Tesla-Whistleblower: „Das Problem ist Elon“

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Eigentlich wollte Matthew LaBrot anonym bleiben. Aber er war sich bewusst, dass er seinen Job aufs Spiel setzte, als er seine Kampagne gegen Elon Musk startete – seinen eigenen Chef. „Tesla-Beschäftigte gegen Elon“, so nannte er die Internetseite, die er am 24. April freischaltete. Dort forderte er in einem offenen Brief Musks Absetzung als Vorstandschef des Elektroautoherstellers. „Das Problem ist Elon“, schrieb er zur Erklärung für die zuletzt schrumpfenden Verkaufszahlen. Musks „persönliche Marke“ sei auf Dauer beschädigt, und darunter habe jetzt Tesla zu leiden.

Es dauerte keine zwei Tage, bis das Unternehmen herausfand, wer hinter der Aktion steckte. LaBrot wurde umgehend entlassen. Das bedeutete nach etwas mehr als fünf Jahren ein abruptes und unfreiwilliges Ende seiner Karriere als Vertriebsmanager bei Tesla. Es war eine Zeit, die er unter dem Strich genossen hat, auch wenn sie ihm wie eine Achterbahnfahrt vorkam. „Mal war es der schlimmste und mal der beste Job meines Lebens, das konnte sich von Tag zu Tag ändern“, sagt er rückblickend zur F.A.Z.

Seit seinem Rauswurf setzt er seine Kampagne umso energischer fort. Er gab seine Identität in der Öffentlichkeit preis, schloss sich der Anti-Musk-Protestbewegung „Tesla Takedown“ an und verbreitet mit Vehemenz die Botschaft, Tesla brauche eine neue Führung. Gehe es weiter wie bisher, werde sich die angespannte Geschäftslage noch verschlechtern, sagt er. „Ich glaube, das Unternehmen kann nicht überleben, wenn nichts Dramatisches geschieht.“

Inmitten all der Kritik, die sich derzeit gegen Musk und Tesla richtet, sticht LaBrots Aktion hervor, weil sie aus dem Unternehmen selbst kam. LaBrot war gewissermaßen ein Whistleblower, bevor er gefeuert wurde. Er gibt zu, die Internetseite und der Brief seien allein sein Werk gewesen, auch wenn der Titel suggeriert, es handele sich um eine ganze Gruppe von Mitarbeitern. Er habe Kollegen nicht dem Risiko aussetzen wollen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, sagt er. Aber er gibt sich überzeugt, seine Meinung werde weithin im Unternehmen geteilt.

In den USA wie hierzulande: Tesla-Autos mit Anti-Musk-Stickern sieht man häufiger auf den Straßen.
In den USA wie hierzulande: Tesla-Autos mit Anti-Musk-Stickern sieht man häufiger auf den Straßen.Getty

„Ich bin mir sicher, mehr als 50 Prozent der Tesla-Mitarbeiter stimmen mit dem überein, was ich in dem Brief geschrieben habe.“ Die Reaktionen, die er aus der Belegschaft auf seinen Vorstoß bekommen habe, seien überwiegend positiv gewesen. „Was die Leute bei Tesla wirklich denken, bleibt im Verborgenen.“ Von manchen früheren Kollegen habe er gehört, sie hätten Angst, seinen Eintrag auf Linkedin zu liken, der sich um die Kampagne dreht.

Keine „gottähnliche Figur“

Der 35 Jahre alte LaBrot erinnert sich heute mit gemischten Gefühlen an seine Zeit bei Tesla. Er war lange mit Begeisterung bei der Sache, aber das wurde mehr und mehr von Ernüchterung über Musk überschattet. Nicht nur, weil ihn Musks politischer Aktivismus persönlich befremdete, sondern auch, weil er aus nächster Nähe beobachten konnte, wie dies mehr und mehr Spuren im Geschäft hinterließ. An einem gewissen Punkt begannen Kunden in Befragungen anzugeben, sie wollten sich wegen Musk keinen neuen Tesla mehr kaufen.

Vor seiner Zeit bei Tesla arbeitete LaBrot unter anderem für die Kaffeekette Starbucks und den Elektronikhändler Best Buy. Tesla hat ihn schon immer fasziniert. Er erinnert sich bis heute, wie „cool“ er es fand, als er zum ersten Mal den Roadster-Sportwagen sah, das erste Modell des Unternehmens. Entsprechend konnte er sich auch gut vorstellen, für Tesla zu arbeiten. Im Herbst 2019 nahm er ein Stellenangebot an. Erst hatte er eine Managementrolle in einer kalifornischen Filiale, dann war er für die Entwicklung von Programmen zum Verkaufstraining für Mitarbeiter zuständig. Dazu gehörte es zum Beispiel, Richtlinien für die Teams in den Filialen zu schreiben, was sie in ihren Verkaufsgesprächen mit Kunden besonders hervorheben sollen.

Tesla ist für eine Unternehmenskultur bekannt, die ihren Mitarbeitern aufopferungsvollen Einsatz und viel Improvisationsvermögen abverlangt. Das hat auch LaBrot so empfunden. Er erinnert sich, wie oft er in seiner Anfangszeit Kunden vertrösten musste, zum Beispiel wenn sie ihr neues Auto zum vereinbarten Termin abholen wollten, es aber noch nicht einmal produziert war. „In meinem ersten Jahr habe ich viel Zeit damit verbracht, mich bei Kunden zu entschuldigen.“ LaBrot hat auch einen erheblichen Verschleiß von Personal beobachtet. Er erklärt das mit mangelnder Hilfestellung im Unternehmen.

„Es war, als wirft man die Leute einfach ins Meer, und dann sinken oder schwimmen sie. Und viele Mitarbeiter, die vielleicht mit ein bisschen mehr Training phantastisch gewesen wären, sind eben gesunken.“ Freilich wird Leidensfähigkeit bei Tesla auch belohnt. LaBrot gibt zu, dank der Aktien, die Teil seines Gehalts waren, hätte er gerade in seinen ersten Jahren wohl nirgendwo anders so gut verdient, nicht einmal bei Internetgiganten wie Meta und Google. Der Aktienkurs hat sich in dieser Zeit vervielfacht, und deshalb konnte er es sich leisten, das Haus zu kaufen, in dem er heute lebt.

Kalifornischer Protest: Anti-Musk-Demonstration
Kalifornischer Protest: Anti-Musk-DemonstrationAFP

LaBrot hat Musk nie persönlich getroffen. Er fand es immer beeindruckend, wie der Tesla-Chef es verstanden hat, einen Mythos um das Unternehmen herum aufzubauen, aber er hat ihn selbst nie als „gottähnliche Figur“ wahrgenommen. Seine „Helden“ im Berufsalltag waren andere, zum Beispiel Kollegen, die betriebliche Prozesse verbesserten. „Am wichtigsten sind die Leute, die einem helfen, weniger angeschrien zu werden. Und dazu gehört Elon nicht.“

Vielmehr fühlte sich LaBrot von Musk oft in Erklärungsnot gegenüber Kunden gebracht. Zum Beispiel wenn der Tesla-Chef mit Ankündigungen voranpreschte, ein Softwareupdate werde in wenigen Tagen herauskommen, dies aber zu dem Zeitpunkt noch völlig ungewiss war. „Für mich war er in solchen Momenten nicht der größte Unternehmer aller Zeiten, sondern der Typ, der meinen Job schwieriger macht.“

„Den Kopf in den Sand gesteckt“

Einen Stimmungsumschwung in der Kundschaft bemerkte LaBrot erstmals Anfang 2022. Es war in der Zeit, in der Musk die Übernahme von Twitter einfädelte, damals fiel er auch verstärkt mit provozierenden Meinungsäußerungen auf und positionierte sich damit im rechten politischen Lager. Im eher linksliberalen Kalifornien kam das nicht gut an, und LaBrot bekam öfters mit, dass Kunden missbilligend über Musks Twitter-Einträge sprachen oder sagten, sie würden als Nächstes keinen Tesla mehr kaufen.

Das gab ihm aber noch nicht allzu sehr zu denken, weil diese kritischen Stimmen zahlenmäßig bei Weitem von Neukunden übertroffen wurden. Und er redete sich ein, Musks Twitter-Aktivitäten hätten mit ihm persönlich nichts zu tun, immerhin arbeite er daran, die Welt nachhaltiger zu machen. Im Nachhinein findet er, er habe damals „den Kopf in den Sand gesteckt“.

Musks Einsatz für Donald Trump im Präsidentenwahlkampf des vergangenen Jahres ließ Tesla noch viel tiefer in einen politischen Strudel geraten. 2024 hatte ohnehin schon ziemlich schlecht für Tesla begonnen, die Verkaufszahlen schrumpften, und es kam zu einem größeren Personalabbau. LaBrot hielt das aber noch nicht für alarmierend und erklärte es weitgehend mit widrigeren Marktbedingungen. Im Spätsommer, als Musk eine immer prominentere Rolle in Trumps Kampagne annahm, verdüsterte sich die Lage LaBrot zufolge dramatisch. Viele Kunden entschieden sich, bestellte Autos von Tesla doch nicht abzunehmen. Und anders als früher in solchen Fällen fanden sich nicht mehr sofort Ersatzkäufer, sondern die Fahrzeuge wurden dem Lagerbestand hinzugefügt.

LaBrot sah, dass Tesla auf einmal mit außergewöhnlich großzügigen Verkaufsanreizen warb. Und im Kundenservice, der früher berüchtigt war, nur langsam oder gar nicht auf Anfragen zu reagieren, herrschte plötzlich eine neue Dringlichkeit: „Jetzt musste man jede Nachricht beantworten.“ Dies war auch die Zeit, in der Befragungen den Schluss nahelegten, dass das schwindende Kundeninteresse mit Musk zusammenhing.

LaBrot meint, gerade die „Early Adopters“, also die frühesten Tesla-Kunden, hätten es Musk verübelt, sich auf die Seite eines Kandidaten gestellt zu haben, der sich oft abfällig über Elektroautos geäußert hat. Wie Tesla an Ansehen verloren hatte, spürte LaBrot auch, wenn er mit seinem Cybertruck unterwegs war. Oft zeigten ihm andere Verkehrsteilnehmer einen ausgestreckten Mittelfinger.

„Wenn Elon die Haare schneidet, bleibt kein einziges Haar übrig“

Für LaBrot persönlich war das Maß voll, als Musk am Tag von Trumps Amtseinführung auf einer Veranstaltung mit seinem Arm eine Geste machte, die viele Menschen als Hitlergruß interpretierten. „Ich war mir sicher, das wird ihm zum Verhängnis und kostet ihn seinen Job. Andere Vorstandschefs sind wegen Liebesaffären entlassen worden.“ Aber Musk blieb, und das Unternehmen gab sogar einige Wochen später ein öffentlichkeitswirksames Signal, hinter ihm zu stehen, als es gegen seine Gewohnheit eine von ihm moderierte Mitarbeiterversammlung live im Internet übertrug. „Da habe ich realisiert, der Mann kann sich erlauben, was er will, ohne dass Tesla Konsequenzen zieht.“

Im Februar begannen Proteste gegen Musk und Tesla. Sie haben vor allem mit seiner Rolle in der von Trump eingesetzten Arbeitsgruppe „Department of Government Efficiency“ oder „DOGE“ zu tun, die radikale Einschnitte in amerikanischen Behörden veranlasst hat. LaBrot fühlte sich zunehmend solidarisch mit den Demonstranten, auch deshalb, weil sein Schwiegervater daran teilnahm.

Er hielt „DOGE“ zwar anfangs für keine schlechte Idee, erinnerte sich aber auch daran, welches Chaos Restrukturierungsprogramme bei Tesla angerichtet hatten. Oft kamen nach Entlassungen Systeme zum Stillstand, oder Rechnungen wurden nicht mehr bezahlt. „Wenn Elon die Haare schneidet, bleibt kein einziges Haar übrig. Und ich stelle mir vor, in Regierungsbehörden hat das noch ganz andere Folgen als in einem privaten Unternehmen.“

LaBrot überlegte, wie er die Protestbewegung unterstützen konnte, ohne seinen Job zu verlieren, und kam auf die Idee, anonym einen Brief zu veröffentlichen, der im Namen von Tesla-Mitarbeitern Musks Rücktritt fordert. Er ergriff einige Vorsichtsmaßnahmen, um nicht entdeckt zu werden, beispielsweise kaufte er einen neuen Computer, um die Internetseite zu erstellen.

Die Seite ging live, kurz nachdem Tesla enttäuschende Geschäftsergebnisse für das erste Quartal gemeldet hatte. Musk sagte damals, er wolle sich wieder stärker auf den Autohersteller konzentrieren und weniger Zeit mit „DOGE“ verbringen. In seinem offenen Brief nannte LaBrot diese Ankündigung „beleidigend“. Musk schiebe die Schuld auf die Belegschaft, wenn er suggeriere, Tesla stecke in Schwierigkeiten, weil den Mitarbeitern seine Führung fehle. Der Brief war mit „Tesla-Beschäftigte für ein neues Kapitel“ unterschrieben.

Warum Tesla ihm so schnell auf die Schliche kam, weiß LaBrot selbst nicht genau. Er vermutet, es könnte damit zu tun haben, dass er sowohl auf seinem Privat- als auch auf seinem Dienstcomputer in seinem E-Mail-Konto eingeloggt war. Am Nachmittag des 26. April bekam er einen Anruf aus der Personalabteilung und wurde entlassen.

Er habe „Ressourcen des Unternehmens“ genutzt, um die Internetseite zu erstellen, hieß es zur Begründung, was LaBrot bestreitet. Bald danach wurde auch das Konto auf Musks Plattform X gesperrt, das er unter dem Namen „proteslanotelon“ für seine Aktion angelegt hatte – wegen Verletzung der Regeln gegen „unauthentisches Verhalten“. LaBrot hält das für reichlich ironisch, zumal Musk sich oft als Verfechter freier Meinungsäußerung beschrieben hat.

Nach seinem Rauswurf stellte sich LaBrot die Frage, wie er mit seiner Kampa­gne weitermachen sollte. Seine Frau riet ihm, jetzt erst recht in die Offensive zu gehen und der Entlassung damit einen größeren Sinn zu geben. Er beschloss, sich als Urheber des Briefes zu identifizieren, und zeigte sich auf Demonstrationen. Seinen Cybertruck besprühte er mit Worten wie „Anti Elon“. Auch wenn er jetzt erst einmal arbeitslos ist, findet LaBrot, seine Aktion habe sich gelohnt, allein schon wegen der überwiegend positiven Reaktionen von früheren Kollegen und auf Onlineplattformen. Einzelne boshafte Kommentare gab es freilich auch, zum Beispiel dass Tesla froh sein könne, ihn nicht mehr zu haben, weil er bestimmt faul gewesen sei.

LaBrot beschreibt Tesla bis heute als seinen „Traumjob“ und sagt, er unterstütze das Unternehmen und seine Mission weiter. Aber sollte Musk Vorstandschef bleiben, sagt er seinem früheren Arbeitgeber eine düstere Zukunft voraus. Er rechnet damit, dass die Geschäftszahlen im zweiten Quartal noch schlechter ausfallen werden als in den ersten drei Monaten des Jahres. Schon damals fielen Teslas Verkaufszahlen um 13 Prozent.

„Dieses Unternehmen wird gegen die Wand gefahren“

Das Unternehmen führte als eine wesentliche Erklärung die Umstellung der Fertigung auf eine neue Generation des Model Y an, aber LaBrot hält das für wenig überzeugend, denn nach seiner Beobachtung verkaufen sich auch die neuen Varianten des Modells schlecht. „Dieses Unternehmen wird gegen die Wand gefahren“, sagt er. Und er macht sich Sorgen, dass Musk versuchen könnte, dann die Regierung zu Hilfe zu rufen. „Er würde dann andere Leute verantwortlich machen und nicht sich selbst.“

Viele Analysten führen Teslas gegenwärtige Turbulenzen neben Musks umstrittenem politischem Aktivismus auch auf die als veraltet geltende Produktpalette zurück. LaBrot hält Musk für den Hauptgrund. Er meint zum Beispiel, das aufgefrischte Model Y sei „ein phantastisches Auto“ und wäre Tesla bis vor nicht allzu langer Zeit „aus den Händen gerissen worden“. Das „Wall Street Journal“ berichtete vor wenigen Wochen, Teslas Verwaltungsrat habe die Suche nach einem Ersatz für Musk eingeleitet, der Autohersteller hat dies aber in scharfen Worten dementiert. LaBrot glaubt nicht, dass Musk seinen Posten an der Tesla-Spitze aus freien Stücken aufgeben würde.

Musk selbst gibt unverdrossen optimistische Prognosen. Er sagt, Tesla könne eines Tages bei Weitem das wertvollste Unternehmen der Welt sein. Diese Zuversicht gründet er allerdings nicht auf das bisherige Kerngeschäft mit gewöhnlichen Elektroautos, sondern auf Teslas Aktivitäten rund um autonomes Fahren und humanoide Roboter. Diese Versprechungen dürften ein wesentlicher Grund sein, warum Tesla noch immer mit Abstand der am höchsten bewertete Autohersteller der Welt ist. LaBrot kann sich sogar dafür begeistern, was Musk als langfristige Vision beschreibt. Das müsse aber auch aus dem laufenden Geschäft finanziert werden, dafür müsse sich die Nachfrage stabilisieren. Zudem sei nicht klar, wie gut Tesla auf diesen Zukunftsfeldern positioniert sei. Wenn es zum Beispiel um Roboterautos gehe, seien andere Anbieter wie Waymo schon viel weiter.

LaBrot sucht jetzt einen neuen Job und gibt sich zuversichtlich. Einige Personalberater hätten ihn schon kontaktiert. Bisweilen wird er gefragt, ob er sich Sorgen mache, seine Anti-Musk-Kampagne könnte etwaige künftige Arbeitgeber abschrecken, weil sie ihn als Nestbeschmutzer sehen. LaBrot meint, wer damit Schwierigkeiten habe, für den wolle er auch nicht arbeiten. Er habe sich nichts vorzuwerfen, zumal er seine Bedenken intern geäußert habe, bevor er an die Öffentlichkeit gegangen sei. „Jedes Unternehmen, in dem ich in Zukunft sein werde, kann ehrliches Feedback von mir erwarten.“