Eine Veränderung in der Vereinskultur an sich nimmt auch Andreas Rettig wahr. Der DFB-Geschäftsführer beschreibt das Vereinsheim als eine “zweite Heimat”, als einen “Ort der Begegnung. Die Rentner haben Skat gespielt in der Ecke, Eltern haben gewartet, bis die Kinder mit dem Training fertig waren. Du hattest ein anderes Wir-Gefühl. Das nehme ich so heute nicht mehr wahr”, sagt er zu t-online.
Rettig glaubt: “Wenn das Modell Vereinsheim als Begegnungsstätte wieder moderner wird, können wir dort etwas verändern und auch in anderen Bereichen etwas auslösen, um den Stellenwert von Sport und Bewegung zu verbessern.”
Sport findet aber nicht nur in Vereinen statt. Viele vereinslose Erwachsene sind in Fitnessstudios angemeldet, gehen joggen oder machen Online-Kurse aus dem heimischen Wohnzimmer. Kinder hingegen sind abhängiger von einer Vereinszugehörigkeit. Denn in der Schule ist Bewegung zweitrangig. Die Lebensrealität in der Freizeit ist zudem eine andere. Auf dem Bolzplatz, der Straße oder im Wald nebenan zu spielen, ist oft weniger attraktiv als das Zocken am Smartphone.
Tim Frohwein berichtet: “Wir merken vielen Schulkindern auch an, dass wenig sportliche Aktivität da ist. Bei denen sind bestimmte Bewegungsabläufe nicht vorhanden, weil sie zu viel sitzen, zu viel am Handy oder der Konsole spielen. Das ist ein Problem, weil wir im Kindesalter die Grundlage für unseren Körper schaffen.”
Laut dem Digitalverband Bitkom besitzen inzwischen rund zwei Drittel (65 Prozent) der 6- bis 18-jährigen Kinder und Jugendlichen hierzulande ein eigenes Smartphone. Leo-Jonathan Teßmann, Sportwissenschaftler und Nachwuchsfußballtrainer beim Zweitligisten Hertha BSC, sagt daher: “Lernen und Spielen findet heutzutage nur noch institutionell statt. Wenn man mit einer Gruppe von Kindern in einen großen Wald geht und sagt: Wir treffen uns in drei Stunden wieder, spielt einfach und habt Spaß, dann fragen die sich: Was sollen wir jetzt machen? Der Wald ist eigentlich ein Paradies für kindliches Spielen, sie kommen aber auf keine Ideen, wie sie diese Spielzeit füllen sollen.”
Das merken Teßmann und seine Kollegen auch bei ihrer Arbeit bei Hertha BSC. Sie arbeiten gelegentlich mit sogenannten “freien Spielzeiten” vor dem Training. Eine Stunde vor dem offiziellen Trainingsbeginn werden der Fußballplatz und alle Materialien zur Verfügung gestellt. “Was wir uns natürlich damit erhoffen, ist, dass wir so ein bisschen Bolzplatzkultur wieder zurückbringen, dass die Kinder einfach die Spiele spielen, die wir früher gespielt haben. Dass sie kreativ werden, sich etwas einfallen lassen.” Die Realität sieht aber anders aus. “Was passiert, ist aber meistens, dass sich einfach einer ins Tor stellt und die anderen aus zehn Metern raufschießen. Die Kinder sind in so einer Art Konsumhaltung. Sie kommen in den Verein und erwarten, dass sie jetzt bespaßt werden und gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Sie sind gar nicht mehr in dem Erlebnismodus, wie wir das früher waren. Das ist auffällig.”