Über Google braut sich eine Katastrophe zusammen

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Gleich zwei Bundesrichter haben Google wegen illegaler Monopole verurteilt. Nun droht die Aufspaltung. Und das just in einer Zeit, in der neue KI-Firmen dem Kerngeschäft Anteile abgraben.

Alphabet-CEO Sundar Pichai gab diese Woche zu, dass Google derzeit unter einem enormem Konkurrenzdruck steht.

Alphabet-CEO Sundar Pichai gab diese Woche zu, dass Google derzeit unter einem enormem Konkurrenzdruck steht.

Nathan Laine / Bloomberg

Man könnte meinen, bei Google laufe es zurzeit hervorragend. Bei blauem Himmel und Sonnenschein präsentierte der CEO Sundar Pichai diese Woche auf der Entwicklerkonferenz Google I/O, der wichtigsten Veranstaltung des Konzerns, eine KI-Innovation nach der anderen: ob klassische Suche, Videogenerierung oder Online-Shopping – Googles künstliche Intelligenz werde alles besser und effizienter machen, lautete das Fazit. Selbst die totgesagten Google Glasses erleben dank KI eine Wiederauferstehung.

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Tatsächlich aber braut sich über dem Konzern zurzeit der perfekte Sturm zusammen. Die Zukunft von Googles Geschäftsmodell steht unter Druck wie noch nie in der fast dreissigjährigen Firmengeschichte. Nichts weniger als die kommerzielle Grundlage des Konzerns ist in Gefahr.

Gleich zwei Bundesrichter stellten illegale Monopole fest

Da sind zum einen die Gerichtsverfahren wegen Wettbewerbsverstössen. Diese laufen seit Jahren, nun sind aber gleich zwei Bundesrichter in den vergangenen Monaten zum Schluss gekommen, dass Google tatsächlich illegale Monopole betreibt: im Suchmaschinen- wie auch im Werbemarkt. Die beiden bilden die kommerziellen Standbeine des Konzerns. Dank den um Suchergebnisse drapierten Anzeigen verdiente Google im vergangenen Jahr 200 Milliarden Dollar mit Werbung, mehr als die Hälfte des gesamten Konzernumsatzes.

Im Werbemarkt hatte Google lange davon profitiert, dass die Art und Weise, wie Firmen für Online-Werbung in einem Auktionsverfahren bieten und welche Preise sie zahlen müssen, obskur und schwer zu verstehen ist. Doch nun urteilte eine Bundesrichterin vor wenigen Wochen, dass Google sich mit wettbewerbswidrigen Mitteln die Konkurrenz vom Hals gehalten habe und in zwei von drei Teilen des digitalen Werbemarktes ein illegales Monopol habe. Zu welchen Massnahmen Google verdonnert wird, um diesen Missstand zu beheben, wird in den kommenden Monaten vor Gericht erstritten werden.

Google droht die Aufspaltung

Diese sogenannte Remedy-Phase läuft im zweiten Verfahren um das Suchmaschinenmonopol bereits: Auch dort hatte ein Bundesrichter vergangenes Jahr festgestellt, dass Google seinen Anteil von rund 90 Prozent am globalen Suchmarkt mit wettbewerbswidrigen Mitteln erlangt hat.

Die Massnahmen gegen dieses Suchmaschinenmonopol, die der Bundesrichter nun erwägt, wären allesamt verheerend: Google könnte erstens dazu verpflichtet werden, seinen Suchmaschinenindex mit Wettbewerbern zu teilen – sprich seinen Datenschatz mit Informationen über alle Websites des Internets.

Zweitens könnte das Gericht Google zwingen, seinen Browser Chrome abzuspalten. Chrome spielt jedoch eine Schlüsselrolle in dem Ökosystem, das Google rund um das Suchgeschäft aufgebaut hat: Es ist der mit Abstand beliebteste Browser weltweit und ein wichtiger Zugangsweg für Millionen von Suchanfragen. Noch dazu erhält Google dank Chrome wichtige Informationen über das Verhalten von Nutzern im Internet, die es wiederum an seine Werbekunden verkaufen kann.

Doch damit nicht genug: Die Anwälte des Justizministeriums schlagen, drittens, vor, dass Google nicht mehr dafür zahlen darf, die Standardsuchmaschine auf Drittgeräten wie dem iPhone zu sein. Für diese exklusive Stellung – das sogenannte Bundling – zahlt Google an Apple, Samsung und andere Drittfirmen zurzeit stolze 26 Milliarden Dollar jährlich. Diesen Absprachen ist es zu verdanken, dass Millionen von Internetnutzern gar nicht auf die Idee kämen, Informationen im Internet nicht zu «googeln», sondern eine andere Suchmaschine zu verwenden.

Der Zeitpunkt der Verhandlungen ist brisant

Welche dieser Massnahmen Google wird ergreifen müssen, will der zuständige Bundesrichter im August entscheiden. Doch schon jetzt ist klar: Es dürfte das folgenreichste Kartellrechtsurteil in den USA seit Jahrzehnten werden. Google wird nahezu sicher in Berufung gehen, im Suchmaschinen- wie im Werbemarktverfahren.

Jahre könnten vergehen, bis in beiden Fällen rechtskräftige Urteile vorliegen. Doch auch das sind keine guten Aussichten für den Konzern: Die Gerichtsprozesse werden somit für lange Zeit enorme Ressourcen binden. Juristen werden den Ingenieuren und Managern bei allen denkbaren Entscheiden über die Schultern spähen. Der Innovationsprozess dürfte ins Stocken geraten.

Die Rechtsstreite wären zu jedem Zeitpunkt besorgniserregend. Besonders brisant werden sie dadurch, dass sie sich just in der Ära der künstlichen Intelligenz zuspitzen. Die KI-Revolution verändert gerade das Verhalten der Internetnutzer grundsätzlich. Immer mehr Personen «googeln» ihre Fragen nicht mehr, sondern «prompten», sprich sie stellen sie den Chatbots von Open AI, Anthropic, Perplexity und Co. Erstmals seit 22 Jahren sei Googles Suchmaschinen-Traffic zurückgegangen, bestätigte jüngst ein Zeuge in einem der Rechtsstreite.

Sam Altman, CEO von Open AI, an einem Hearing vor einer Senatskommission, Washington, USA, 8. Mai 2025.

Sam Altman, CEO von Open AI, an einem Hearing vor einer Senatskommission, Washington, USA, 8. Mai 2025.

Jonathan Ernst / Reuters

Und Google sitzt mit Open AI zum ersten Mal seit langem ernsthafte Konkurrenz im Nacken. Das Startup aus San Francisco hatte mit der Veröffentlichung von Chat-GPT vor zweieinhalb Jahren generative künstliche Intelligenz auf die Welt losgelassen – eine Technologie, für die ausgerechnet Googles Wissenschafter die Grundlage gelegt hatten. In kürzester Zeit ist Open AI zu einem milliardenschweren Unternehmen aufgestiegen, mit dessen Modellen und Produkten sich Google heute ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefert.

Sollte der Bundesrichter Google tatsächlich dazu zwingen, Dritten eine Lizenz für seinen Suchmaschinenindex zu erteilen und Chrome abzuspalten, wäre Open AI der jubelnde Dritte. Denn an beidem hat die Firma bereits grosses Interesse geäussert, wie der Produktchef Nick Turley jüngst im Zeugenstand aussagte.

Natürlich ist Open AI heute noch ein Zwerg im Vergleich zum Google-Konzern: rund 2000 Mitarbeiter im Vergleich zu 180 000, eine Bewertung von 300 Milliarden im Vergleich zu 2 Billionen Dollar, ein Verlust von 5 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr im Vergleich zu 100 Milliarden Dollar Gewinn. Doch Erinnerungen werden wach an das letzte grosse Kartellrechtsverfahren in den USA: Damals drohte dem Tech-Konzern Microsoft die Zerschlagung, und im Windschatten des Streits stieg still und leise ein Startup namens Google auf.

Google «disruptet» seine Suche nun lieber selbst

Der CEO Pichai gab auch diese Woche zu, unter welch enormem Konkurrenzdruck Google stehe: Früher habe man wichtige Ankündigungen bis zur Entwicklerkonferenz im Mai aufgespart, «heute kündigen wir neue KI-Modelle an einem beliebigen Dienstag im März an.» Der Abstand zur Konkurrenz ist so klein geworden, dass jeder Tag zählt.

Die Google-Führungsriege reagiert, indem sie kompromisslos auf künstliche Intelligenz setzt. Die Entwicklerkonferenz könnte inzwischen statt «Google I/O» genauso gut «Google AI» heissen: Wirklich jede Produktankündigung ist von KI geprägt. Längst vorbei sind die Tage, als der Konzern sich sorgfältig überlegte, ob die Gesellschaft wirklich für generative KI bereit ist, und Produkte freiwillig zurückhielt.

Dabei ist vielfach noch gar nicht klar, wie Werbekunden in den neuen KI-Produkten ihre Anzeigen platzieren können, und wo in den Ergebnissen von Chatbots überhaupt Werbung auftauchen wird. Doch die Strategie scheint klar: Lieber «disruptet» Google sein Suchgeschäft selbst, als dies der Konkurrenz zu überlassen.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob dieser Plan auch dann noch aufgeht, wenn ein Richter das Suchökosystem zerschlägt.