In den nächsten Wochen heißt es für viele Arbeitnehmer wieder, Belege und Quittungen für das Finanzamt zusammenzusuchen: vom neuen Laptop für die dienstlichen Belange über die Schreibtischlampe bis zu der Briefmarke, die für den an den Arbeitgeber gerichtete Krankmeldung gebraucht wurde. Bis Ende Juli sollte jeder seine Einkommensteuererklärung beim Finanzamt einreichen, wenn er das ohne einen Steuerberater macht.
Also gilt es jetzt nachzuhalten: Wann war ich im Büro? Das ist notwendig, um die Fahrtkostenpauschale richtig ermitteln zu können. Immerhin gibt es 30 Cent für den Entfernungskilometer, vom 21 Kilometer an sogar 38 Cent. Für die Arbeitstage am heimischen Küchentisch gibt es auch einen Bonbon vom Fiskus: Immerhin 6 Euro am Tag – maximal 1260 Euro im Jahr, also für 210 Tage. Damit sich das Sammeln, Sichten, Sortieren und Einreichen lohnt, sollte man auf mehr als 1230 Euro kommen. Denn so hoch ist der Arbeitnehmerpauschbetrag, den das Finanzamt ohnehin berücksichtigt. Nur wer mehr Kosten nachweist, die im Zusammenhang mit seiner Arbeit stehen, kann auf eine Steuererstattung hoffen.
Hier beginnt das Problem: Stehen die eingereichten Aufwendungen tatsächlich immer im Zusammenhang mit der Arbeit und dem Einkommen? Die Steuerzahler können in Versuchung geraten, einen Bezug vorzugaukeln, den es nicht gibt. Das Finanzamt kommt nicht hinterher, alles im Detail zu prüfen. Teilweise arbeiten die Beamten mit internen Schwellenwerten, solange die Steuerzahler mit ihren Kosten darunter liegen, wird ihr Ansatz nicht in Frage gestellt.
Verdienstvoller Versuch der „Entwustung“
Hinzu kommt ein grundsätzliches Problem: Vielleicht ist der längere Fahrtweg zur Arbeitsstätte dem privaten Wunsch geschuldet, im grünen Umfeld der Stadt zu wohnen? Oder ist die Entfernung zum Büro unvermeidlich, weil der Partner in die andere Richtung pendeln muss? Der Fiskus differenziert hier nicht. Man spricht von gemischten Kosten. Das Pendeln zur Arbeit wird pauschal bei der Steuer berücksichtigt – in manchen Fällen sind die anerkannten Kosten höher als die tatsächlichen, in anderen sind sie niedriger.
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat den verdienstvollen Versuch unternommen, den Wust an möglichen Steuerabzügen auf seine Sinnhaftigkeit zu prüfen. Einleitend befindet er nüchtern: „Das deutsche Einkommensteuersystem weist im internationalen Vergleich eine hohe Regelungsdichte und Komplexität auf.“ Es kenne mehr als 500 verschiedene Abzugsmöglichkeiten, mehr als die meisten anderen Länder. Nur Österreich habe ähnlich detaillierte Bestimmungen für Werbungskosten. „Die meisten anderen Länder kombinieren pauschale Abzüge mit nur sehr wenigen bis gar keinen Abzugsmöglichkeiten.“
Weshalb ist das deutsche Vorgehen nach Ansicht der Wissenschaftler ein Problem? Sie zitieren Untersuchungen, nach denen Steuerpflichtige in Deutschland durchschnittlich rund zehn Stunden aufwenden, um ihre Einkommensteuererklärung auszufüllen und den damit verbundenen Nachweispflichten nachzukommen. Die Befolgungskosten, also der finanzielle Aufwand, der Bürgern für die Einreichung der Steuererklärung entsteht, werden mit im Mittel rund 320 Euro angegeben. Dieser Aufwand steige mit dem Einkommen. Zudem gebe es einen Unterschied zwischen Arbeitnehmern mit einem Aufwand von durchschnittlich 224 Euro und Selbständigen mit durchschnittlich 870 Euro. Diese Kosten machten rund 2 bis 2,9 Prozent des Einkommensteueraufkommens aus und lägen damit höher als in mehreren anderen europäischen Ländern.
Hohe Komplexität – viele Nachteile
Die hohe Komplexität hat weitere Nachteile. Sie belastet nach dem Gutachten die Finanzämter in Zeiten wachsenden Fachkräftemangels, erhöht das Risiko von Vollzugsdefiziten, sorgt für viele Einsprüche gegen Steuerbescheide und befördert Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Das Gremium, das den Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) berät, schreibt unter Verweis auf empirische Forschungspapiere: „Steuerpflichtige verzerren ihr reales Verhalten, um steuerliche Vergünstigungen nutzen zu können, oder machen falsche Angaben zu Abzugstatbeständen.“
Der Beirat wirbt dafür, das System mit Pauschalierungen und Typisierungen zu vereinfachen. Konkret schlägt er vor, die Arbeitsmittel und Mehraufwand für Verpflegung, die bei Dienstreisen geltend gemacht werden können, bei den Arbeitnehmern aus dem Katalog der abzugsfähigen Werbungskosten zu streichen. Sie seien durch die Finanzbehörden schwer zu prüfen. Die Wissenschaftler bauen stattdessen auf die Bindung zwischen den Beschäftigten und ihren Arbeitgebern. Es sei grundsätzlich zu erwarten, dass diese entsprechende Kosten übernähmen, die Arbeitgeber könnten den Aufwand dann steuerlich geltend machen.
Der zweite Reformvorschlag setzt an der Schnittstelle von Entfernungspauschale, Homeoffice-Pauschale und häuslichem Arbeitszimmer an. Der Beirat spricht sich dafür aus, diese zusammenzufassen in einer neuen Arbeitstagepauschale. Dies knüpfe „an einem leicht beobachtbaren und digital erfassbaren Merkmal, dem Arbeitstag, an und ist für Finanzbehörden einfach administrier- und durchsetzbar“, argumentiert der Beirat. Einen Betrag nennt er dafür nicht – anders als die jüngst vom Ministerium eingesetzte Expertenkommission „Bürgernahe Einkommensteuer“, die ebenfalls eine solche Arbeitstagepauschale vorgeschlagen hat. Bei ihr war von 6 Euro je Tag die Rede – nur für extreme Fälle wie Fernpendler hatte sie eine Zusatzregelung ins Spiel gebracht. Mit 6 Euro und 220 Arbeitstagen käme man auf 1320 Euro, das wären 90 Euro mehr als mit dem geltenden Arbeitnehmerpauschbetrag.
Der Beirat nennt keine Autoren für das Gutachten, aber Dominika Langenmayr (Universität Eichstätt-Ingolstadt), Martin Jacob (IESE Business School, University of Navarra) und Nadine Riedel (Universität Münster) sollen das Papier im Wesentlichen verfasst haben. „Wir haben keinen Betrag für die Arbeitstagepauschale genannt, da es uns um konzeptionelle Überlegungen geht. Sobald eine Zahl im Raum steht, geht es schnell darum, wer entlastet wird und wer nicht“, sagte Langenmayr der F.A.Z. Dann trete der Vereinfachungsgedanke leicht in den Hintergrund.
Zudem seien die Höhe der Steuer und die Höhe der Abzüge Entscheidungen, die demokratisch legitimierte Politiker treffen sollten und nicht Wissenschaftler. „Unser Anliegen war, aufzuzeigen, wie das Einkommensteuersystem vereinfacht werden kann und zugleich möglichst wenig Entscheidungen verzerrt.“ Eine stärkere Pauschalisierung sei zudem Voraussetzung für mehr Digitalisierung – also für das Ziel einer vorausgefüllten Steuererklärung. „Es wäre jedenfalls wichtig, dass man tatsächlich nicht mehr jeden Briefmarkenkauf einzeln angeben kann, damit die Pauschale auch wirklich zu einer Vereinfachung führt.“ Eine Vereinfachung rein über eine höhere Pauschale, so dass sich das Absetzen einzelner Posten nicht mehr lohnt, wäre fiskalisch sehr teuer und hätte sehr große Mitnahmeeffekte zur Folge, betonte Langemayr.