Die Krise der Deutschen Bahn lässt sich an vielen Zahlen ablesen – ein miserables Betriebsergebnis, dürftige Pünktlichkeit, sinkende Fahrgastzahlen. Eine Zahl spiegelt allerdings sowohl die Krise als auch eine Steigerung der Reisequalität wider: Die Auslastung der Fernverkehrszüge lag im ersten Quartal 2025 bei nur 42,3 Prozent. Zum Trost lässt sich das erste Quartal 2024 anführen, da waren die Werte noch etwas schlechter. Allerdings ist die leichte Verbesserung auch durch eine große Sparaktion im März teuer erkauft – bei der wurde die Bahn 1,2 Millionen Sparpreis-Tickets los. Ein Zweite-Klasse-Ticket zwischen Berlin und Frankfurt gab es da mitunter schon für 13 Euro. Noch alarmierender ist der Grund, den die Bahn selbst vermutet: „Kaufzurückhaltung aufgrund betrieblicher Lage“, heißt es in einem internen Papier.
Dazu muss man wissen: Die Auslastung ist ein zweischneidiges Schwert. Sie wird gemessen anhand der Buchungen, die flexibel reisenden Bahncard-100-Nutzer bleiben notgedrungen außen vor, allerdings machen sie auch keinen großen Unterschied. Auch mit einer durchschnittlichen Auslastung von 42 Prozent können einzelne Züge brechend voll sein, es gilt die Daumenregel: In Metropolregionen sind die Züge voller, ebenso zu den starken Pendel- und Reisezeiten, also morgens, abends und am Wochenende.
Vor Corona lag die Auslastung bei 56 Prozent
Im Jahr 2019, also vor der Corona-Pandemie, als die Reisenden in immer größeren Zahlen in die Züge strömten, lag die Auslastung bei 56 Prozent. Vom darauffolgenden „Corona-Knick“ hat sich die Bahn nie vollständig erholt, noch immer liegt sie unterhalb der Rekordmarke von 150 Millionen Reisenden im Jahr 2019. Gleichzeitig hat die Deutsche Bahn in froher Erwartung die Zahl ihrer Sitzplätze immer mehr ausgeweitet. „In den letzten Jahren haben wir mit jedem Fahrplanwechsel mehr Fahrten angeboten“, betont DB-Managerin Stefanie Berk, im Vorstand zuständig für Marketing und Vertrieb, gegenüber der F.A.Z. „Zum Fahrplan 2024 haben wir das Angebot mit bis zu 25 Prozent mehr Sitzplätzen auf den Hauptrouten so stark ausgebaut wie seit 20 Jahren nicht mehr.“ Zudem sei mit 410 Zügen die größte ICE-Flotte im Einsatz, die die Bahn je hatte.
Die Bewertung liegt also im Auge des Betrachters. Die geringe Auslastung könnten Kunden als großen Vorteil sehen, schließlich gibt es kaum ein attraktiveres Verkehrsmittel als einen leeren Zug. Für das Management ist es hingegen ein Problem, schließlich sind leere Züge alles andere als wirtschaftlich.
Das Problem wird dringlicher
Folgerichtig taucht die Zahl auch im ersten internen Bericht zum Sanierungsprogramm S3 auf, das der Staatskonzern im vergangenen Jahr gestartet hat, um mit Blick auf die vielen zusätzlichen Investitionen eine effiziente Mittelverwendung zu garantieren. Mit dem Bericht informiert das Bahnmanagement seinen Eigentümer, konkret das Bundesverkehrsministerium, über den Verlauf seiner Bemühungen.
Noch brisanter wird das Sanierungsprogramm innerhalb des Konzerns wegen des neuen Sondervermögens für die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro. Das soll schließlich der Bahn bei der Finanzierung ihrer laufenden Korridorsanierungen auf die Sprünge helfen. Auch der neue Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU), gerade seit zwei Wochen im Amt, dürfte deshalb genau hinsehen. In der Ampellogik des internen Berichts taucht die Auslastung mit einer leicht roten Färbung auf. Das bedeutet: Es muss gegengesteuert werden. Für das Gesamtjahr peilt die Bahn eine Auslastung von 50 Prozent an.

Ernüchternd sind auch die „identifizierten Risiken“, die der Konzern in dem 50seitigen Papier benennt, über die die „Süddeutsche Zeitung“ zuerst berichtet hatte. Zu viele Baustellen sorgen für zu viele Verspätungen, und die wiederum für „permanente Medienpräsenz“. Das berge Umsatzrisiken für den weiteren Jahresverlauf. Eine Änderung ist nicht in Sicht: Die Pünktlichkeit liegt mit 66,2 Prozent am unteren Ende des avisierten Korridors zwischen 66 und 70 Prozent. „Daher aktuell keine positive Wirkung auf Zuverlässigkeitswahrnehmung.“ Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Umfrage, die die Bundesnetzagentur jüngst durchführen ließ. Mehr als 80 Prozent der Befragten hätten lieber verlässliche Verbindungen anstelle einer höheren Zugtaktung. „Der Fokus der Verkehrsplanung sollte nicht auf einer Angebotsverdichtung, sondern auf einer Verbesserung der Fahrplanstabilität liegen“, hieß es seitens der Bundesnetzagentur.
Flixtrain steuert Auslastung mit KI
Besser als die Deutsche Bahn steht in Sachen Auslastung ihr kleiner Fernverkehrskonkurrent Flixtrain da. Dessen grüne Züge scheinen deutlich höher ausgelastet zu sein als die ICEs der DB. „Die durchschnittliche Auslastung liegt konstant zwischen 60 und 70 Prozent“, sagte eine Unternehmenssprecherin auf F.A.Z.-Anfrage. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass das Streckennetz der Münchener viel kleiner ist als das des Berliner Staatskonzerns, man sich auf wenige geschäftlich interessante Strecken konzentriert und dabei noch viel weniger Verbindungen anbietet. Im Fahrplan 2024/2025 sind lediglich vier Hauptstrecken aufgeführt.
Flix selbst verweist auf Künstliche Intelligenz und das firmeneigene Preissystem. „Wir erreichen diese im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern hohe Zahl durch smarte, KI-basierte Auslastungssteuerung“, erläuterte die Sprecherin. Zudem nutze man ein dynamisches Preissystem. Je früher die Reisenden buchten und entsprechend geringer die Auslastung dann noch sei, desto günstiger seien die Tickets auf der jeweiligen Fahrt. Tatsächlich ist – freilich ähnlich wie bei der DB auch – häufig zu beobachten, dass Flixtrain-Tickets am Abreisetag ein Vielfaches dessen kosten, was einen Monat früher zu bezahlen war.
Schwunghaft entwickelt sich das Geschäft auch beim österreichischen Konkurrenten ÖBB. Dort baut man seinen Zugbestand noch weiter aus. „Durch den Fahrgastboom der letzten Jahre und die geplanten Angebotsausweitungen wächst der Kapazitätsbedarf und damit auch die ÖBB-Fernverkehrsflotte“, verkündet der Wiener Konzern. Just am Donnerstag hat man von der Deutschen Bahn den Zuschlag für den Kauf von 17 IC-Doppelstockzügen des Typs Stadler KISS 200 erhalten.