 2045 ist noch weit. Aus Klimasicht ist das aber sehr nah. Also wenn wir jetzt bestimmte Technologien nicht aufbauen und nicht im Landnutzungssektor etwas ändern, dann werden wir da in riesige Probleme hereinlaufen. Das muss jetzt angegangen werden, denn 20 Jahre sind gerade bei Technologieentwicklung und der Neuausrichtung von Investitionen wirklich kein großes Zeitfenster.

Das Gespräch führte Anja Martini für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.