Präsidentschaftswahl: Polen vor Richtungsentscheidung

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„Dieses Ergebnis zeigt, dass wir stark sein müssen, dass wir entschlossen sein müssen, und dass wir noch viel Arbeit vor uns haben“, rief Rafał Trzaskowski vor jubelnden Anhängern in der südostpolnischen Stadt Sandomierz am späten Sonntagabend. Kurz nach dem Schließen der Wahllokale um 21 Uhr waren die ersten Umfrageergebnisse für die Präsidentschaftswahl veröffentlicht worden, und sie zeigten wie erwartet den Kandidaten der liberal-konservativen Bürgerkoalition (KO), Warschaus Oberbürgermeister Trzaskowski, mit rund 31 Prozent vorn. Doch Karol Nawrocki, der für die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) antritt, ist ihm viel deutlicher als erwartet auf den Fersen: Nur knapp zwei Prozentpunkte trennen beide Bewerber, die nun am 1. Juni in der Stichwahl um das wichtigste Amt kämpfen, das Polen zu vergeben hat.

Nawrocki trat in seiner Heimatstadt Danzig (Gdańsk) vor seine Anhänger und bejubelte „ein Ergebnis, das einem Unentschieden gleichkommt“. Danach zweifelte er sofort die Wahlbedingungen an. „In der Tat waren das die unfairsten Wahlen, die es in den vergangenen 35 Jahren in Polen gegeben hat“, rief Nawrocki. Die Regierung habe ihm mit „staatlich finanzierter Propaganda und mit Lügen“ den Wahlkampf erschwert. Damit meinte vor allem die in der Woche vor der Wahl aufgekommene Wohnungsaffäre, die er sich jedoch selbst zuzuschreiben hat: Im Gegenzug für das Versprechen, sich um einen Senior zu kümmern, soll Nawrocki dessen Wohnung bekommen, anschließend jedoch das Kümmern vergessen haben. In höchster Erklärungsnot hatte er dann angekündigt, die Wohnung für wohltätige Zwecke zu spenden.

Viele Wähler werden sich in Stichwahl neu verteilen

Geschadet scheint ihm dieses Manöver zumindest im ersten Wahlgang nicht zu haben, im Gegenteil: Mit gut 29 Prozent hat Nawrocki eine gute Startposition für die Stichwahl am 1. Juni. Dann wird entscheidend sein, für wen sich die Wähler der anderen elf Kandidaten entscheiden. Sowohl Trzaskowski als auch Nawrocki begannen schon am Sonntagabend, um deren Gunst zu werben.

Rafal Trzaskowski ist Bürgermeister von Warschau und Präsidentschaftskandidat der KO.
Rafal Trzaskowski ist Bürgermeister von Warschau und Präsidentschaftskandidat der KO.EPA/Piotr Polak

Vor allem auf die Stimmen des Drittplatzierten wird es ankommen: Sławomir Mentzen, der Kandidat der rechtsradikal-libertären Partei Konfederacja, hat mit gut 15 Prozent Platz drei geholt. Dass seine Wähler automatisch für Nawrocki stimmen, ist nicht ausgemacht. Mentzen hat im Wahlkampf mächtig gegen Nawrocki ausgeteilt und ihn nach der Wohnungsaffäre attestiert, für das Amt des Präsidenten der Republik Polen schlichtweg „ungeeignet“ zu sein.

Die anderen Kandidaten blieben alle unter zehn Prozent. Als allgemein erschütternd wurde das relativ gute Abschneiden des Rechtsextremisten und Antisemiten Grzegorsz Braun gewertet. Rund sechs Prozent bekam der Mann, der im polnischen Parlament mit einem Feuerlöscher einen Chanukkaleuchter ausblies, seine Judenfeindlichkeit auch in TV-Debatten offen zur Schau stellt und im Wahlkampf Europaflaggen verbannt hat. Die drei Kandidaten der Linken wiederum erzielten zusammen gut zehn Prozent, aber auch bei ihren Wählern ist nicht ausgemacht, dass sie in der Stichwahl automatisch für Trzaskowski stimmen. Dagegen könnte etwa die von Trzaskowski unterstützte Aussetzung des Asylrechts und die Kürzung von Sozialleitungen für ukrainischen Flüchtlinge sprechen.

Auswirkungen auf Tusks Regierung und die EU

Dieser erste Wahlgang ist aber auch ein Warnschuss für die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk (KO), die versprochenen Reformen wie eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts, das in Polen so streng wie in keinem anderen europäischen Land geregelt ist, oder die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit, die unter der PiS-Regierung schwer gelitten hat, schnell umzusetzen. Das Dilemma der Regierung freilich ist, dass der bisherige Präsident Andrzej Duda, der der PiS nahesteht, mit seinem Veto Reformen verhindert.

Trzaskowski könnte Tusk also das Regieren künftig erleichtern. Die PiS wiederum will genau das verhindern. Sollte Nawrocki Präsident werden, würde die Blockade wohl bestehen bleiben, und, mehr noch, der PiS auch die Rückkehr an die Regierung bei den Parlamentswahlen in zwei Jahren ebnen.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk und seine Frau Malgorzata geben in Sopot ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl ab.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk und seine Frau Malgorzata geben in Sopot ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl ab.dpa

Auch aus europäischer Sicht geht es am 1. Juni in Polen um nichts weniger als um eine Richtungsentscheidung: Während Rafał Trzaskowski für ein starkes Polen im Bündnis mit der EU, seinen Nachbarländern und der NATO wirbt, steht Karol Nawrocki, der mit Viktor Orban und Marine Le Pen sympathisiert und im Wahlkampf mit dem rumänischen Wahlverlierer George Simion auftrat, für ein isolationistisches, EU-feindliches Land. Der Kampf wird nun von beiden Seiten wohl noch unerbittlicher geführt werden.

Viele Wähler jedoch haben diese Lagerbildung längst satt: Die Wahlbeteiligung lag am Sonntag mit rund zwei Dritteln deutlich unter der bei der Parlamentswahl 2023, bei der mehr als drei Viertel der Polen abgestimmt hatten. Präsident Polens aber dürfte am 1. Juni auch derjenige werden, der am erfolgreichsten Wähler für sich mobilisieren kann.