Wir haben keine Krise bei Daimler Truck. Das Kostenprogramm ist nichts Neues. Wir wissen schon länger, dass wir unser Europageschäft widerstandsfähiger machen müssen und unsere Kostenstrukturen dort nicht wettbewerbsfähig sind. Wir wollen schließlich das beste Truck- und Busunternehmen der Welt werden. Drei Jahre nach der Abspaltung von Mercedes war vergangenes Jahr der richtige Moment, uns anzuschauen, ob die aufgebauten Strukturen effizient genug sind. Hier ist klar herausgekommen, dass wir in Deutschland generell nicht zukunftsfähig aufgestellt sind. Das hat nichts mit dem US-Markt und den Zolldiskussionen zu tun.
Welche Probleme hat Daimler Truck in Deutschland?
Es gibt zwei Ebenen. Wir haben Tätigkeiten, die können wir in Deutschland belassen, wenn wir die Faktorkosten senken. Und dann gibt es Tätigkeiten, die wir an deutschen Standorten nicht langfristig halten können, wenn wir im Wettbewerb bestehen wollen. Diese Tätigkeiten werden wir fremdvergeben oder in andere Regionen auslagern müssen. Unsere Faktorkosten verbessern wir, indem wir zum Beispiel Tariferhöhungen teilweise auf andere Entgeltbestandteile anrechnen. Außerdem müssen wir flexibler werden. Wir können bei Absatzrückgängen die Produktionskosten nicht schnell genug anpassen. Deshalb erhöhen wir die Zeitarbeiterquote und die maximale Dauer von befristeten Arbeitsverhältnissen.
Welche Tätigkeiten werden Sie fremdvergeben oder in andere Länder verlagern?
Das betrifft sowohl Tätigkeiten in der Produktion, Entwicklung, Vertrieb als auch in der Verwaltung. Wir werden Shared-Service-Center in Ländern mit günstigeren Kostenstrukturen für manuell-repetitive Tätigkeiten nutzen. Die Belegschaft in der Zentrale wird ebenfalls reduziert, und zwar über alle Funktionen hinweg. Wir können nicht die gesamte Welt von Deutschland aus steuern. Bestimmte Tätigkeiten lassen sich in unseren Segmenten und in den Regionen lokal besser abbilden.
An welche Niedriglohnländer denken Sie da?
Da gibt es verschiedene Optionen.
Sind bei den Entscheidungen über Fremdvergaben und Auslagerungen schon Entscheidungen gefallen?
Keine, über die ich jetzt schon sprechen möchte. Wir werden in dem Prozess mit Bedacht vorgehen und die Themen mit dem Gesamtbetriebsrat diskutieren. Wir und auch die Arbeitnehmervertreter bemühen uns um eine langfristige, verlässliche Perspektive.

Bei der Verkündung der Geschäftszahlen zum ersten Quartal haben Sie von einem generellen Herunterfahren der Produktion in Deutschland gesprochen. Das klingt nicht nach einem minimalinvasiven Eingriff.
Nein, das ist kein minimalinvasiver Eingriff. Man muss aber auch sehen, dass wir Standorte wie Wörth am Rhein haben, die historisch gewachsen sind, ein sehr breites Portfolio haben und wegen dieser Komplexität das Produktionsprogramm nicht effizient genug gestalten können. Wir müssen schauen, wie wir unser globales Netzwerk besser nutzen können. Vor diesem Hintergrund haben wir das Geschäft von Daimler Truck in China und Indien mit Mercedes-Benz Trucks Europa und Lateinamerika zusammengeführt. In Indien haben wir ein starkes Team, das dazu beitragen möchte, das Mercedes-Benz-Segment nach vorne zu bringen.
Wie viele Stellen in Deutschland wird das kosten?
Wir haben interne Pläne, aber das ist jetzt keine Diskussion, die wir in der Öffentlichkeit führen.
Schließen Sie Standorte in Deutschland?
Nein, es wird kein Standort geschlossen.
Mit „Cost Down Europe“ wollen Sie eine Milliarde Euro einsparen. Reicht das? Oder gibt es weitere Programme?
Generell gilt: Eine kluge, strategische Finanzplanung macht die Transformation erst möglich. Und natürlich müssen wir uns kontinuierlich verbessern und produktiver werden. Aber das ist eine passende Größenordnung, um gemeinsam mit strategischen Wachstumsinitiativen die Profitabilitätslücke zu den Wettbewerbern zu schließen.
Vergangene Woche haben Sie wegen der zurückgegangenen Absatzerwartung in den USA Ihre Jahresprognose angepasst. Wie gehen Sie damit um?
Die wirtschaftliche Unsicherheit macht es für unsere US-Kunden gerade schwierig, neue Lastwagen zu bestellen. Die Containerschiffe aus China kommen nicht an, die Häfen laufen leer, es müssen weniger Waren verteilt werden – und das zieht die Binnenkonjunktur nach unten. Das derzeitige Zollmoratorium ist erst mal hilfreich, aber noch ist es kein langfristiges Abkommen. Die Frage ist, wann es für unsere Kunden wieder genug Sicherheit gibt, um zu bestellen.
Was kann man in einer solchen Situation als Unternehmen tun?
Im Vergleich zu Europa sind wir in Nordamerika einen Schritt weiter, weil wir auf solche Nachfrageschwankungen unmittelbar reagieren und die Produktion schnell herunterfahren können. Zusammen mit einer wettbewerbsfähigen Fixkostenstruktur hilft uns das, damit die Umsatzrendite auch in einem herausfordernden Marktumfeld nicht zu stark sinkt. Wenn man so flexibel ist, geht die Marge nicht proportional nach unten. Auf diese Weise konnten wir unsere Margenprognose für 2025 halten.
Was hätte ein ähnlicher Absatzeinbruch im Europageschäft bedeutet?
Die Profitabilität wäre stark gesunken, weil wir in Deutschland und Europa lange nicht so flexibel sind und die Kosten nicht so schnell anpassen können.
Wie schätzen Sie den Lastwagenmarkt in den nächsten Jahren ein?
Wir gehen davon aus, dass der Markt in Europa und Nordamerika wächst, weil die Transportvolumina steigen und die Unternehmen mehr Lastwagen brauchen, um die Waren zu transportieren. In Nordamerika sind wir mit der Marke Freightliner Marktführer im Bereich der schweren Lastwagen und mit der Marke Western Star ebenfalls stark vertreten, in Europa wollen wir wieder Marktanteile zurückgewinnen. Wichtig werden dabei unsere eigenen Verkaufs- und Servicestandorte und die Ersatzteilversorgung.
Warum ist das so entscheidend?
Unter einem Dach mit dem Autogeschäft von Mercedes hatten wir gemeinsame Service- und Verkaufsstationen, die meist in den Innenstädten lagen und für das Lastwagengeschäft nicht optimal waren. Nun bauen wir alles mit dem Fokus auf das Lastwagengeschäft auf, indem wir uns auf unsere Kunden und ihre Bedürfnisse konzentrieren. Dazu gehört auch unser Global Parts Center in Halberstadt, das wir im Juli eröffnen werden.
Warum hat Mercedes-Benz Trucks, die Marke mit dem berühmten Stern auf der Haube, in ihrem Heimatmarkt überhaupt Marktanteile verloren?
Ein Teil der Wahrheit ist, dass wir in der Vergangenheit zwar höhere Marktanteile hatten, aber nicht immer Geld verdient haben. Unser Fokus ist jetzt, profitabel zu sein und nicht nur auf Umsatz und Volumen zu schielen. Das ist auch der Geist, den Karin Rådström als Chefin von Mercedes-Benz Trucks 2021 mit in den Konzern gebracht hat. Größe allein zählt nicht, das Wachstum muss profitabel sein.
Dieser Meinung ist auch Ihr Aufsichtsratschef. Bei der Vorstellung von Karin Rådström als Vorstandschefin im vergangenen September hat Joe Kaeser gefordert, dass Daimler Truck „nicht nur der größte Truckanbieter der westlichen Welt, sondern auch margenführend sein muss“. Wann sind Sie das?
Ich halte es für vollkommen richtig, wenn man sagt, man möchte so gut sein wie die besten Wettbewerber. Man muss sich immer an den Marktteilnehmern messen lassen. Unser Kostenprogramm läuft bis 2030 – vor dem Hintergrund ist 2030 kein schlechter Zeitpunkt.
Wie schätzen Sie die zunehmende Konkurrenz aus China ein? Wann werden chinesische Unternehmen in Europa ihren Durchbruch haben?
Diese Konkurrenz macht die Umsetzung unseres Kostenprogramms noch dringlicher. Wenn man schon eine Profitabilitätslücke zu etablierten Wettbewerbern hat, ist es noch schwieriger, gegen neue Wettbewerber mit ganz anderen Kostenstrukturen zu bestehen. Natürlich dauert es ein bisschen, bis die Wettbewerber in Europa einen funktionierenden Service aufgebaut haben, das geht nicht über Nacht, aber es ist nur eine Frage der Zeit.
In den nächsten fünf Jahren wird sich da einiges tun – vielleicht auch schneller. In Saudi-Arabien ist der Marktanteil für schwere Lastwagen chinesischer Wettbewerber innerhalb von vier Jahren von null auf 50 Prozent gestiegen – durch sehr niedrige Preise und günstige oder kostenlose Finanzierungen. Natürlich hatten die Unternehmen noch kein gut ausgebautes Servicenetz, weswegen Reparaturen oft lange gedauert haben. In Saudi-Arabien haben die Unternehmen dann aber teilweise einfach gesagt: Ich gebe dir zwei Lastwagen, einen als Ersatz.
Hat denn Daimler Truck noch die besseren Lastwagen im Vergleich zu den neuen Wettbewerbern aus China?
Ja, wir haben schon die qualitativ besseren Fahrzeuge und vor allem ein besseres Servicenetz, so weit sind die chinesischen Unternehmen noch nicht. Aber die werden besser – und wir dürfen nicht unterschätzen, wie wahnsinnig schnell die sind. Deshalb müssen auch wir schneller werden, unsere Prozesse pragmatischer gestalten, Entwicklungszyklen verkürzen. Wir brauchen oft sehr lange, um zu Entscheidungen zu kommen und diese umzusetzen. Das wollen wir ändern.
In Ihnen und Karin Rådström führen nun zwei Frauen den weltweit größten Lastwagenhersteller. Ist das heute normal, oder profitiert Daimler Truck durch diese Konstellation auch in besonderer Weise?
Wir beide sind nicht auf diesem Posten, weil wir Frauen sind, sondern weil wir die Richtigen für den Job sind. Es freut uns, dass wir die Chance haben, das Unternehmen für die Zukunft auszustellen. Aber natürlich ist Diversität sehr wichtig für ein Unternehmen, nicht nur hinsichtlich des Geschlechts.
Wie steht Daimler Truck in dieser Hinsicht da?
Die Zentrale hier in Leinfelden-Echterdingen ist mir noch ein bisschen zu deutsch. Ich möchte hier gern mehr Nationalitäten haben. Für mich ist ein Tag, an dem ich mich mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt ausgetauscht habe, immer ein guter Tag, weil die unterschiedlichen Perspektiven, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen und die uns herausfordern, das Unternehmen weiterbringen.
US-Präsident Trump sieht das anders. Er verbietet Diversitätsprogramme und setzt Unternehmen unter Druck, die Vielfalt in ihren Strukturen fördern.
Wir lassen uns da nicht aus der Ruhe bringen. Grundsätzlich halten wir uns in den USA natürlich an alles, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Für uns ist Diversität aber trotzdem von entscheidender Bedeutung. Wir leben ja Diversität nicht um der Diversität willen, sondern weil wir der Meinung sind, dass unterschiedliche Perspektiven unsere Teams stärken und zu besseren Ergebnissen führen.
Zurück nach Deutschland: Brauchen wir eine Frauenquote?
Zu Beginn meiner Karriere war ich sehr idealistisch und habe gedacht, die beste Person bekommt den Job, da braucht man nichts regeln. Allerdings habe ich im Laufe der Zeit gemerkt, dass das alles nicht schnell genug geht. Deswegen sage ich inzwischen, dass es sinnvoll ist, wenn man für eine gewisse Zeit mit einer Quote nachhilft. Ich hoffe natürlich, dass wir den Punkt erreichen, an dem sich das alles normalisiert. Aber wir haben da einfach noch diesen Aufholeffekt.
Haben Sie eigentlich den Führerschein für Lastwagen?
Ja, seit vergangenem Oktober. Lastwagenfahren macht großen Spaß, bei meinen Besuchen unserer Standorte konnte ich schon alle Fahrzeuge von Daimler Truck fahren. Jetzt bin ich flexibel. Immer wenn wir ein neues Produkt haben, kann ich es ausprobieren. Ich muss unsere Produkte auch aus der Fahrerkabine heraus verstehen.
Zur Person
Geboren 1983, studiert Eva Scherer nach einer Lehre zur Industriekauffrau an der Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen Internationales Management. Ihre Laufbahn beginnt die heute 41 Jahre alte Managerin 2003 als Trainee bei Siemens, sie arbeitet in Controlling und Einkauf. Nach Abschluss eines berufsbegleitenden MBA-Studiums an der University of Bradford zieht Scherer 2011 für Siemens nach Singapur und übernimmt Aufgaben in der Finanzplanung der Sparte Building Technologies. 2017 kehrt sie nach Deutschland zurück, wird Mitglied der Geschäftsführung von Siemens Mobility und 2020 Finanzchefin des Geschäftsbereichs Rail Infrastructure. Von 2022 an verantwortet sie für Siemens global den Bereich Investor Relations. Seit April 2024 ist die Frau, die verheiratet ist und zwei Kinder hat, Finanzchefin von Daimler Truck.