Thomas Jarzombek: So soll Deutschland zur KI-Nation werden

4

Sie lesen den KI-Newsletter “Natürlich intelligent” vom 15. Mai 2025. Um den Newsletter jeden zweiten Donnerstag per Mail zu erhalten, melden Sie sich hier an.

ChatGPT stammt aus den USA. In Taiwan werden die Prozessoren hergestellt, die künstliche Intelligenz (KI) erst möglich machen. Der neue technische Ansatz, der die Welt im Januar kurzzeitig in Aufregung versetzte, kam von einem chinesischen Start-up. Und Deutschland? Soll “KI-Nation” werden. Nichts Geringeres stand im Titel des Vortrags, den Thomas Jarzombek, parlamentarischer Staatssekretär im neuen Digitalministerium, am Mittwoch auf der Branchenkonferenz Rise of AI in Berlin gehalten hat.

Die neue Regierung ist erst wenige Tage im Amt, das “Regierungs-Start-up” Digitalministerium, wie Jarzombek es auf der Bühne nannte, noch im Aufbau. Daran gemessen gibt es schon recht konkrete Pläne, so klang es jedenfalls im Gespräch mit ZEIT ONLINE am Rande der Konferenz. Der CDU-Abgeordnete aus Düsseldorf gilt als profilierter Digitalpolitiker, von 2019 bis 2021 war er im Wirtschaftsministerium Beauftragter für Digitale Wirtschaft und Start-ups. Zuletzt war er forschungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion.

Das neue Ministerium hat einerseits die Aufgabe, den Staat selbst zu modernisieren, die Verwaltung zu digitalisieren. Jarzombek hält es andererseits für ebenso wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem KI-Unternehmen erfolgreich sein können. “Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, entstehen überall neue Dinge”, sagt er.

Es ist nicht so, als wäre Deutschland völliges KI-Neuland. In keinem anderen europäischen Land nutzen so viele Menschen ChatGPT. Und die Programmierschnittstelle zu den KI-Modellen der ChatGPT-Firma OpenAI – quasi die Profi-Version, die man in eigene Anwendungen einbauen kann – wird nur in den USA noch mehr verwendet als in Deutschland. Das zeigt, welchen Bedarf gerade Firmen an KI haben. Nur geht deren Geld derzeit häufig in die USA.

Zumindest staatliches Geld soll in Zukunft eher an deutsche Unternehmen gehen. “Der Staat als großer Kunde für Start-ups, damit haben wir schon im Bereich Raumfahrt gute Erfahrungen gesammelt”, sagt Jarzombek. Schullizenzen für ChatGPT etwa sieht er kritisch.

Braucht Deutschland also ein eigenes OpenAI? “Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, in das Rennen um große Sprachmodelle einzusteigen”, sagt Jarzombek. “Eher sollte man sehen, was das nächste große Ding ist.” Sogenannte KI-Agenten etwa, die komplett selbstständig Aufgaben erfüllen. Eine Stärke Deutschlands könne auch in “kleineren spezifischen Modellen” liegen, sagt er.

Doch auch diese Modelle brauchen Rechenleistung. Die Regierung will dafür sorgen, dass 100.000 zusätzliche Prozessoren, die besonders gut für das Training von KIs geeignet sind (GPUs), in Deutschland installiert werden. Mögliche Standorte wären Stuttgart oder das nordrhein-westfälische Jülich. An beiden Orten wurden kürzlich neue Supercomputer in Betrieb genommen, in Jülich etwa mit 24.000 Hochleistungs-GPUs. Jarzombek schließt aber auch andere Standorte nicht aus. “Wettbewerb ist gut”, sagt er.

Vor allem aber soll die Rechenpower auch von Firmen genutzt werden können. Bisher stehen solche Supercomputer vor allem der Forschung zur Verfügung. “Ein solches Vorhaben wird zum Teil privat finanziert werden müssen, und es müssen auch Unternehmen Zugang dazu haben”, sagt Jarzombek. Auch für kleine Start-ups soll das unkompliziert möglich werden.

Und dann ist da noch das Thema Regulierung. Im Digitalministerium liegt die Zuständigkeit für den AI Act, ein europäisches Gesetz, das die möglichen Gefahren der Technologie eindämmen soll. Vielen Unternehmern ist es – gelinde gesagt – lästig, weil teure Arbeitskraft in Bürokratie fließt statt in die Weiterentwicklung der Technik. Wie die Regierung mit diesem Thema umgeht, dürfte entscheidend sein, nicht zuletzt was die Stimmung in der Branche angeht.

Jarzombek rief den Branchenvertretern auf der Bühne in Berlin zu, dass man Regulierung als Chance begreifen solle. Wie das gemeint ist? “Regulierung schafft Klarheit”, sagt er im Gespräch. Deshalb müsse das Gesetz möglichst schnell umgesetzt werden. “Wenn jeder weiß, was geht und was nicht geht, kann man ohne Zweifel Investitionen tätigen.” Aber er sagt auch: “Wir dürfen keine Regulierung aus dem Elfenbeinturm machen.”

Eine Regierung kann Innovation nicht verordnen und Zufriedenheit mit Regulierung erst recht nicht. Immerhin: Jarzombek spricht die Sprache der Tech-Unternehmen. “Wir brauchen einen UX-Fokus”, sagt er. UX steht für User Experience, Nutzererfahrung. Gemeint ist: Auch bei staatlicher Software geht es nicht nur darum, dass sie funktioniert, sondern auch, dass man sie gerne benutzt – aus dem Mund eines Digitalpolitikers in Deutschland ist das keine selbstverständliche Aussage.

Links zum Weiterlesen

Wie viele Politiker spricht auch Jarzombek vom “Deutschland-Stack” für heimische Software. Was sich dahinter verbirgt, erklärt Tagesspiegel Background.

Die Probleme, oder wie Manager lieber sagen: die Herausforderungen, die auf Digitalminister Karsten Wildberger zukommen, beschreibt meine Kollegin Petra Pinzler.

Auch Bundeskanzler Friedrich Merz sprach in seiner Regierungserklärung im Bundestag darüber, es Unternehmen leichter machen zu wollen. Seine Rede war aber wenig inspirierend, schreibt mein Kollege Fabian Reinbold.  

Über KI nachdenken

Rosige Aussichten: Mark Zuckerberg glaubt, dass die meisten unserer Freunde künftig KIs sein werden. Und dazu noch unsere Therapeuten und Einkaufsberater. (Wall Street Journal)

Warum KI-Therapeuten vielleicht nicht die beste Idee sind, erklärt The Verge: “KI-Therapie ist eine Überwachungsmaschine in einem Polizeistaat” (The Verge)

An einer US-Uni ärgern sich nicht die Professoren, dass ihre Studenten ChatGPT nutzen – sondern die Studenten, dass ihre Dozenten auf den Chatbot setzen. Macht KI die Lehre besser oder schlechter? (New York Times)

Mit KI herumspielen

TikTok bringt generative KI-Videos in seine App: Mit der Funktion “AI Live” können Nutzer aus Bildern kurze Videos machen. Wie heise berichtet, will TikTok jedes Bild und jedes Video, das daraus erstellt wird, überprüfen. (heise)

Eingeschüchtert von KI sind Sie wahrscheinlich nicht, wenn Sie diesen Newsletter lesen. Trotzdem gibt es viele Leute, die noch nie KI ausprobiert haben, weil sie nicht recht wissen, wie. Das Wall Street Journal erklärt, wie man auch jetzt noch anfängt. (Wall Street Journal)

Googles KI Gemini kommt auf weitere Geräte: Bald soll der Assistent auch auf Smartwatches, Fernsehern und in Autos laufen. Im Fahrzeug soll Gemini dann etwa Benachrichtigungen zusammenfassen oder auf anstehende Termine hinweisen. (Golem)