Genau wie Augen-, Haut- und Haarfarbe ist die biogeographische Herkunft eine zusätzliche Information, die bei Ermittlungen in Fällen ohne Treffer mit der konventionellen DNA-Profilanalyse hilfreich sein kann. Und ich sehe keinen Grund, warum man sie vorenthalten sollte. Mit unserer Forschung konnten wir zeigen, dass schon kleine und beschädigte DNA-Proben ausreichen, um Rückschlüsse darauf zu ziehen. Technisch ist das also recht einfach umsetzbar. In der Forensik versucht man zum Beispiel auch, anhand von DNA-Proben das Alter zu bestimmen. Im Gegensatz zur Herkunftsanalyse braucht man hierzu hochwertige Proben, die es an Tatorten weitaus weniger oft gibt.
Was genau bestimmen die Verfahren?
Es gibt ja zahllose Anbieter für Tests, bei denen man gegen Geld seine eigene genetische Abstammung bestimmen lassen kann. Mit einer hochwertigen DNA-Probe geht das sogar ziemlich präzise. Die forensischen Tests sind damit aber kaum vergleichbar, was vor allem technische Gründe hat. Tatort-DNA liegt in der Regel in wesentlich schlechterer Qualität und Quantität vor, die Tests betrachten daher statt mehrerer tausend lediglich 100 bis 150 genetische Marker. Die Ergebnisse sind trotzdem zuverlässig. Aber die geographische Auflösung ist geringer, die Verfahren können nur zwischen fünf bis sieben Kontinentalregionen weltweit unterscheiden. Sie können also nur sagen, ob jemand, also dessen biologische Vorfahren, etwa aus Europa, Ostasien oder Afrika stammt. Sie können nicht bestimmen, ob jemand aus diesem oder jenem Land kommt.
Fünf bis sieben Regionen weltweit – das klingt nicht sehr präzise.

Zusätzlich zu diesen autosomalen Tests, die DNA-Marker analysieren, welche von beiden Eltern vererbt werden, kommen auch mitochondriale oder Y-chromosomale Tests zum Einsatz, die separat die geographische Herkunft der mütterlichen beziehungsweise der väterlichen Vorfahren feststellen. Diese Tests können spezifischere Informationen liefern, zum Beispiel ob ein Mann väterliche Vorfahren in Westeuropa oder in Osteuropa hat. Das sind Angaben, die allein aus einer Bestimmung von Augen-, Haar- und Hautfarbe nicht hervorgehen. Ein weiterer Faktor: Es gibt weltweit sehr viele Menschen, die mittelhelle Haut, braune Augen und schwarze Haare haben. Diese Personen sind mit einer biogeographischen Herkunftsanalyse, zumindest was deren kontinentale Herkunft angeht, gut zu unterscheiden. Somit kann man mehr ermittlungsrelevante Informationen bekommen, wenn man die Herkunftsanalyse mit der Bestimmung von Augen-, Haar- und Hautfarbe kombiniert. Aber man sollte dazu immer alle drei Tests machen, also autosomal, mitochondrial und Y-chromosomal, um ein möglichst vollständiges geographisches Herkunftsbild zu erhalten.
Aber welchen Mehrwert haben solche Infos? Helfen sie tatsächlich bei der Fahndung nach Tätern?
Es geht nicht darum, durch die biogeographische Herkunftsanalyse Täter unmittelbar zu überführen. Aber sie kann die Ermittlungen kanalisieren, also den Kreis möglicher Täter eingrenzen, etwa um eine Vorauswahl für weitergehende DNA-Analysen zu treffen. Wenn wir in die Länder schauen, wo dieses Verfahren zum Einsatz kommt, also zum Beispiel bei unseren Nachbarn in den Niederlanden, Österreich und der Schweiz, gibt es durchaus Fälle, wo die geographische Herkunftsanalyse den entscheidenden Hinweis geliefert hat. Da gab es zum Beispiel den Fall Milica van Doorn, die 1992 in den Niederlanden ermordet wurde. 2017 kam man durch eine Herkunftsanalyse zu dem Schluss, dass der Täter vermutlich aus einer Region stammt, zu der auch die Türkei gehört. Da in dem Stadtteil, in dem der Mord geschah, die meisten Menschen aus der vorhergesagten Region aus der Türkei stammen, wurden nur Männer türkischer Abstammung aus diesem Stadtteil zu einem Y-chromosomalen Verwandtschaftstest eingeladen, was ein paar mehr als 130 waren. Einer davon zeigte einen Treffer im Y-Profil, jedoch nicht im konventionellen DNA-Profil. Sein Bruder war einer der zwei, die den DNA-Test verweigert hatten, und konnte letztlich als Täter überführt werden.
Von Gegnern des Vorstoßes heißt es, das Vorgehen sei rassistisch und schüre Vorurteile. Teilen Sie die Kritik?
Diesen Einwand kann ich nicht nachvollziehen. Die Debatte um Rassismus dreht sich ja in der Regel um äußere Merkmale wie die Hautfarbe – und die wird in Deutschland ja bereits seit einigen Jahren aus Täter-DNA bestimmt. Die Analyse der biogeographischen Herkunft bezieht dagegen Bereiche der DNA ein, die nicht für optische Merkmale verantwortlich sind. Es ist auch nicht so, dass Menschen aus bestimmten Regionen präziser bestimmt werden können als andere. Wäre das der Fall, würde ich diese Bedenken teilen. Im Gegenteil: eine Herkunftsanalyse kann auch Minoritäten entlastet. Denn wenn sie zeigt, dass der Spurenleger aus Europa stammt, sind alle Nichteuropäer aus der Ermittlung raus. Die Herkunftsanalyse führt also auch dazu, dass nicht die Falschen in Verdacht geraten.