Amerikaner verlassen die USA: Goodbye, Donald!

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John Moore möchte nicht erkannt werden. Er schreibt von einer Mail­adresse, die keine Rückschlüsse auf seinen Namen zulässt, der eigentlich anders lautet. Im ersten Videocall mit der F.A.S. trägt der US-Amerikaner eine schwarze medizinische Maske, den Kapuzenpullover tief ins Gesicht gezogen. Wo er sich befindet, ist schwer zu sagen, denn er hat den Hintergrund mit einem weiten Stofftuch verhangen.

Es ist ein Auftritt, wie er von einem Informanten in einer brisanten Recherche vielleicht wenig überraschend wäre. Aber hier geht es um etwas, das eigentlich harmlos daherkommt: um Amerikaner wie Moore, die nach Deutschland auswandern wollen. Muss man wirklich so vorsichtig sein, von diesen Plänen zu erzählen? John Moore findet: Ja. Denn sein Vorhaben ist politisch motiviert. Seine Angst gilt dem Mann im Weißen Haus – und seinem mächtigen Apparat, der Kritikern wie ihm und seiner Familie das Leben sehr schwer machen könnte, so glaubt Moore zumindest. Der Tech-Manager aus Kalifornien ist vor allem vorsichtig, wenn er online politische Aussagen macht oder übers Internet telefoniert, sagt er: „Wer weiß, ob das, was ich sage, nicht irgendwann gegen mich verwendet wird.“ Die Demokratie in Amerika, fürchtet Moore, ist eigentlich bereits abgeschafft. „Ich habe Angst um unsere Zukunft.“

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


In dem Internetforum Reddit tauschen sich etliche Amerikaner aus, die Moores Sorgen teilen. Sie eint, dass sie sich von ihrem Heimatland entfremdet haben, ein Prozess, der für viele schon in Trumps erster Amtszeit begonnen hat. Viele fühlen sich in ihren Freundeskreisen oder bei Familientreffen nicht mehr zugehörig, manche haben das Gefühl, ihre Meinung am Arbeitsplatz nicht mehr frei äußern zu können, weil sie Nachteile für ihre Karriere befürchten oder es das Verhältnis zu ihren Kollegen belasten würde. Und manche sorgen sich schlicht, dass das Leben in den USA durch Trumps Wirtschaftspolitik für sie unbezahlbar werden könnte.

Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Amerikaner tatsächlich aus politischen Gründen mit dem Gedanken ans Auswandern nach Deutschland spielen. Doch es gibt Indizien, dass immer mehr Menschen diesen Schritt erwägen. Das Portal „Make it in Germany“ verzeichnete im vergangenen November, als Trump erneut zum Präsidenten gewählt wurde, deutlich höhere Zugriffszahlen aus den Vereinigten Staaten als üblich. Aufgesetzt von der deutschen Bundesregierung, klärt es über Möglichkeiten auf, als Ausländer in Deutschland Arbeit zu finden.

„Das Interesse von Amerikanern an Deutschland ist spürbar gestiegen“, sagt Kevin Kocher. Er ist selbst Amerikaner und leitet die Agentur „Immigrant Spirit“ in Hamburg, die englischsprachigen Bewerbern aus dem Ausland bei der Jobsuche in Deutschland hilft. „Derzeit sind viele Anfragen aus Amerika noch vage, die Leute fragen sich: Wo gehe ich hin, sollte es schlimmer werden?“, erzählt Kocher. „Die Entscheidung, tatsächlich auszuwandern, kommt dann meist, wenn die politische Situation im Heimatland das eigene Leben oder das von Familienangehörigen direkt betrifft.“

Hochschulen unter Druck

So war es auch bei John Moore, der sich in einem zweiten Telefonat zumindest gegenüber der F.A.S. doch zu erkennen gibt. Den Plan, auszuwandern, habe die Familie schon länger gefasst, erzählt er. Eigentlich sollte es im Jahr 2027 so weit sein. Jetzt aber soll alles noch viel schneller gehen. „Die letzten drei Monate waren einfach das reinste Chaos“, sagt Moore mit Blick auf Trumps Politik. Er fürchtet um die Ausbildung seiner drei Kinder, die im Teenageralter sind. Trump setze die Hochschulen massiv unter Druck. Am College seines ältesten Sohnes gebe es bereits Proteste. Er fürchtet, viele Dozenten könnten das Land verlassen und weniger internationale Studenten zugelassen werden, die für die Finanzierung der Hochschulen sehr wichtig seien. In einem politisch stabilen Umfeld wie in Deutschland könnten seine Kinder von einem besseren Studium profitieren, ist Moore überzeugt. „Auch wenn ein Umzug für sie natürlich eine riesige Veränderung sein wird, die ihnen auch Angst macht.“

Auszuwandern ist eine große, eine lebensverändernde Entscheidung. Manche Zielländer sind vertrauter als andere. „Deutschland fühlt sich für viele Amerikaner nicht so fremd an“, sagt Kevin Kocher. „In der Schule lernen wir viel über den Zweiten Weltkrieg, in der Wahrnehmung vieler Amerikaner sind unsere Weltanschauung und Werte ähnlich.“ Deutschland eile der Ruf voraus, dass man mit Englisch gut durchkommt. „Insbesondere Berlin ist sehr international und hat enorme Strahlkraft.“ Hinzu kommt: Viele US-Bürger haben deutsche Wurzeln. In einer Umfrage der staatlichen Statistikbehörde der USA gaben im Jahr 2022 rund 12 Prozent der Amerikaner an, deutsche Vorfahren zu haben. Das entspricht etwa 40 Millionen Menschen.

Zu ihnen gehört auch John Moores Ehefrau – was der Familie jetzt hilft. Ihre Mutter wurde in Deutschland geboren und zog als junge Frau in die USA. Dort bekam sie ihre Kinder. Früher konnte man die deutsche Staatsangehörigkeit nur vom Vater erben – das änderte sich erst 1975. Inzwischen dürfen aber auch Kinder deutscher Mütter, die vor 1975 geboren wurden, einen deutschen Pass beantragen. So haben Moores Frau und ihre Kinder schließlich die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen.

Einreise ist ohne Visum möglich

Doch auch ohne familiäre Verbindungen ist ein Aufenthaltstitel für Amerikaner in Deutschland nicht allzu schwer zu bekommen, sagt Rechtsanwalt Christoph von Planta. Das gilt insbesondere für qualifizierte Fachkräfte, die zum Beispiel mit der „Blauen Karte“ der EU eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Aber sogar für Unqualifizierte gibt es kaum Hürden: „Die USA fallen unter die ‚Best-friends-Staaten‘. Ihre Bürger sind hierzulande in vielerlei Hinsicht privilegiert“, so von Planta. Die Einreise sei ohne Visum möglich, um eine Aufenthaltserlaubnis könne man sich im Anschluss bis zu 90 Tage lang kümmern. „Als Amerikaner kann ich im Grunde einfach nach Deutschland kommen und mich nach einem Job umschauen.“

Auf gut Glück nach Deutschland zu kommen, können sich allerdings viele nicht leisten. Und Kevin Kocher von Immigrant Spirit weiß aus eigener Erfahrung: Von Amerika aus hier einen Job zu finden, ist äußerst schwierig. „Meistens wird man nicht einmal zum Jobinterview eingeladen.“ Bei ihm klappte es schließlich mit einem Job in der Logistik, einer Branche, die naturgemäß international ist. Später kam er zu Immigrant Spirit und übernahm schließlich das Unternehmen, das ihm einst seinen ersten Job in Deutschland vermittelt hatte.

Drei zentrale Herausforderungen begegnen ihm in seiner Beratung immer wieder: Zum einen fehlten vielen US-Auswanderern gute Deutschkenntnisse, die die meisten Arbeitgeber voraussetzten. Deutsche Unternehmen können mit amerikanischen Studienabschlüssen und Universitäten zudem oft nur wenig anfangen. Und drittens seien da noch allerlei formelle und finanzielle Hürden: das fehlende Wissen über die rechtlichen Voraussetzungen einer Anstellung etwa und der kostspielige Umzug des Bewerbers. „Einen Amerikaner einzustellen, das empfinden die Unternehmen als sehr aufwendig, es macht ihnen Arbeit“, so Kocher. Interessenten rät er zunächst zu dem Versuch, innerhalb der eigenen Organisation eine Stelle in Deutschland zu finden, sofern diese international aufgestellt ist. Das sei am einfachsten.

Konflikte in der Familie

Wer Glück hat, kann seinen bisherigen Job von Deutschland aus machen. So ging es Nick Speach, 39, der mit seiner Frau und drei kleinen Kindern bereits im Sommer 2021 nach Deutschland gekommen ist. Damals arbeitete er in der IT-Abteilung einer großen internationalen Hotelkette. Sein Arbeitgeber willigte nach einigen zähen Gesprächen ein, Speach einen deutschen Arbeitsvertrag zu geben. Sein Gehalt war fortan deutlich niedriger, der Lebensstandard aber trotzdem höher als in Amerika, sagt Speach. Heute hat er eine Führungsposition in einem anderen Unternehmen in der Hotelbranche, verdient mehr als zuletzt in den USA.

Auch wenn seine Frau deutsch ist, wollten sie eigentlich immer in den USA bleiben, erzählt Speach auf Englisch. Doch dann kam Donald Trump. Die politische Spaltung hat sich zunehmend auch in ­Speachs Familie bemerkbar gemacht. Mit seinem Vater, der „demokratische Institutionen verachtet“, wie Speach es ausdrückt, hat er inzwischen seit vier Jahren nicht gesprochen. Speach selbst bezeichnet sich selbst als linksliberal, hat einen Sticker für Bernie Sanders auf seinen Computer geklebt. Wenn er jetzt in die USA blickt, ist er froh, nicht mehr dort zu sein. „In Trumps erster Amtszeit gab es noch ‚Checks and Balances‘. Man könnte sagen: Da waren noch ein paar Vernünftige im Raum, die ihn in seinem Handeln einschränkten.“ Jetzt jage Trump einem schier Angst ein. „Er hat Bestrebungen, ein autoritärer Diktator zu sein.“

Nick Speach mit seiner deutschen Frau Christina Hinz
Nick Speach mit seiner deutschen Frau Christina HinzLea Tas

Von der Großstadt Baltimore an der amerikanischen Ostküste ist die Familie ins beschauliche Hiddenhausen gezogen. Jetzt sind die Eltern und Geschwister von Speachs Frau ganz in der Nähe. „Wenn ich am Wochenende grille, kommen schon mal 20 Leute vorbei“, lacht er. In der kleinen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen haben sie letztes Jahr sogar ein dreistöckiges Haus samt Nachbargrundstück gekauft – zu einem Preis, für den sie in Baltimore ganz bestimmt nichts Vergleichbares gefunden hätten, ist Speach sicher. Wohn- und Lebenshaltungskosten in Amerika seien enorm gestiegen in den letzten Jahren. Auch die kostenlose und gute Schulbildung für seine Kinder weiß Speach an Deutschland zu schätzen. Weil sein ältester Sohn eine Angststörung hat, wollte er ihn in den USA nicht auf eine staatliche Schule schicken. Sie hätte seinem Sohn nicht gerecht werden können, ist er überzeugt. Und eine Privatschule hätte sehr viel Geld gekostet.

In Gesprächen mit Amerikanern wie Moore oder Speach wird deutlich: Vieles, was für Deutsche selbstverständlich ist, ist für die Einwanderer etwas Besonderes. Rechtsanwalt Christoph von Planta beobachtet, dass viele seiner US-Mandanten in Deutschland, die eigentlich nur temporär hier leben wollten, nicht mehr zurückwollen. „Die Amerikaner wissen das deutsche Sozialsystem meistens sehr zu schätzen“, sagt er. Das gelte ganz besonders für die gesetzliche Krankenversicherung. Das Krankenversicherungssystem in den USA ist berüchtigt für seine hohen Kosten. Auch Nick Speach machte damit Erfahrung: „Ich habe 700 Dollar im Monat bezahlt, und als ich einen kleinen Routineeingriff im Krankenhaus hatte, musste ich trotzdem noch 8000 Dollar selbst beitragen.“ Die Operation hat er auch in Deutschland noch einmal vornehmen lassen – ohne zuzahlen zu müssen.

Nick Speach setzt nun alles daran, besser Deutsch zu lernen. Seine neue Heimat ist Hiddenhausen, sein nächstes Ziel die deutsche Staatsbürgerschaft. Einzig dem deutschen Essen und Bier kann er noch nicht viel abgewinnen.