Karlheinz Weißmanns Geschichtsbuch für die Jugend

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In der Debatte um den Würzburger Historiker Benjamin Hasselhorn und dessen un­ter Pseudonymen publizierte Texte geht es um Charakter und Ursprung eines zweifelhaften Geschichtsbildes. Niklas We­ber hat iin der F.A.Z. nachgewiesen, dass Hasselhorn in den Danksagungen seiner Dissertationen auch einen Gewährsmann mit einem Pseudonym schützte, Karlheinz Weißmann, der sein Geschichtslehrer auf dem Gymnasium gewesen war. An einer von Hasselhorn betrie­benen Website namens „Drachenkämp­fer“ wirkte Weißmann unter dem Pseudo­nym mit. 2021 verwahrte sich Hasselhorn in der evangelischen Zeitschrift „Zeitzeichen“ dagegen, dass Johann Hinrich Claus­sen, der Kulturbeauftragte der EKD, ihn als „Schüler und Weggefährten“ Weißmanns charakterisiert hatte: Der „absurde Vorwurf“ lege ihm 17 Jahre nach dem Abitur „die politischen Positionen ei­nes Lehrers zu Last“. Inzwischen hat Hasselhorn in einem eigenen Beitrag in der F.A.Z. eingeräumt, 2019 un­ter ei­nem weiteren Pseudonym zu Weißmanns Festschrift den Beitrag „Der Gegen-Aufklärer. Eine Einführung in das Werk Karlheinz Weißmanns“ beigesteuert zu haben. Andere Autoren der Festschrift waren Alain de Benoist, Martin van Creveld, Lothar Höbelt, Andreas Lombard, Stefan Scheil und Alice Weidel.

Weißmanns Geschichtsbild lässt sich auch in einem Buch nachschlagen, das sich an ein Publikum in dem Alter wendet, in dem Hasselhorn war, als ihn Weißmann unterrichtete: „Deutsche Geschichte für junge Leser“, erschienen 2015 in der Edition JF der Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Im Vorwort widmet sich Weißmann in direkter Ansprache der jungen Lesenden „jener besonderen Gruppe von Menschen, der Du angehörst, durch Deine Vorfahren, Deine Sprache“. Die „Geschichte Deines Volkes“ fängt bei den alten Germanen an, deren „furchterregende Kämpfer“ jenen „riesigen Raum zwischen dem heutigen Spanien und dem heutigen Griechenland“ einst ihr Eigen nannten. Gleich auf den ersten Seiten stechen Begriffe wie Abstammung, Bräuche, Heimat, Landnot, Stämme und Aussehen hervor. Auf den weiteren Seiten fallen Begriffe, die im Geschichtsunterricht in der Behandlung der NS-Zeit vorkommen sollten: Blutsverwandtschaft, Siedlungsgebiet, Stammesgenossen, Stolz. Unter den „ersten deutschen Helden“ wird Arminius hervorgehoben, der sich schon in römischer Zeit grübelnd fragte, „wo er eigentlich hingehörte“ – eine Schlüsselfrage auch des heutigen rechten Identitätskomplexes.

Die Juden aus der Sicht der Christen

In späteren Epochen benennt Weißmann auch, wer nicht zum Volk gehört: Zur Zeit der Kreuzzüge tauchen Muslime allein als Feinde auf, gegen die es sich zu „verteidigen“ gegolten habe. Schon im zwölften Jahrhundert werden bei Weißmann aus den Germanen dann semantisch „die Deutschen“, die mit ihrem „schollenbrechenden“ Pflug den Boden bestellen, während Siedler aus Flandern „gut gelaunt und zukunftsfroh“ ihr Lied schmettern: „Nach Ostland wollen wir reiten“. Was diese mutmaßlich aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende und bei den Nationalsozialisten populäre Weise im Mittelalter verloren hat, fragt man sich, aber auch sonst scheint das Buch eher aus Perspektive einer vergangenen Gegenwart geschrieben.

Steuerte zur Festschrift für Karlheinz Weißmann 2019 den Aufsatz „Political Correctness und das freie Wort. Eine Ortsbestimmung“ bei: Alice Weidel.
Steuerte zur Festschrift für Karlheinz Weißmann 2019 den Aufsatz „Political Correctness und das freie Wort. Eine Ortsbestimmung“ bei: Alice Weidel.Reuters

Über eine andere Gruppe heißt es in distanziertem Duktus, aus Perspektive der Christen: „Die Juden bildeten aus ihrer Sicht eine unerfreuliche Minderheit, der man wegen ihrer Gebräuche und in manchen Fällen wegen ihres Reichtums (den sie als Händler und Geldverleiher erworben hatten) mit Misstrauen und Missgunst gegenüberstand“, wobei man sie auch „verprügelte und ausraubte“; auch sei es oft zu „Schlimmerem“ gekommen, doch sucht man in diesem Abschnitt Begriffe wir Pogrom oder Antijudaismus vergeblich.

Im zwanzigsten Jahrhundert dienen amerikanische Bankiers, undisziplinierte Matrosen und „ein gewisser Lenin“, der „erste große Massenmörder des 20. Jahrhunderts“, der seine Feinde „in so genannte ‚Konzentrationslager‘“ sperrte, als die Feinde des disziplinierten Deutschen, als welcher der Landser des Ersten Weltkriegs firmiert. Über die Zwischenkriegszeit wird faktenwidrig vermerkt, „vor allem von den Kommunisten“ seien zahlreiche Gewalttaten verübt worden: „die Zahl der Toten interessierte die Kommunisten nicht“. Den Geschichtslehrer Weißmann interessieren solche Zahlen offenbar auch nicht, denn wie schon der sozialdemokratische Mathematiker Emil Justus Gumbel 1922 vorgerechnet hatte, überwogen in den Jahren von 1919 bis 1922 bei weitem die Opfer der Gewalt von rechts diejenigen kommunistischer Aufstände, hinzu kamen gezielte politische Morde rechter Geheimbündler, die zudem von der Justiz – im Unterschied zu kommunistischen Aufrührern – kaum zur Rechenschaft gezogen wurden.

Er wünschte sich im hypothetischen Notfall für Deutschland einen Mann wie Hitler. Oder ist diese Geschichte, die Karlheinz Weißmann der Jugend erzählt, nur ein Teil des von Benjamin Hasselhorn erforschten Churchill-Mythos?
Er wünschte sich im hypothetischen Notfall für Deutschland einen Mann wie Hitler. Oder ist diese Geschichte, die Karlheinz Weißmann der Jugend erzählt, nur ein Teil des von Benjamin Hasselhorn erforschten Churchill-Mythos?Picture Alliance

Die „Judenfeindschaft“ Hitlers, der „als intelligenter Junge und junger Mann, aber ziellos“ begonnen habe, bettet Weißmann in einen Rekurs auf vorher Gelerntes ein: Sie habe damit zu tun, „wie Du Dich vielleicht erinnerst, dass die Juden bei den Nichtjuden lange Zeit wegen gewisser Eigenschaften – behaupteter oder tatsächlicher – unbeliebt waren“. Weißmann schiebt ausführlichen Berechnungen des Reichtums „einzelner Juden oder jüdischer Familien“ den Hinweis nach: „So viel Reichtum hätte allein schon genügt, um bei Nichtjuden Vorbehalte und Neid zu wecken, ganz gleichgültig, wie groß die Gruppe der armen Juden war, die es auch in Menge gab.“ In summa erschienen nach Weißmann den Antisemiten die „Juden nicht nur als reiche Ausbeuter, sondern auch als gefährliche Umstürzler“ – denn auch Trotzki war jüdischer Herkunft.

Churchill wünschte sich einen Vorkämpfer wie Hitler

Nach dem Zitat Churchills, er wünsche sich im Fall einer Niederlage einen „ebenso bewundernswerten Vorkämpfer“ wie Hitler, resümiert Weißmann, es habe nach dem 30. Januar 1933 „auf den Straßen weder Mord noch Totschlag“ geherrscht. Das stimmt natürlich, wenn man bedenkt, dass Mord, Totschlag und Folter nun nicht mehr auf den Straßen, sondern in den „wilden“ Konzentrationslagern systematisiert und ausgeweitet wurden, was Weißmann aber nicht weiter interessiert. In seinen eigenen Worten: „Wer sich in die ‚Volksgemeinschaft‘, wie man damals sagt, eingliederte, durfte zufrieden sein.“ Dies traf nun freilich nicht auf die Opfer des Holocaust zu. Diesem widmet Weißmann eine von 250 Seiten, auf der als einzige Zahl die „mehr als eine Million Menschen“ angegeben wird, die in Auschwitz zu Tode kamen. Von den Konzentrationslagern hätten „die meisten Deutschen“ im Übrigen nur gewusst, „dass sie irgendwo ‚im Osten‘ lagen“. In Wahrheit wurden zahlreiche KZ mit ihren Außenlagern im „Altreich“ betrieben.

Man erkennt in dem geschichtspädagogischen Kompendium die Vorlage für ein Geschichtsbild, in dem die NS-Zeit und ihre Verbrechen zum sprichwörtlichen Vogelschiss einschrumpfen. Wo der Autor interpretationsoffene Formulierungen wählt, die man je nach Couleur füllen kann, da spricht die reiche Illustrierung eine kaum misszuverstehende Bildsprache: Die farbenfroh aquarellierten Bilder germanischer Recken mit gezückten Schwertern bis hin zu einer Doppelseite mit streng frisierten Jungmädeln und entschlossen dreinblickenden SA-Männern, die Hand am Koppel und den Arm zum „deutschen Gruß“ gereckt, deren Gesichter im Hintergrund zum volksgemeinschaftlichen Menschenmeer unter Hakenkreuzfahnen verschwimmen, könnten einem nationalsozialistischen Buch entnommen sein, entstammen aber dem Pinsel des 1974 geborenen Illustrators Sascha Lunyakov. Er hat auch das Frontispiz der Weißmann-Festschrift geschaffen: „Karlheinz Weißmann und der Drachentöter“.

Erben einer stolzen Überlieferung

Abschließend kann Weißmann für seine jungen Leser resümieren, „die Deutschen“ hätten „als Volk Erstaunliches geleistet“. Er räumt ein, dass es auch „Tiefpunkte“ gegeben habe, schließt aber versöhnlich: „Nun gibt es aber kein Volk, das frei von Schwächen ist, und vielleicht sind die um so größer, je größer die Stärken sind.“ Es sei deswegen die Aufgabe, künftig „Fehler zu vermeiden“, vor allem aber das „notwendige Selbstbewusstsein“ aus der Geschichte zu ziehen, „Erben einer stolzen Überlieferung“ zu sein. Das Buch ist in vierter Auflage lieferbar.

Wenn der Verfasser dieser „Deutschen Geschichte“ zu den Mentoren des Geschichtswissenschaftlers und Theologen Benjamin Hasselhorn zählt, sind Zweifel an der von dessen nach Hunderten zählenden akademischen Unterstützern vorgetragenen Behauptung erlaubt, es handele sich bei der Sorge vor einer rechten Diskursverschiebung auch in den Geschichtswissenschaften um eine Kampagne. Man mag ihnen zugute halten, dass sie die Elaborate dieses Diskurses nicht aus eigener Lektüre kennen. Manchmal aber sind es Details, die klar machen, wo die geistigen Abstammungslinien verlaufen.

Wes Geistes Kind das zeitweise hochgelobte Buch der mittlerweile wegen zahlreicher Plagiatsvorwürfe vom Dienst suspendierten Darmstädter Soziologie-Professorin Cornelia Koppetsch „Gesellschaft des Zorns“ ist, fiel seinerzeit vor allem deswegen auf, weil sie in der Danksagung ihren „Lebensgefährten Kai“ erwähnte, der „den Stoff immer wieder“ mit ihr „diskutiert und weiterentwickelt“ habe. Dass dieser Lebensgefährte gerichtsfest als der Berliner AfD-Bezirksverordnete Kai Borrmann identifiziert werden konnte, lag an dem Zufall, dass er dabei erwischt wurde, wie er einer schwarzen Musikjournalistin in den Arm biss, nachdem er sie rassistisch beleidigt hatte (die F.A.Z. berichtete). Karlheinz Weißmanns „Deutsche Geschichte für junge Leser“ enthält ebenfalls eine Widmung, in der 24 Vornamen genannt sind. Um wen es sich bei dem dort aufgeführten Benjamin handelt, will der Autor offenkundig für sich behalten. Und das ist ja auch sein gutes Recht.