USA und China setzen Europa weiter unter Druck

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Die Branche für Künstliche Intelligenz steht vor großen Herausforderungen. Amerika und China setzen Europa unter Druck. Einer der führenden Experten erklärt im Interview, wie Deutschland sich aus dem Würgegriff befreien kann.

Künstliche Intelligenz ist in vielen Bereichen und Branchen auf dem Vormarsch. In Schulen kämpfen Lehrer gegen ChatGPT-generierte Aufsätze, Unternehmen integrieren KI-Tools in ihre Abläufe, und selbst Behörden können sich der digitalen Welle nicht mehr entziehen.

Fabian Westerheide ist einer der profiliertesten KI-Investoren Deutschlands. Er ist Gründer der “Rise of AI”, einer jährlichen Konferenz für führende Köpfe der KI-Szene, die am 14. Mai in Berlin stattfand. Das diesjährige Motto lautete: “Good News from Europe” – in einer Zeit, in der der europäische Technologiesektor oft als hoffnungslos abgehängt gilt.

Im Gespräch mit t-online erklärt Westerheide, warum er trotz aller Herausforderungen an Europa glaubt und welche deutschen KI-Unternehmen vielversprechend sind.

t-online: Herr Westerheide, wie sehr hat Künstliche Intelligenz Ihre tägliche Arbeit verändert?

Fabian Westerheide: Sehr. Ich benutze allein ChatGPT bis zu 50-mal am Tag. Manchmal auch 30-mal hintereinander bei einer Frage, weil ich prompte, diskutiere und die Ergebnisse immer weiter verfeinere. Für mich ist KI wie ein Praktikant: Am Anfang kann sie nichts, du musst sie anleiten und ihre Arbeit kontrollieren. Aber mit der Zeit nimmt sie dir immer mehr Arbeit ab. Früher hätte ich Texte für mein Buch zu einem Lektor schicken und dann ein, zwei Tage auf Feedback warten müssen – jetzt bekomme ich es sofort. Das ist unglaublich wertvoll.

Vor drei Jahren war ständig von ChatGPT die Rede. Inzwischen scheint es so, als sei der Hype abgeflaut. Oder täuscht der Eindruck?

Das täuscht. Lediglich der mediale Hype flacht ab, die öffentliche Aufmerksamkeit ist gesättigt – nach dem Motto: “Wir haben es jetzt, fertig.” Dabei fängt die eigentliche Arbeit erst an: Was ist mit Schülern, die ChatGPT für Aufsätze nutzen? Die Lernergebnisse gehen runter. Wir müssen jetzt die Bildung anpassen. Zugleich steigt in der Industrie der Bedarf. Es gibt mehr Aufträge. Denn diese Tools müssen in Unternehmen und Behörden integriert werden.

(Quelle: Jens Braune del Angel)

Fabian J. G. Westerheide gilt als einer der führenden Köpfe im Bereich der Künstlichen Intelligenz in Deutschland. Als Gründer und CEO der AI for Humans GmbH ist er Berater zahlreicher Regierungsinstitutionen und Fortune-500-Unternehmen. Zusammen mit seiner Frau ist er Gastgeber der jährlichen Konferenz “Rise of AI”, dem Branchentreffen für die zentralen Akteure der deutschen KI-Szene.

Wie gut sind deutsche Unternehmen dafür positioniert?

Wir haben in Europa alles, was wir brauchen – viele gute Lösungen. Es gibt wenig Grund, amerikanische oder chinesische Produkte zu kaufen. Aber die sind halt schneller, günstiger und aggressiver. Wenn wir nicht handeln, werden bald nur noch Microsoft-Produkte genutzt, die ihre KI überall integrieren. Ich möchte, dass deutsche Firmen wieder eigene Produkte entwickeln. Nehmen Sie SAP, ein internationaler Softwarekonzern aus Deutschland: Sie bilden das Rückgrat einer jeden Firma, denn sie verfügen über alle Datenströme. Das Unternehmen müsste eigentlich die mächtigste Firma der Welt sein. Könnte es auch sein. Aber wie viele deutsche Unternehmen ist SAP orientierungslos.

Trotzdem lautet das Motto Ihrer Konferenz “Good News from Europe” – gute Nachrichten aus Europa. Was sind denn die guten Nachrichten?

Wir haben eine funktionierende Demokratie und verlässliche Planbarkeit in unseren Strukturen. Europa ist der Ort, wo immer mehr Menschen sein wollen. Ich habe mit mehreren Amerikanern gesprochen, die lieber in Berlin leben als in den USA. Hier ist “the place to live”. Wir werden sogar mehr zum Garanten für Stabilität und Sicherheit.

Was macht Sie so optimistisch, angesichts der oft beschriebenen technologischen Rückständigkeit Europas?

Europa und die deutsche Verwaltung reagieren traditionell erst, wenn der Druck groß genug ist. Die Amerikaner bauen Druck auf, die Chinesen sehen das und handeln präventiv – und wir reagieren. Aber jetzt wird der Druck so groß, dass Europa handeln muss. Die nächsten Monate oder Jahre werden entscheidend: Können wir unser Potenzial entfalten – die Vielfalt, die Kultur, die Talente? Oder zerbricht Europa, weil es gespalten wird? Für mich ist es eine gute Nachricht, dass der Druck jetzt so groß ist, dass Europas Eliten endlich agieren müssen.

Was erwarten Sie vom neuen Digitalminister Karsten Wildberger?

Der Vorteil ist, dass es ein neues Ministerium ohne Altlasten ist – sie können sich dort neu austoben. Und Wildberger ist ein Externer, nicht durch den Parteiklüngel ins Amt gekommen, sondern wegen seiner Kompetenzen. Das ist doch erst mal großartig: einen Minister zu haben, der nicht auf irgendeiner Liste stand, sondern Kompetenz mitbringt.