Über dem Schweizer Bergdorf Blatten wird mit einem massiven Bergsturz gerechnet. Bis zu fünf Millionen Kubikmeter Fels sind in Bewegung. Auch ein Gipfel in Deutschland droht auseinanderzubrechen.
Am Kleinen Nesthorn oberhalb von Blatten im Schweizer Kanton Wallis rumort es. Von dort seien zuletzt 1,5 Millionen Kubikmeter Geröll in die Tiefe gestürzt, sagte ein Experte des Kantons Wallis auf einer Pressekonferenz, wie die Agentur Keystone-SDA berichtete.
Schon ein Drittel des Bergs ist abgerutscht
Bei den bislang abgestürzten Felsen handele es sich um rund ein Drittel des instabilen Gesteinsmaterials, das derzeit an dem Berg in Bewegung sei, sagte Alban Brigger, ein für Naturgefahren zuständiger Ingenieur des Kantons. Die Behörden hoffen, dass der Berg weiterhin in kleineren Mengen abbröckelt, statt in einem riesigen Block.
Seit Montagvormittag ist das Dorf im Lötschental evakuiert. Die 300 Einwohnerinnen und Einwohner mussten ihre Häuser schnell verlassen. Sie kamen bei Verwandten, Freunden oder in Hotels unter. Auch Tiere wurden in Sicherheit gebracht.
Fels- und Bergsturz
Stürzen Gestein und Felsen mit einem Gesamtvolumen von mindestens 100 Kubikmetern – das entspricht im Durchschnitt dem Fassungsvermögen von 500 bis 600 Badewannen – ins Tal, so handelt es sich um einen sogenannten Felssturz. Ab einer Millionen Kubikmeter Gestein wird aus dem Felssturz ein Bergsturz. Das entspricht dem Volumen von 1.000 bis 2.000 Einfamilienhäusern
Experte vermutet Erwärmung von Permafrost als Grund
Professor Michael Krautblatter leitet an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Hangbewegungen. Er vermutet, dass das Ereignis im Wallis mit dem Klimawandel zusammenhängt. “Die Hangbewegung im Lötschental geht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Degradation zurück, also auf die Erwärmung von Permafrost”, sagt Krautblatter im Gespräch mit tagesschau.de.
Permafrost besteht aus Sedimenten, Gestein oder Erde und unterschiedliche Mengen Eis, das wie ein Kitt die Schichten zusammenhält. Solche Ereignisse habe man in den vergangenen Jahren einige gesehen. Vor zwei Jahren wurde zum Beispiel der Gipfel des Tiroler Fluchthorns weggerissen.
Beim Fluchthorn und dem Kleinen Nesthorn in der Schweiz handelt es sich Krautblatter zufolge um Felsbereiche über 3.000 Meter, die stark mit Eis gefüllt sind. Durch das Auftauen des Permafrostes werde das Eis in den Spalten und auch der Fels an sich labiler. Dadurch komme es gerade an sehr steilen Felsflanken vermehrt zu Fels- und Bergstürzen. Er gehe davon aus und “ich würde sagen, alle Wissenschaftler in dem Bereich, dass es in den nächsten 20, 30, 40 Jahren ganz vermehrt zu solchen großen Sturzereignissen kommt”. Deshalb versuche man, frühzeitig zu erkennen, wo die Felsen versagen, um künftig bessere Vorhersagen machen zu können.
Auch ein Berg im Allgäu zerbricht
Auch einem Gipfel in Bayern droht ein großer Bergsturz. Seit Jahren reißt der 2.592 Meter hohe Hochvogel bei Bad Hindelang im Oberallgäu am Gipfel immer weiter auseinander. Michael Krautblatter arbeitet seit 20 Jahren am Hochvogel und überwacht dort mit Sensoren jede Bewegung. Für Permafrost sei der Hochvogel zu niedrig. Der Riss habe sich über die vergangenen hundert Jahre und verstärkt seit zehn bis zwanzig Jahren gebildet.
Felsstürze sind ganz normal in den Alpen. Allerdings führen die vermehrten Starkniederschläge infolge des Klimawandels laut Krautblatter dazu, dass sich der Hochvogel schneller bewegt. Seit der Berg beobachtet wird, seien schon etwa 140.000 Kubikmeter Gestein abgestürzt. Das sind etwa 1.400 Lkw-Ladungen voll. Hunderttausende Tonnen könnten folgen und auf die Tiroler Seite des Berges stürzen.
Die nächsten Ortschaften wären – anders als in der Schweiz – nicht direkt vom Felssturz betroffen. Dennoch müssten alle rechtzeitig gewarnt werden, insbesondere auch Wanderer und Bergsteiger. Richtige Vorhersagen könne man wenige Tage vorher machen, “wenn wir sehen, jetzt beschleunigt er sich wirklich und will runterfallen”, sagt Krautblatter.