Die Zweiklassengesellschaft in Deutschland müsste eigentlich im Plural daherkommen. Da sind die Städter und die Landeier, die Ossis und die Wessis, die Mieter und die Eigentümer, die Manager und die Malocher, die Privatversicherten und die Kassenpatienten. Doch kaum ein Graben ist tiefer als jener zwischen Angestellten und Beamten.
Die Frage, ob den Staatsdienern zu viele Privilegien eingeräumt werden, führt zuverlässig zu Streit. Wer ihn sucht, braucht das Thema bloß anzutippen, wie jüngst die designierte SPD-Vorsitzende Bärbel Bas. Sie hat gefordert, Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen, ebenso wie Selbständige. Und – mit demonstrativer Demut, wie mancher raunt – auch Abgeordnete wie sie. In der CDU, mit der die SPD erst seit wenigen Tagen eine neue Regierung bildet, kam das nicht gut an.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Anders dürfte es in der breiten Bevölkerung aussehen, die laut Umfragen mit großer Mehrheit dafür ist, neue Staatsbedienstete künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Das scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar: Die Beamtenpension in Deutschland beträgt laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 3240 Euro, im höheren Dienst sogar 4973 Euro. Wer sein Leben als Angestellter verbracht hat, kann hingegen im Durchschnitt nur mit 1.150 Euro rechnen. Der Unterschied wird kleiner, wenn man die Betriebsrenten vieler Angestellter und das tendenziell höhere Qualifikationsniveau von Beamten berücksichtigt. Dennoch empfinden viele die stark steigenden Kosten des Systems als ungerecht: 53 Milliarden Euro steckte der Staat 2022 in die Versorgung seiner 1,4 Millionen Pensionäre, hinzu kommen Kosten für Hinterbliebenenversorgung und Beihilfen. Und es wird jedes Jahr teurer.
„Die längerfristige Entwicklung der Versorgungsausgaben ist ein finanzpolitisches Problem ersten Ranges“, sagt Martin Werding, Professor für öffentliche Finanzen in Bochum und Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft der Bundesregierung. „Wir müssen an dieses System rangehen.“ Eine Reform müsste jedoch nicht nur viele rechtliche und politische Hürden nehmen. Sie könnte empfindliche Konsequenzen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Altersvorsorge haben – und vor allem verändern, welche Menschen sich künftig noch in den Dienst des Staats stellen.
Auf kurze Sicht würde der Vorschlag von Bas dazu beitragen, das Rentenniveau zu stabilisieren. Schließlich gäbe es zunächst mehr Beitragszahler, aber nicht mehr Rentner. Dieser Effekt verpufft aber, wenn die Staatsdiener den Ruhestand erreichen – und trifft das System umso härter, da Beamte eine statistisch rund zwei Jahre längere Lebenserwartung als Angestellte haben. Für die öffentlichen Haushalte, aus denen die Ausgaben für die Beamtenversorgung bisher finanziert werden, würde sich die Lage schon in der Übergangszeit verschärfen: Nicht nur müssten sie die Pensionäre aus dem alten System bedienen. Sie müssten zugleich für die neuen Beamten vorsorgen, was bei gleichbleibenden Nettobezügen hieße, sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteil zu stemmen. „In dem gleichen Umfang, wie man für Mehreinnahmen bei der Rente sorgt, reißt man also Löcher in die öffentlichen Haushalte, die das Geld eigentlich für laufende Pensionen brauchen“, fasst der Wirtschaftsweise Werding zusammen.
Die Einnahmen strikt trennen
Mit seinen Kollegen aus dem Sachverständigenrat hat Werding einen Vorschlag entwickelt, wie die Altersvorsorge von Beamten und Angestellten dennoch zumindest teilweise in ein gemeinsames System überführt werden könnte. Wie bei vielen Angestellten würde sich die Altersvorsorge der Beamten aus einer gesetzlichen Rente und einer Betriebsrente zusammensetzen, die dann vom Dienstherrn zu zahlen wäre. Damit das zusätzliche Geld in der gesetzlichen Rentenkasse nicht einfach für höhere Auszahlungen und niedrigere Beiträge ausgegeben wird, landen die Beiträge der Beamten in einem gesonderten Topf. Aus diesem Topf würde die aktuelle Versorgung der Pensionäre mitbestritten – zunehmend in dem Maße, wie er sich im Laufe der Jahre durch mehr Beitragszahler füllen wird. Mit der zweiten Säule, die an die betriebliche Altersvorsorge angelehnt ist, würde die Altersvorsorge aufgestockt.
Dieses System wäre transparenter, so Werding, und Einschnitte der gesetzlichen Rentenversicherungen beträfen automatisch auch die Beamten, etwa in puncto Rentenniveau. Diese bekämen die Beamten allerdings nur zu spüren, wenn man mithilfe der Stellschraube „Betriebsrente“ nicht einfach am bisherigen Pensionsniveau festhielte. Zumindest am Anfang würde man das mit Blick auf die Durchsetzbarkeit der Reform zwar wohl noch tun. Auf lange Sicht müsste man sich von dem vollständigen Ausgleich allerdings verabschieden, da sich sonst an den Kosten nichts ändern würde.
Ein größerer und einfacher zu bedienender Hebel wäre es, weniger Personal zu verbeamten. Überall dort, wo staatliche Zwangsgewalt und die Unabhängigkeit der Staatsdiener besonders wichtig ist – also etwa in Polizei, Justiz und Finanzverwaltung –, müsste der Beamtenstatus bleiben, schon aus rechtlichen Gründen. Anders als bei Lehrern, die per Definition keine „hoheitlichen Aufgaben“ erfüllen. Bereits heute arbeiten viele Quereinsteiger an den Schulen als Angestellte. Dennoch steigt seit Mitte der 2010er-Jahre die Zahl der Beamten und Richter wieder, nachdem sie lange zurückgegangen ist. Neben einem immer komplexeren Staatsapparat liegt das auch daran, dass viele Ämter und Behörden weiterhin auf den Beamtenstatus setzen. Ein oft vorgebrachtes Argument: Privilegien wie die Pension seien entscheidend, damit der Staat als Arbeitgeber attraktiv bleibt. Schließlich lägen die Bezüge oft unter den Gehältern in der freien Wirtschaft, insbesondere etwa bei Ingenieuren, Topjuristen oder Informatikern.
Pensionen als Vorteil bei Bewerbern
Maximilian Zekorn von Hapeko rekrutiert Leute im Auftrag der öffentlichen Hand. Er bestätigt: Der Anspruch auf Pension wirkt als Ausgleich. „Wir merken, dass sich in den letzten Jahren politisch und gesellschaftlich eine große Unsicherheit breitgemacht hat. Eine Pension ist ein Stabilitätsanker und ein klarer Wettbewerbsvorteil des öffentlichen Diensts gegenüber der Privatwirtschaft.“ Würde man diesen abschaffen oder relativieren, müsse man andere Faktoren verbessern. „Da sind wir dann beim Thema Besoldung beziehungsweise Karriereaussichten.“
Mehr Geld während des Berufslebens und weniger im Ruhestand: Damit würde man die Verteilung des Einkommens in einem Beamtenleben stärker den Angestellten angleichen. „Das könnte die Durchlässigkeit zwischen öffentlichem Dienst und freier Wirtschaft erhöhen“, sagt Martin Werding. Gerade ist es ja so: Wer einmal den Beamtenstatus erreicht hat, gibt ihn in der Regel nicht mehr auf. Denn sonst verlöre er den Anspruch auf Pension und würde in der gesetzlichen Rentenkasse nachversichert, was mit deutlichen Einbußen in der Altersvorsorge einhergeht.
Umgekehrt ist es nicht leicht, als Angestellter zum Beamten zu werden. Weil für die Höhe der Pension neben der Dienstzeit das letzte Grundgehalt vor dem Ruhestand zählt, sind die Dienstherren umso zurückhaltender mit der Anstellung, je älter der Bewerber ist. Die Grenze für eine Verbeamtung liegt in den Bundesländern zwischen 40 und 50 Jahren. In fortgeschrittenem Alter seien nur wenige bereit, beim Gehalt einen Rückschritt hinzunehmen, erst recht wenn sie nicht einmal eine Pension erwarten, sagt Zekorn von Hapeko.
Beamte mit schlechtem Image
Die Frage ist, ob es überhaupt eine gute Entwicklung wäre, mehr Quereinsteiger im öffentlichen Dienst zu haben. Einerseits könnte er sicherlich von erfahrenen Leuten aus der freien Wirtschaft profitieren. Die viel beschworene Staatsmodernisierung bedarf neuer Impulse und mitunter unkonventioneller Methoden. Da scheint ein Anreizsystem, das Karrieren in behördlichen Silos fördert, wenig zeitgemäß. Andererseits gibt es Gründe für die Verknüpfung von lebenslanger Treue mit lebenslanger Fürsorge. Der „Belohnung zum Schluss“ in Form der Pension kann Wirtschaftsweise Werding auch Gutes abgewinnen. Sie trage zu einer „Bestenauslese“ im Sinne der öffentlichen Verwaltung bei: „Gehört das nicht zu einem Berufsstand dazu, von dem wir wollen, dass er gesetzestreu und unbestechlich ist, dass er unabhängig von den jeweiligen Politikern und im Sinne des Gemeinwohls handelt?“
Diese Frage berührt den Kern der anfänglichen Debatte: Es geht darum, ob Beamte einen gesellschaftlichen Mehrwert stiften, der eine überdurchschnittliche und von der Allgemeinheit finanzierte Versorgung im Alter rechtfertigt. Dass viele Deutsche das nicht so sehen, verrät einiges über ihr Bild von ihren verbeamteten Mitbürgern. Im öffentlichen Dienst schiebe man eine ruhige Kugel, heißt es gern, und schleppt sich ein Anliegen, so liegt es gewiss am Sachbearbeiter, der um 14 Uhr den Stift fallen lässt. Allein die Modalitäten des Pensionssystems lassen eine bestimmte Persönlichkeit vermuten: Welcher Typ Mensch verzichtet schon auf ein besseres Gehalt zugunsten von Unkündbarkeit und einer guten Altersvorsorge?
„Die Forschung zeigt schon, dass Beamte tendenziell risikoscheu sind“, sagt Isabella Proeller, Inhaberin des Lehrstuhls für Public und Nonprofit Management an der Universität Potsdam. Allerdings müsse man differenzieren: „Nur weil einem finanzielle Absicherung wichtig ist, kann man trotzdem bei der Arbeit Neues wagen wollen.“ Sie verweist auf eine Studie dänischer Wissenschaftler. Diese zeigt, dass die Offenheit für Veränderung bei Mitarbeitern im öffentlichen und privaten Sektor gleich stark ausgeprägt ist. Für die Studie haben die Forscher 20 Länder untersucht, darunter auch Deutschland. Das wirft die Frage auf, ob Quereinsteiger dann überhaupt so große Neuerungen anstoßen könnten – oder ob die Bürokratie in der Verwaltung nicht andere Gründe hat.
Der Wirtschaftsweise Werding meint: Im Staatsdienst werde Engagement weniger stark honoriert, Fehler hingegen würden tendenziell härter bestraft. Dazu passt, dass Staatsbedienstete laut der dänischen Studie regelkonformer und angepasster sind als Angestellte. Das stabilisiert die Verwaltung, sagen die Forscher. Zugleich hemmt es Veränderungsprozesse.
Als Fazit bleibt: Reformiert man mit den Pensionen einen Teil des Anreizsystems, muss man viel mehr abwägen als offensichtliche finanzielle Folgen für die Alterssicherung.