Die EU-Kommission wird das deutsche Investitionspaket von 500 Milliarden Euro nicht an den neuen EU-Budgetregeln scheitern lassen. Das hat EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis im Gespräch mit der F.A.Z. und anderen europäischen Medien zu verstehen gegeben.
„Die neuen Regeln sind weniger streng als früher und bieten gerade dann zusätzliche Flexibilität, wenn ein Land mehr investieren will“, sagte der lettische Politiker. Für die Schuldenbremse des Grundgesetzes gelte das bekanntlich auch.
Eine endgültige Beurteilung der deutschen Schuldenpläne könne seine Behörde noch nicht vornehmen, weil der Haushalt in Berlin noch in Arbeit sei. Die Kommission werde Gespräche mit der Bundesregierung aufnehmen, sobald der Haushalt Ende Juni vorliege. Möglicherweise biete es sich an, dass Deutschland von der in den neuen Regeln vorgesehenen Option Gebrauch mache, der Kommission einen auf sieben Jahre gestreckten Nettoausgabenplan vorzulegen, sagte der Kommissar.
Konstantes Staatsdefizit erwartet
In ihrer von Dombrovskis am Montag vorgestellten Frühjahrsprognose rechnet die Kommission mit einem ungefähr konstanten deutschen Staatsdefizit von 2,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in diesem und von 2,9 Prozent im kommenden Jahr. Freilich ist das eine wenig belastbare Prognose, weil sie weder das Investitionspaket noch die zusätzlich geplanten Ausgaben für Rüstungsgüter einkalkuliert, die von der Schuldenbremse ausgenommen werden sollen.
In der EU werden die Rüstungsausgaben ohnehin von den Budgetregeln ausgenommen, weil die Mitgliedstaaten dafür die im Regelwerk vorgesehene nationale Ausweichklausel in Anspruch nehmen können. Diese ist anwendbar, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die sich der Kontrolle des Mitgliedstaats entziehen und erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen des betreffenden Mitgliedstaats haben. Deutschland will die Klausel – anders als etwa Frankreich und Italien, die um die Solidität ihrer Staatsfinanzen besorgt sind – für seine Rüstungsausgaben in Anspruch nehmen.
Zusätzliche Rüstungsausgaben hätten nicht nur kurz- und mittelfristig positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, sondern belasteten auch die Staatsfinanzen nicht dauerhaft, sagte der Kommissar. Nach einer Modellrechnung seiner Behörde, die auf der Annahme einer linearen Steigerung der Rüstungsausgaben um 1,5 Prozentpunkte bis 2028 beruht, fiele das Wachstum in dieser Zeit um 0,5 Prozentpunkte höher aus als im Ausgangsszenario. Das trage auch zu einer Verbesserung der Staatsfinanzen bei. „Die Haushaltskonsolidierung verzögert sich in den meisten Ländern nur, höhere Rüstungsausgaben schädigen die Staatsfinanzen aber nicht dauerhaft“, sagte Dombrovskis.
Beurteilung der Staatshaushalte kommt Anfang Juni
Der Kommissar ließ offen, ob nach seiner Meinung gemeinsame Schulden zur Rüstungsfinanzierung (Verteidigungsbonds) notwendig sind. Er erinnerte daran, dass das von Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Programm SAFE über 150 Milliarden Euro bereits eine Gemeinschaftsverschuldung enthalte. In dem Programm ist vorgesehen, dass die Kommission Schuldtitel ausgibt und die Gelder als Kredite an die Mitgliedstaaten weitergibt. Diese profitierten von günstigeren Konditionen, als wenn sie selbst an die Märkte gingen, sagte Dombrovskis. Manche Mitgliedstaaten fordern aber, dass die Gemeinschaftsschulden als Zuschüsse, also ohne Rückzahlungsverpflichtungen, weitergereicht werden. Dombrovskis sagte weiter, er könne sich vorstellen, dass das Thema in den Verhandlungen über den neuen EU-Finanzrahmen weiterdiskutiert werde.
Die Kommission veröffentlicht ihre jährliche Beurteilung der nationalen Staatshaushalte Anfang Juni, wobei Deutschland erst später analysiert wird. Derzeit befinden sich elf Mitgliedstaaten in einem Defizitverfahren, diese Zahl werde sich in diesem Jahr voraussichtlich nicht ändern, sagte der Kommissar. Für 2026 rechne er damit, dass die Kommission zwei Staaten aus einem Verfahren entlassen könne. Für Rüstungsausgaben gelte generell, dass die EU-Behörde keine neuen Verfahren eröffnen werde, solange der Maastrichter Referenzwert für das Staatsdefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung ausschließlich wegen der höheren Rüstungsausgaben überschritten werde.
In Deutschland erwartet die Kommission von den zusätzlichen Staatsausgaben einen deutlichen Schub für die Konjunktur. Bis einschließlich 2029 könnte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) allein wegen des Investitionspakets um zusätzlich eineinviertel Prozentpunkte stärker zulegen als in der Basisprognose, heißt es in einer getrennten Modellrechnung. Bis Ende 2035 sei sogar ein zusätzliches Wachstum von 2,5 Punkten möglich. Voraussetzung dafür sei, dass mit den neuen Schulden aus dem Investitionsprogramm ausschließlich „produktive Projekte“ finanziert würden.
Für das laufende Jahr rechnet die Kommission mit einer Stagnation. Sie bewegt sich damit im Rahmen anderer aktueller Prognosen. Schlechter als in Deutschland bleiben die Wachstumsaussichten damit nur in Österreich, wo die Wirtschaft laut Kommission um 0,3 Prozent schrumpfen dürfte. Für den EU-Durchschnitt rechnet die Behörde mit durchschnittlich 1,1 Prozent Wachstum. Für 2026 prognostiziert die Kommission 0,9 Prozent Wachstum in Deutschland und 1,5 Prozent im EU-Durchschnitt.