Finanzminister in Kanada: Der Klingbeil-Booster

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Lars Klingbeil hat sich auf den Weg gemacht. Er ist lang, mühsam – und das Ende ist ungewiss. Aber noch ist Anfang. Der Vorsitzende der alten Arbeiterpartei ist gerade einmal vierzehn Tage Finanzminister und Vizekanzler in der selbsternannten Arbeitskoalition. Antritt in Brüssel, Ministererklärung im Bundestag, Vorstellen der neuen Steuerschätzung – das war der Auftakt in der vergangenen Woche. Natürlich plus Aktenfressen, das Einarbeiten in neue Themenfelder, Gespräche über dräuende Probleme – wofür die Kollegen im Verteidigungsministerium ein plastisches Bild verwenden: Druckbetankung des neuen Chefs.

Jetzt beschleunigt sich die Sache noch einmal: Am Dienstag führte der Weg den Finanzminister vom brandenburgischen Bad Saarow direkt ins kanadische Banff. Zunächst macht der SPD-Vorsitzende auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum das, was Politiker gemeinhin machen: Er wirbt für sein Programm, das nun allerdings ein schwarz-rotes ist. Klingbeil versucht einmal mehr, Aufbruchstimmung zu erzeugen; er verweist auf die geplanten Maßnahmen für mehr Wachstum. Da geht es dann um so schöne Dinge wie das Sondervermögen für die Infrastruktur, den sogenannten Investitions-Booster und die E-Auto-Förderung. Bis zum Sommer will die Regierung das meiste davon anpacken, damit das etwas wird mit dem Aufbruchssignal.

Vom Scharmützelsee im Berliner Umland geht es für Klingbeil direkt zum Hauptstadtflughafen. Vor dem Regierungsterminal steht startklar die weiß lackierte „Theodor Heuss“ der Flugbereitschaft. Pünktlich um 14 Uhr fährt die schwarze Autokolonne vor. Kaum eine Minuten später heißt es schon „boarding completed“. Los geht’s. 7899 Kilometer sind zu bewältigen, einmal quer über Grönland hinweg bis tief in den Westen Kanadas. 9 Stunden bis Calgary, dann noch einmal zwei Stunden Fahrt in die Bergwelt – dahin, wo die Grizzlys leben. Banff heißt das Ziel. Dort ist das Treffen mit den Kollegen aus der Siebenergruppe.

Dombrovskis: EU akzeptiert deutsches Investitionspaket

Erste große Delegationsreise, erster vertraulicher Austausch im Flugzeug mit den mitreisenden Journalisten, erste direkte Begegnungen mit den Finanzministern, die Klingbeil nicht in Brüssel gesehen hat – nicht zuletzt mit Scott Bessent aus Washington. Einen großen Erfolg hat der Deutsche gleichsam mit im Gepäck. EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis hat im Gespräch mit der F.A.Z. und anderen europäischen Medien zu verstehen gegeben, dass das deutsche Investitionspaket von 500 Milliarden Euro nicht an den europäischen Budgetregeln scheitern wird. Man kann davon ausgehen, dass der SPD-Politiker dies mit tiefer Genugtuung aufgenommen hat. Das macht seinen ersten Auftritt auf der großen internationalen Bühne noch schöner. Für ihn wird es leichter, vor den Kollegen das Bild eines Landes zu zeichnen, das entschlossen ist, in seine Zukunft zu investieren und nach zwei, drei verlorenen Jahren Wachstum zu generieren.

Klingbeil am Flughafen von Calgary
Klingbeil am Flughafen von Calgarydpa

In Banff gilt es für die Politiker des alten Westens, Geschlossenheit zu demonstrieren – die es nicht mehr gibt nach Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus, weder in der Ukraine-Politik noch in der Handelspolitik. Nach dem markigen Auftritt der Europäer in Kiew und dem offenkundig wenig erfolgreichen Telefonat von Trump mit Russlands Präsident Wladimir Putin geht es in Kanada weniger um neue Sanktionspläne als um eine gemeinsame Linie. Fast schon trotzig formuliert der Deutsche nach der Landung in Calgary: „Ich erhoffe mir das klare Signal, dass wir als die G7 weiterhin an der Seite der Ukraine stehen.“

Einigung in Handelspolitik wird schwierig

Ähnlich schwierig sieht es in der Handelspolitik aus. Amerikas Zusatzzölle, die Trump mit viel Tamtam gegen fast alle und jeden verhängt hat – selbst gegen unbewohnte Inseln, wenn auch nicht gegen Russland – hat er nach harschen Marktreaktionen nur ausgesetzt, nicht zuletzt weil die Zinsen auf amerikanische Staatsschulden fatal gestiegen waren. Ausgesetzt ist aber nicht abgeräumt. Keine leichte Voraussetzung, um am Ende des zweitägigen Treffens eine einvernehmliche Formulierung für das Kommuniqué zu finden. Hier mahnt Klingbeil tapfer vor dem Beginn des Treffens: Die aktuellen Handelsstreitigkeiten sollten zum Wohle aller schnellstmöglich beigelegt werden. In Kanada bekräftigt er: „Die Hand von Deutschland ist ausgestreckt in Richtung der Amerikaner.“ Es sei im Sinne aller G-7-Staaten, „dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen, dass wir gemeinsam den Handel vorantreiben und dass wir gemeinsam dafür sorgen, dass wir uns gegenseitig stärken“.

In Kanada sieht man Jeanette Schwammberger an der Seite von Klingbeil, die als beamtete Staatssekretärin für Europa und Internationales ins Finanzministerium zurückgekehrt ist. Zuletzt war sie Büroleiterin von Olaf Scholz (SPD). Der SPD-Politiker hatte das Kunststück geschafft, vom Finanzministerium in das Kanzleramt zu ziehen, nicht aber den Sprung an die Spitze der SPD vermocht – was wiederum Klingbeil gelang. Dieser hat nun als Parteichef, Vizekanzler und Finanzminister erstaunlich viele Machtpositionen in seiner Person vereint. So darf er in den nächsten Tagen und Wochen mit den Kabinettskollegen Chefgespräche zu ihren Einzelplänen führen, darf den Koalitionsausschuss bestreiten, in dem es um das Sofortprogramm der Regierung zur Ankurbelung der Wirtschaft gehen dürfte, darf den Parteitag der SPD vorbereiten, auf dem ihre Neuaufstellung nach dem Ampel-Aus festgezurrt werden muss. Alles muss bis Ende Juni vorbereitet sein.

Ob Klingbeil in knapp vier Jahren, wenn das Haltbarkeitsdatum der schwarz-roten Koalition in dieser Legislatur abläuft, wie seine Parteifreunde Scholz und in ferner Vergangenheit auch Helmut Schmidt den Wechsel aus dem Finanzministerium ins Kanzleramt feiern kann? Der Weg ist sehr lang, sehr mühsam und sehr steinig, selbst wenn manche Passage mit der Flugbereitschaft gleichsam luftgepolstert daherkommt. So schwer der Auftakt ist, im Vergleich zum fernen Ausgang könnte er sich noch als leicht erweisen.