Kommentar zu Wahlprogrammen: Eine heikle Balance

26

Wahlprogramme sind in der politischen Aufmerksamkeitsökonomie eine ebenso eigene Gattung wie Grundsatzprogramme. Letztere dienen der Selbstvergewisserung einer Partei und ­damit der Kohäsion.

Erstere unterliegen den Gesetzmäßigkeiten politischer Pragmatik: Einerseits sollen sie so konkret sein, dass den Bürgern die Entscheidung für die jeweilige Partei am Wahltag als „alternativlos“ erscheint. Andererseits müssen sie hinreichend vage gefasst sein, um Koalitionen eingehen zu können, ohne die Erwartungen der Wähler sofort zu enttäuschen.

Bei alldem aber dürfen sie dem politischen Gegner nicht mehr Angriffsflächen bieten als die, die zur Mobilisierung der eigenen Wählerschaft unabdingbar sind.

Keine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rhetorik

Vor diesem Hintergrund ist es gerade der Union nicht zu verübeln, dass sie sich in ihrem Wahlprogramm nicht in einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rhetorik ergeht. Die SPD hat selten die Gelegenheit ausgelassen, jegliche sozialpolitischen Reformvorhaben als Ausgeburten eines neoliberalen Weltgeistes zu dämonisieren.

Auch vor eklatanten Unwahrheiten haben deren Spitzenleute nicht haltgemacht – wie auch jetzt wieder die Mär verbreitet wird, die Merz-Union lege es auf Rentenkürzungen an. Dabei wollen CDU und CSU die Belastungen der Bürger und des Bundeshaushaltes nur nicht in dem Maß wachsen lassen, wie es der Ampelkoalition einschließlich der FDP unverantwortlicherweise vorschwebte.

Dass sich die SPD angesichts des Missverhältnisses zwischen sinkender Produktivität und steigenden Sozialausgaben eines Besseren besinnen könnte, ist deren Programm (soweit bekannt) nicht zu entnehmen.

Das Thema Geld ist für die derzeitige Sozialdemokratie ein ebenso schlichtes wie für die Grünen das Thema Strom: Der kommt schließlich aus der Steckdose, und Staatsschulden sind ja nur Investitionen in Sozialkapital und Infrastruktur.

Die Union ist daher gut beraten, einstweilen auf die Faustregel zu vertrauen, dass nicht eine Opposition gewählt, sondern eine Regierung abgewählt wird.