„Letzte Verteidigungswelle“: Kugelbomben und Brandanschläge

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Es war Anfang Januar, als Unbekannte eine Asylbewerberunterkunft im thüringischen Schmölln mit Nazi-Parolen beschmierten. „NS-Gebiet“, „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ sprühten sie an die Wände, dazu Hakenkreuze und Siegesrunen. Außerdem schlugen sie ein Fenster ein und hinterließen die kryptische Buchstabenfolge „L.V.W.“. Die Landespolizeiinspektion Gera gab am nächsten Vormittag eine knappe Pressemitteilung mit der Überschrift „Fremdenfeindliche Graffiti und Sachbeschädigung“ heraus und bat um Zeugenhinweise.

Inzwischen scheint nicht nur klar zu sein, wer hinter der Tat steckt, sondern auch, dass es um deutlich mehr ging als um ein eingeschlagenes Fenster und Schmierereien. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen zu dem Fall übernommen. Sie beschuldigt Claudio S. und Justin W., in der Januarnacht versucht zu haben, Feuerwerk ins Innere der Asylbewerberunterkunft in Schmölln zu schießen, um das bewohnte Gebäude in Brand zu setzen. Sie sollen Mitglieder einer rechtsextremistischen Terrorgruppe sein, die laut den Ermittlern weitere Anschläge durchgeführt oder geplant haben. Der Name, den sich die jungen Männer gegeben hatten: „Letzte Verteidigungswelle – L.V.W.“

Am Mittwochmorgen gingen die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt mit mehr als 220 Beamten gegen die mutmaßlichen Rechtsextremisten vor. Sie verhafteten in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen insgesamt fünf Beschuldigte. Drei weitere junge Männer aus Sachsen-Anhalt und Thüringen, darunter Claudio S. und Justin W., saßen bereits in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen unter anderem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder deren Unterstützung vor. Zwei der Beschuldigten, Jerome M. und Lenny M., werden außerdem besonders schwere Brandstiftung und versuchter Mord zur Last gelegt.

„Besonders erschütternd“

Was die mutmaßlichen Rechtsterroristen gemeinsam haben: Sie sind sehr jung, die meisten sogar minderjährig. „Besonders erschütternd“ nennt das Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) am Mittwoch. Der jüngste Verdächtige, 14 Jahre alt, wurde am Mittwoch in Mittelhessen festgenommen.

Laut Bundesanwaltschaft hatten sich die jungen Männer spätestens Mitte April 2024 zusammengeschlossen und sich den Namen „Letzte Verteidigungswelle“ gegeben. Die Mitglieder hätten sich als letzte Instanz zur Verteidigung der „Deutschen Nation“ gesehen. Ihr Ziel sei es gewesen, das demokratische System in Deutschland durch Gewalttaten gegen Migranten und politische Gegner zum Zusammenbruch zu bringen. Zu diesem Zweck rekrutierten die Rädelsführer seit vergangenem Jahr über soziale Medien wie Tiktok, Telegram oder Whatsapp neue Mitglieder. Wer mitmachen wollte, so berichtet es der „Spiegel“, sollte mindestens 15 Jahre alt sein, Schwule und „Kanaken“ waren demnach unerwünscht.

Razzia gegen den rechten Terror: Polizisten am Mittwoch in Neubukow in Mecklenburg-Vorpommern
Razzia gegen den rechten Terror: Polizisten am Mittwoch in Neubukow in Mecklenburg-Vorpommerndpa

Doch die Mitglieder der „L.V.W.“ beließen es nach Ansicht der Ermittler nicht bei Hass und Hetze im Internet. So sollen Jerome M. und Lenny M. einen Anschlag auf ein Kulturhaus im brandenburgischen Altdöbern verübt haben. Das frühere Schützenhaus war ein beliebtes Veranstaltungslokal, das Betreiberehepaar hatte sich immer wieder gegen Rechtsextremismus positioniert. In der Nacht auf den 23. Oktober brach dann ein Feuer im Dachgeschoss der Tanzhalle aus. Das Gebäude, in dem sich auch ein Jugendclub befand, brannte komplett nieder, erst am Vormittag konnte die Feuerwehr die Flammen unter Kontrolle bringen. Es entstand laut den Behörden ein Sachschaden in Höhe von 500.000 Euro. Dass die Menschen, die in einem direkt angrenzenden Wohngebäude schliefen, nicht verletzt wurden, war laut Bundesanwaltschaft „lediglich Zufall“. Sie wertet den Brandanschlag deshalb als Mordversuch. Ben-Maxim H. beschuldigt sie der Beihilfe. Er soll eine Rede entworfen haben, mit der Lenny M. die Tat in einem Video ankündigte und zu ähnlichen Anschlägen aufrief.

Auf die Spur der „Letzten Verteidigungswelle“ kamen die Ermittler offenbar auch durch Hinweise eines Reporterteams des Senders RTL und des Magazins „Stern“. Die Journalisten hatten eine verdeckte Reporterin in die rechtsextreme Gruppierung eingeschleust und nach eigenen Angaben rund ein halbes Jahr lang in deren Umfeld recherchiert und geheime Chats eingesehen. Die Reporterin begleitete demnach ein Mitglied der Gruppe, den 21 Jahre alten Devin K., auf einer Autofahrt in die Tschechische Republik, wo er zwei Kugelbomben kaufte. Mit diesen wollte die Gruppe laut den Vorwürfen des Generalbundesanwalts einen weiteren Anschlag verüben – diesmal auf eine Flüchtlingsunterkunft im brandenburgischen Senftenberg. Doch dazu kam es nicht, weil die Reporterin die Sicherheitsbehörden informierte. Die sächsische Polizei nahm im Februar in Meißen Devin K. fest und beschlagnahmte neben den beiden Kugelbomben auch Schlagringe, Einhandmesser, Munition, Schreckschuss- und Softairwaffen.

Die Recherchen des Reporterteams halfen offenbar auch bei den Ermittlungen nach dem Brand in Altdöbern. In der Chatgruppe der „Letzten Verteidigungswelle“ wurde laut dem Bericht des „Stern“ ein Video veröffentlicht, in dem ein Jugendlicher mit Sturmhaube und Flecktarnanzug die Scheibe eines Gebäudes einschlägt und eine Flüssigkeit hineinspritzt. Wenig später züngeln Flammen, und das Gebäude brennt lichterloh. Danach tauschten sich die Mitglieder der „L.V.W.“ laut „Stern“ über die Tat aus. „1.24 hab ichs angezündet“, schrieb einer. Und ein weiterer schickte eine Sprachnachricht, in der er den Namen des mutmaßlichen Täters nannte und sagte, dieser habe ein altes Café niedergebrannt, das „Zecken“ gekauft hätten.

Und auch Devin K. soll der Reporterin bei der gemeinsamen Fahrt in die Tschechische Republik von dem Brand in Altdöbern erzählt haben. Zusammen mit dem Täter hätten sie noch etwas geplant, sagte er laut „Stern“. Noch etwas Schlimmeres.