Wie die Erdbeere wieder erdbeeriger werden soll

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22. Mai 2025 · Knallrot, aromatisch und dick müssen Erdbeeren sein. Und haltbar. Die wenigsten Sorten sind das. Wie Bauern, Züchter und Wissenschaftler diese Eigenschaften zurückholen wollen.




Wenn früher die ersten Erdbeeren reiften, gab es auf dem Hof von Georg Schwehr eine strenge Regel: Finger weg! Die erste Erdbeere des Jahres ging an die kleine Tochter. Heute ist Nicole erwachsen, aber die alte Regel hat Bestand: Die erste reife Erdbeere gehört immer noch ihr.

Das Erdbeergeschäft teilen sich Tochter und Vater mittlerweile – und mit den kleinen grünen Pflänzchen, die hier in Buchholz bei Freiburg ihre weißen Blüten Richtung Himmel strecken, hat der moderne Erdbeeranbau nicht mehr viel zu tun. Früher, so erinnert sich Georg Schwehr, reiften Erdbeeren auf dem Feld unter freiem Himmel, zwischen den Reihen lag Stroh. Und sobald sie reif waren, war auch der Sommer da. Eine Frucht, die den Deutschen eine unbeschwerte Zeit verkündet.

Noch bis weit in die Neunzigerjahre hinein wurden die Erdbeeren hier im Badischen erst Ende Mai reif, und die Saison dauerte höchstens fünf Wochen. Die Sorten trugen Namen wie Senga Sengana, Elsanta oder Lambada. Aber die Ernte war trotz chemischer Keule nicht immer gut. War das Wetter im Frühjahr nass und kühl, war die halbe Ernte Matsch. Und es half nur noch Zucker, um die Früchte zu süßen. Wurde es zu heiß, sind die Früchte schnell verbrannt. Das Wetter hatte entscheidenden Einfluss auf die Qualität. Jede Saison war anders.







Senga Sengana

Die Sommer der alten Bundesrepublik schmeckten nach dieser Sorte. Sie wurde fast überall angebaut und ist bis heute in der Verarbeitungsindustrie der Standard. Sie lässt sich einfrieren. Senga Sengana ist sehr aromatisch, hat aber viel Säure.





Heute ist der Anbau nicht wiederzuerkennen: Die ersten Erdbeeren werden im April geerntet, die letzten im Oktober gepflückt. Kein Bauer kann es sich mehr leisten, Erdbeeren nur unter freiem Himmel zu produzieren, sagt Nicole Schwehr, die Saison muss früh starten – vor allem frühe Ware bringt Geld – und bis in den Herbst hinein laufen.






Dafür hat sich im Anbau in den vergangenen Jahrzehnten fast alles geändert: Es gibt viele verschiedene Sorten; solche, die immer früher blühen, mittelfrühe und Hauptreifesorten sowie späte Sorten, die immer später ihre Blüte entwickeln. Es gibt Sorten, die mehrmals tragen, der Experte nennt sie remontierend, und die somit zu jeder Zeit Früchte liefern. Der Anbau ist vollständig kontrolliert.

Doch die Optimierung der Erdbeere hat ihren Preis: Viele Sorten haben kaum Geschmack – ein Problem, das Züchter heute mithilfe von alten Pflanzensammlungen lösen wollen. Doch kann das gelingen?

Um die Erdbeerernte zu steigern, zieht die Familie Schwehr seit dem Jahr 2009 Tunnel über ihr Feld: breite Eisengerüste mit lichtdurchlässiger Folie, die über das Feld mit den Pflänzchen gespannt werden. Die Wintersonne heizt die Tunnel schon im Fe­bruar auf frühsommerliche Werte, zudem schützen sie die Pflanzen vor Starkregen, Frost und Fäule.







Schwarzer Peter

Die alte Sorte, die auch Bluterdbeere genannt wird, ist die dunkelste Erdbeere. Sie bildet ein tiefrotes Fruchtfleisch und reift erst sehr spät im Sommer. Beim Geschmack gehen die Meinungen auseinander.





Der geschützte Anbau boomt: Die Anbaufläche hat sich in Deutschland in zehn Jahren mehr als verdreifacht. Auf 2050 Hektar reifen Erdbeeren heute im Tunnel oder Gewächshaus. Im selben Zeitraum ist die Anbaufläche im Freiland um mehr als vierzig Prozent auf 8500 Hektar geschrumpft. Der Grund ist banal: Die Erträge sind unter Folie und Glas mehr als doppelt so hoch wie unter freiem Himmel. Dafür ist der Anbau teurer.

Zu den Folientunneln der Schwehrs führt ein staubiger Feldweg. In den Kunststoffröhren wird nichts dem Zufall überlassen: Über Tropfschläuche werden Wasser und Nährstoffe zu den Pflanzen gepumpt, eine Wetterstation misst Temperatur und Feuchte, die Bestäubung übernehmen aufgestellte Hummelvölker. Der Bauer sorgt für das Wohl in der Erdbeer-Biosphäre.

Die Frucht ist, gemessen an der Anbaufläche, nach dem Apfel die zweitwichtigste Obstart in Deutschland. Dreieinhalb Kilogramm Erdbeeren isst jeder Deutsche pro Jahr, mehr als ein Drittel stammt aus heimischer Produktion. Das macht rund 90.000 Tonnen. Botanisch gesehen ist die Erdbeere keine Beere, sondern zählt zu den Sammelnussfrüchten, die Scheinfrüchte ausbilden. Die tatsächlichen Früchte sind die kleinen gelblichen Nüsschen, die an der Oberfläche der Frucht sitzen. Genau genommen verzehren wir den aufgewölbten Blütenboden. Die meisten Sorten heute sind zwittrig. Um sie zu befruchten, sind Insekten notwendig. Im geschützten Anbau sind Hummeln üblich, da sie friedfertig sind und auch bei niedrigen Temperaturen fliegen.

Georg Schwehr geht in den Tunnel und läuft die Reihen entlang. Eine schwarze Mulchfolie unterdrückt Unkräuter. Im warmen Tunnel stehen die Pflanzen in voller Blüte, einige grüne Fruchtansätze sind zu erkennen. Hummeln brummen. Ungefähr in der Mitte des hundert Meter langen Tunnels blitzt das erste Rot aus dem Erdbeerdamm. „Kein Wunder“, sagt Schwehr, an dieser Stelle bildeten sich die höchsten Temperaturen. Die Sorte, die hier reift, heißt Clery, sie stammt aus Italien. Sie ist die bekannteste Frühsorte auf dem Markt, eine Allrounderin. Eine Pflanze trage etwa 60 Blüten und bringe ein Kilo Ertrag, sagt Schwehr. Die deutsche Erdbeersaison starte oft mit Clery.

„Ach, die Clery“, sagt Stefan Kraege und winkt ab. Er ist Erdbeerzüchter, Anfang April steht er vor seinem Feld im westfälischen Telgte und deutet mit der Hand auf seinen Versuchsanbau. Er trägt Jeans, den Strohhut hat er im Auto gelassen. Er raucht, West-Zigaretten. Neue Sorten braucht das Land, davon ist er überzeugt. Und hier ist das Feld, auf dem er sie testet. Die Clery sei keine schlechte Sorte, sagt er, während er Schuhe und Hände desinfiziert und auf das Feld marschiert; sie sei haltbar, sehr resistent, liefere gute Erträge und entwickle eine glänzende Farbe. Aber die Früchte werden nicht sehr groß, und der Geschmack könnte besser sein, sagt er.







Clery

Die Erdbeerzeit beginnt in Süddeutschland meist mit dieser italienischen Sorte. Sie bildet kegelförmige Früchte, glänzt hellrot und schmeckt – wegen ihres geringen Säuregehalts – süß. Hohe Erträge.





Das ist die Kunst bei der Erdbeerzucht: ein möglichst gutes Verhältnis von Aroma, Ertrag, Haltbarkeit und Fruchtgröße zu finden. „Je besser eine Erdbeere schmeckt, desto weniger trägt sie“, sagt Kraege. Leckere Sorten sind zudem nicht die haltbarsten. Oder sie tragen zu kleine Früchte. Bei dem Versuch, die Erdbeere ertragreicher und weniger anfällig für Krankheiten zu machen, blieb der Geschmack in den vergangenen Jahrzehnten oft auf der Strecke. Ziel waren Sorten, die hohe Ernten abwerfen und mehrere Tage im Lastwagen oder im Supermarkt überstehen, bevor sie verzehrt werden. Deshalb gibt es heute makellos hellrote Früchte zu kaufen, die kegelförmig aussehen und samtig glänzen – aber nach nichts schmecken.

Wie also bekommt man den Geschmack zurück in die Erdbeere? Und wie kommt man zu Sorten mit möglichst großen Früchten? Stefan Kraege weiß, dass diese nicht nur für die Kunden wichtig sind, sondern auch, um die Leistung der Pflücker zu erhöhen. Mehr als die Hälfte der Gesamtkosten gehe heute für die Löhne drauf, sagt er. Wer dicke Früchte erntet, hat schneller mehr Gewicht auf der Waage.

Die Kraeges sind seit drei Generationen im Erdbeergeschäft. Stefan Kraege verkaufte über 30 Jahre hinweg Pflanzen an die Bauern. Dutzende Sorten hat er produziert, jedes Jahr verkostet er 8000 Früchte. Er kennt ihre Stärken und Schwächen, weiß, was die Bauern wollen und mit welchen Problemen sie sich herumschlagen. Seit 13 Jahren konzentriert er sich auf die Zucht. Er hat mittlerweile eigene Frühsorten im Programm, die der Clery überlegen sind, sagt er. Sie heißen Glorielle oder Séraphine und sehen prächtig aus, zumindest im hauseigenen Katalog. Glorielle wird vier Tage vor Clery reif, Séraphine leuchtet wunderbar rot und bildet gleichförmige Früchte. Letztere hat er vor zwei Jahren auf den Markt gebracht, darauf ist er stolz.

Die klassische Zucht ist mühsam. Man braucht viel Geduld und einen langen Atem. Da die Erdbeere einen achtfachen Chromosomensatz hat, ergeben sich praktisch unendliche Kombinationsmöglichkeiten. Zehn­tausende Pflanzen müssen jedes Jahr als Sämlinge aus Kreuzungen herangezogen werden. Acht bis zehn Jahre dauere es, bis eine neue Sorte gefunden sei, sagt Kraege. Dann muss sie sich auf dem Feld bewähren. Und die Bauern, kein besonders experimentierfreudiger Berufszweig, müssen überzeugt werden, die neue Sorte anzubauen.

Von der Kulturerdbeere existieren mittlerweile mehr als tausend Sorten, rund fünfzig davon werden heute in Deutschland angebaut. Aromatisch gibt es viel Mittelmaß, wirklich gute sind selten. Den Kunden ist der Name der Erdbeere in der Regel egal, Hauptsache, die Früchte leuchten schön rot. Beim Apfel ist das anders: Da schwört jeder auf eine andere Sorte. Elstar, Jonagold, Boskop.

Alle Sorten aus dem Erwerbsanbau sind Nachkommen der Gartenerdbeere, die im Jahr 1750 aus zufälliger Kreuzung entstand. Möglich machte das der französische Kapitän, Spion und Hobbybotaniker Amédée-Francois Frézier, der die großfruchtige, weiße Chile-Erdbeere in geheimer Mission mit nach Hause gebracht hatte. Aus dieser Frucht und der aus Amerika stammenden Scharlach-Erdbeere, die schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts ihren Weg nach Europa fand, entstand die Hybridform Fragaria x ananassa, die heutige Kulturerdbeere.

Bis dahin waren in Europa nur wildwachsende Arten bekannt. Sie werden schon seit der Jungsteinzeit gesammelt und verzehrt. Wildarten wie die Wald-, Hügel- oder Moschuserdbeere werden bis heute unter Liebhabern gehandelt. Die Kultivierung der Walderdbeere begann im Spätmittelalter, verschiedene Sorten wurden angebaut. Aber Fragaria vesca blieb klein und wurde schließlich von der Gartenerdbeere verdrängt.







Korona

Für den nach Pandemie klingenden Namen kann sie nichts. Diese Erdbeere ist hellrot glänzend, die Früchte sind klein und kegelförmig. Ihr Aroma ist ausgewogen. Sie verspricht sehr hohe Erträge. Oft wird sie für Selbstpflücker angebaut.





Die Divenhaftigkeit ist allen Erdbeeren angeboren. Sie gehört zu den empfindlichsten Obstsorten; ohne Pflanzenschutzmittel geht nichts. Über das Wurzelwerk können verschiedene Pilze wie Phytophthora fragariae, der die rote Wurzelfäule auslöst, die Pflanze befallen. Deshalb benötigt die Pflanze einen sonnigen Standort mit lockerem, tiefgründigem und humusreichem Boden. Staunässe ist Gift. Pilzerkrankungen wie Mehltau oder Grauschimmel sind gefürchtet. Die Erdbeere reift nicht nach und ist grundsätzlich schlecht lagerfähig. Ihren vollen Geschmack entfaltet sie nur im vollreifen Zustand.

Die geringe Haltbarkeit und Lagerfähigkeit des Weichobsts hat schon für böse Überraschungen in der Küche gesorgt, doch für heimische Bauern ist ihr matschiges Temperament auch ein großes Glück: Die Kunden wünschen sich frische Früchte, die nicht – wie Blaubeere oder Apfel – über Wochen über die Ozeane transportiert werden können, bevor sie im Supermarkt verkauft werden. Kurzum: Die Erdbeere ist zu weich für die Welt, sie sperrt sich gegen die Globalisierung. Auch einfrieren lässt sie sich eher schlecht als recht.

„Die einzig vernünftige Erdbeere ist die, die morgens gepflückt und abends gegessen wird“, sagt Stefan Kraege. Sie muss auf der Zunge zergehen. Und, Insidertipp: Die letzten zwei Drittel einer Ernte schmecken immer am besten, sagt er. Wie Kraeges Zuchtprogramm aussieht, zeigt er auf einem Feld außerhalb von Telgte. Nach ein paar Minuten Fahrt biegt er auf ein kleines Feld ein. Hochnebel hängt über der Zuchtstation, Gülle liegt in der Luft. Kraege stellt sein Auto ab und öffnet die Schiebetür zum Gewächshaus. Drinnen sind seine Mitarbeiter aus Polen schon bei der Arbeit, Selektion steht auf dem Tagesprogramm. Kraege in­spiziert die Pflänzchen. Sie sollen möglichst gleichförmige Blütenstände mit nicht zu vielen Blüten entwickeln, damit die Früchte groß genug werden und aromatisch bleiben. Vier Blütenstände mit jeweils fünf Früchten wären ideal. Die Form soll kegelförmig sein, der Fruchtansatz nicht zu hoch. Nur die erfolgversprechendsten Pflanzen bleiben im Programm, der Rest fliegt raus.

Mehrere neue Kreuzungen schickt Stefan Kraege ins Rennen. Sein Ziel sind Sorten, die vor allem im geschützten Anbau gedeihen. Kraege baut seine Pflanzen auf Stellagen an, also auf einem hüfthohen Rinnensystem, damit sich die Pflücker nicht mehr bücken müssen. Neue Sorten sollten Früchte tragen, die schön pflückbar an langen Blütenständen herunterhängen.

In Belgien, England und Holland geht man noch einen Schritt weiter, hier wird an einem Anbau mit Nährlösungen ohne Substrat gearbeitet. So sollen die Früchte das ganze Jahr über mit hohen Erträgen und Geschmack reifen. Kraege kramt sein Handy hervor. „Gucken Sie mal hier“, sagt er. Auf dem Bildschirm erscheinen reife Früchte, makellos und glänzend. Es handelt sich um seine Sorte Aylin, angebaut in Belgien im Gewächshaus, gepflückt am 15. Januar.







Snow White

Weiße Erdbeeren sind mit ihren roten Nüsschen ein Hingucker und nicht nur optisch anders als ihre roten Schwestern. Sie stammen direkt von der Chile-Erdbeere ab, dem einen Elternteil der Kulturerdbeere. Sie schmecken frisch-fruchtig bis leicht säuerlich.





Erdbeeren tragen oft Frauennamen. Bei Klaus Olbricht ist das anders. Seine Sorten heißen Jack, Rendezvous oder Snow White. Nur eine trägt den Namen Lola. Der Botaniker ist Deutschlands bekanntester Erdbeerzüchter. Er betreibt in Weixdorf, am äußersten Rand Dresdens, Aromaforschung. Im Jahr 2008 erbte er die größte lebende Erdbeer-Wildartensammlung Europas und damit die Grundlage für sein Zuchtprogramm. Heute gedeihen 300 Sorten und Wildarten aus mehr als 900 Herkunftsgebieten auf seinem Firmengelände.

In seinem Unternehmen Hansabred tat er sich mit dem Chemiker Detlef Ulrich vom Julius-Kühn-Institut zusammen. Olbricht kümmerte sich um die Zucht, Ulrich um den Geschmack. Gemeinsam wollten sie schmackhafte Erdbeeren züchten. Fragaria (von lateinisch fragrare, duften) soll ihrem Namen wieder gerecht werden. Nur wie?

Eines lernte Klaus Olbricht schnell: Aroma und Haltbarkeit schließen sich bei der Erdbeere aus. „Je fester und haltbarer, desto weniger schmecken sie“, sagt er. Bestes Beispiel seien die spanischen Früchte, die mehrere Tage im Lastwagen überstehen müssen, ehe sie im Supermarkt landen. „Der Ertrag stand bei der Zucht – wie bei vielen Kulturpflanzen – jahrzehntelang im Vordergrund“, sagt er. Ein Vierteljahrtausend Erdbeerzucht habe zu einer genetischen Erosion geführt. Die Folge: 30 Prozent der Allele der Kulturerdbeere seien nicht mehr nachweisbar.







Mieze Schindler

Die Mieze, wie diese Liebhabersorte genannt wird, gilt als aromatischste Erdbeere überhaupt. Allerdings wird sie schnell matschig und eignet sich nicht für den Transport. Wer sie probieren möchte, muss sie selbst anbauen.





Olbricht ging einen anderen Weg. Seine Zuchtstrategie ist es, alte und wilde Sorten wie die Chile-Erdbeere einzukreuzen, um den Genpool wieder zu erweitern. Ausgangspunkt seines Zuchtprogramms war eine besondere Sorte: die sehr wohlschmeckende Mieze Schindler. Die Liebhabersorte stammt aus dem Zuchtprogramm von Otto Schindler, einem Gartenbaulehrer aus Pillnitz bei Dresden. Vor hundert Jahren kreuzte dieser aus den geschmacklich unauffälligen Sorten Lucida Perfecta und Johannes Müller die legendäre Aromabombe. Sie verdirbt zwar leicht, überlebt oft den Weg vom Garten in die Küche nicht – und ist somit für den kommerziellen Anbau ungeeignet. Dafür schmeckt sie aber wie eine Walderdbeere, nur noch süßer. Der Sorte gab Schindler den Kosenamen seiner Frau: Mieze.

Was sie so schmackhaft macht? Aromaforscher Ulrich fand bei seiner Analyse einen besonderen Stoff: Methylanthranilat. Dieser Ester ist schon in sehr geringen Mengen wahrnehmbar und verleiht der Erdbeere ihren unverwechselbaren Geschmack. Aus den meisten Hochleistungssorten ist er verschwunden, weil sich das Gen für Methyl­anthranilat schlecht vererbt.

Moderne Sorten leiden aber nicht nur unter dem Verlust von Estern, die den Früchten Geschmack und Geruch verleihen, auch andere Aromastoffe wie Lactone und Terpenoide, die als süße Verstärker gelten und der Erdbeere das frische Aroma von Zi­trone beziehungsweise Pfirsich verleihen, wurden weniger. 900 chemische Substanzen wurden bei der Erdbeere insgesamt nachgewiesen, aber nur dreißig sind wahrnehmbar. Darunter sind auch strenge Substanzen wie Capronsäure und Buttersäure, die nach Ziegenbock und verdorbener Milch riechen. Jeder einzelne Aromastoff schmeckt anders, aber keiner für sich genommen nach Erdbeere. Nur zusammen ergeben sie das unverwechselbare Erdbeeraroma.

Sechs Sorten hat Hansabred in zwei Jahrzehnten auf den Markt gebracht. Kreuzungen mit der Mieze sind nicht darunter. Sie lässt sich nicht zur Hochleistungssorte verändern, fand Klaus Olbricht mit der Zeit heraus.

Zwanzig Jahre ist Olbricht jetzt Züchter. In seinem Gewächshaus warten Dutzende neue Klone auf die Selektion. Olbricht hatte es sich einfacher vorgestellt, neue aromatische Sorten zu finden, sagt er. Fragaria x ananassa hat ihn regelmäßig in den Wahnsinn getrieben. Aber immerhin: Seine Arbeit und die der anderen Züchter zeigt Wirkung: Die genetische Vielfalt nimmt zu.







Malwina

Sie reift zwar erst sehr spät im Sommer, dafür gehört sie zu den besten Sorten. Ihr ausgeprägtes Aroma macht sie zu einer Delikatesse, Süße und Säure harmonieren perfekt. Die dunkelroten Früchte werden allerdings schnell matschig.





Natürlich sind auch Erdbeersorten Geschmackssache. In professionellen Verkostungen wie die der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen schnitten zuletzt die Sorten Flair und Séraphine bei den Frühsorten am besten ab, Asia und Sonata bei den Hauptsorten, Favori und Eve’s Delight 2 bei den remontierenden Sorten – und Cadenza und Malwina bei den Spätsorten. Letztere hätte auch die Redaktion als Geheimtipp empfohlen. Ihr Geheimnis: Malwinas Urgroßmutter ist die Mieze.

Fotos: Hansebred