Neue Gentherapie bei Kind mit seltener Erbkrankheit erfolgreich

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Stand: 16.05.2025 10:57 Uhr

In den USA haben es Forschende erstmals geschafft, ein Kind innerhalb weniger Monate mit einer personalisierten Gentherapie zu behandeln. Expertinnen und Experten sprechen von einem Meilenstein.

Von Franziska Ehrenfeld, SWR

Kyle Junior, kurz KJ, kam im Sommer 2024 mit einer seltenen genetischen Stoffwechselerkrankung zur Welt: mit einem CPS1-Mangel. Viele Kinder sterben schon früh daran.

CPS1 ist ein Enzym in der Leber, das eine wichtige Rolle für den Harnstoffwechsel spielt. Bei KJ waren die entsprechenden Gene allerdings an einer wichtigen Stelle verändert, sein Körper stellte das Enzym fehlerhaft her. Die Folge: KJ konnte Proteine nicht richtig abbauen. Das führte zu einem erhöhten Ammoniakgehalt in KJs Blut und hätte wiederum zu Organschäden führen können, etwa am Gehirn.

Lebertransplantation zunächst keine Option

Der Junge wurde daraufhin im Kinderkrankenhaus von Philadelphia behandelt. Er musste sich sehr proteinarm ernähren und erhielt Medikamente, die seinen Ammoniakspiegel senkten – keine Lösung auf lange Sicht.

KJs Eltern standen also vor einer schweren Wahl: Warten bis KJ alt genug ist für eine Lebertransplantation oder eine Gentherapie nutzen, die zum ersten Mal zum Einsatz kommt. Sie entschieden sich für Letzteres, denn KJ sollte ein möglichst normales Leben führen.

Neues Medikament baut auf CRISPR/Cas9 auf

In den folgenden Monaten entwickelte ein Team um Rebecca Ahrens-Nicklas und Kiran Musunuru eine Methode, um KJs defekte Gene zu bearbeiten. Diese personalisierte Gentherapie nutzt eine Weiterentwicklung der Genschere CRISPR/Cas9. Das Medikament korrigiert defekte Gene, indem es einzelne Bestandteile austauscht.

Das Forschungsteam testete seinen Ansatz in Zellen, an Mäusen und Affen. Rund sieben Monate nach seiner Geburt wurde KJ zum ersten Mal damit behandelt: mit einem personalisierten Medikament, das er über eine Infusion erhielt.

Eine außergewöhnliche Arbeit in Rekordzeit, findet etwa Marc Güell, Professor für Synthetische Biologie an der Pompeu Fabra Universität in Barcelona.

Gentherapie zumindest vorläufig erfolgreich

Offenbar war die Therapie erfolgreich, denn KJ konnte laut den Forschenden schon nach seiner ersten Infusion mehr Proteine zu sich nehmen und musste nur noch halb so viele Ammoniakblocker einnehmen. Die Studie zu seinem Fall wurde jetzt im Fachjournal “The New England Journal of Medicine” veröffentlicht.

Bis April 2025 erhielt KJ insgesamt drei Dosen der Gentherapie – offenbar ohne ernsthafte Nebenwirkungen, wie das Kinderkrankenhaus in Philadelphia mitteilt.

Nanopartikel anstatt Adenoviren

Dass der Junge mehrere Dosen des Medikaments erhalten konnte, ist eine weitere Besonderheit des neuen Therapieansatzes: Andere Gentherapien nutzen nämlich Adenoviren, um den Wirkstoff zu den Zellen zu bringen. Und gegen diese wehrt sich unser Immunsystem, wenn es sie wiedererkennt – das Medikament wirkt dann nicht mehr. Bei KJ transportierten Nanopartikel den Wirkstoff.

Wie viele von KJs Leberzellen tatsächlich funktionierende CPS1-Enzyme bilden, wissen die Forschenden noch nicht. Dafür wäre eine Biopsie der Leber des Jungen notwendig, was in seinem Alter schwierig ist. Außerdem muss der Junge jetzt langfristig beobachtet werden, damit die Forschenden Nutzen und Sicherheit der Therapie vollständig beurteilen können.

Expertinnen und Experten loben die Studie

Julian Grünewald forscht an der TU München an Gentherapien. Gegenüber dem Science Media Center lobte er die Studie:

Selbstverständlich ist die Nachbeobachtung bis jetzt kurz. Allerdings ist diese initiale Phase am kritischsten, und die hat der Patient gut überstanden. Alles in allem sind die Ergebnisse spektakulär für das Feld der Gen- und Zelltherapie.

Maja Hempel leitet die Genetische Poliklinik am Universitätsklinikum Heidelberg. Auch sie schätzt die Ergebnisse als vielversprechend ein:

Die nachgewiesene Wirksamkeit, die gute Verträglichkeit und die Möglichkeit wiederholter Gaben des Medikamentes machen die Gentherapie, zu einer individualisierten Therapie mit großem Potenzial. Das ist eine gute Nachricht für alle Patienten mit genetischen Erkrankungen und deren Familien.

Auch für andere seltene Krankheiten denkbar

Bisher konnten nur Patientinnen und Patienten mit häufigeren Erkrankungen von Gentherapien profitieren. Denn für sie gibt es universelle Behandlungsmethoden. Das Forschungsteam aus Philadelphia geht jetzt davon aus, dass solche patientenspezifischen Therapien künftig auch für viele seltene Erbkrankheiten zur Routine werden.

Baby KJ haben die Forschenden vielleicht das Leben gerettet. Er ist inzwischen zuhause angekommen, sagt Vater Kyle: “Unsere ganze Welt hat sich um diesen kleinen Kerl und seinen Krankenhausaufenthalt gedreht. Wir freuen uns so sehr, endlich wieder zuhause zusammen zu sein, damit KJ bei seinen Geschwistern sein kann und wir endlich wieder durchatmen können.”