Die deutsche Stahlindustrie steht unter gewaltigem Druck. Die Hauptabnehmerindustrien schwächeln und reißen die zuliefernden Stahlhersteller mit. Die Notwendigkeit zur grünen Transformation ist riesig. Allein Thyssenkrupp Steel, Deutschlands größter Stahlkocher, ist für rund 2,5 Prozent der Kohlendioxidemissionen hierzulande verantwortlich. Noch dazu ächzt die Branche unter globalem Wettbewerbsdruck, denn Hersteller auf der ganzen Welt – und vor allem in Asien – produzieren unterm Strich mehr Stahl, als gekauft wird.
Den Unternehmen hierzulande geht es in der Folge schlecht. Deutschlands Marktführer, die Stahlsparte von Thyssenkrupp, vermeldete an diesem Donnerstag einen Quartals-Fehlbetrag von 23 Millionen Euro. Dort eskalierte ein Streit über die Sanierung vergangenen Sommer so sehr, dass die Lage erst jetzt – fast ein Jahr später – beginnt, sich einzurenken.
Die Politik und mit ihr die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sieht sich einem ganzen Strauß an Forderungen aus der Stahlindustrie gegenüber. Vorweggeschickt: Die Branche findet die grundsätzlich eingeschlagene Richtung im Koalitionsvertrag von Union und SPD begrüßenswert. Doch der industriepolitische Wunschzettel der Stahlkocher ist lang. Eine Herausforderung für Reiche, die alle Maßnahmen mit gesamtwirtschaftlichen und klimapolitischen Zielen zusammendenken müssen wird.
Furcht vor noch mehr Stahl aus Drittländern
Positiv wertet die Branche, dass sich die neue Regierung für eine Aufrechterhaltung des Außenhandelsschutzes der EU starkmachen will. Angesichts Donald Trumps Zollchaos ist es zwar gut, dass Deutschland ohnehin wenig Stahl nach Amerika liefert. Doch besteht die Sorge vor Umlenkungseffekten. Die Befürchtung: Noch mehr Stahl aus Drittländern, unter laxen Klimaschutzbedingungen hergestellt, könnte auf den Markt drängen.
Viele Stimmen aus der Stahlindustrie loben die neue Offenheit der Koalition für die sogenannte CCS-Technologie. Dabei geht es darum, in emissionslastigen Produktionsprozessen Kohlendioxid abzuscheiden, zu speichern und unter der Erde zu verpressen. Allerdings: Mit Hüttengasen aus dem Hochofenprozess wäre das sehr aufwendig. Selbst Thyssenkrupp, das sich eine Kohlendioxid-Abscheideanlage zu Testzwecken neben sein Duisburger Stahlwerk gestellt hat, möchte die Technologie mittlerweile lieber an andere Branchen verkaufen und in der Stahlherstellung mithilfe von Direktreduktion CO2 einsparen.
Dafür braucht es Wasserstoff, und Reiches angestrebter Pragmatismus in diesem Feld ist ein guter Schritt nach vorn. Der Koalitionsvertrag verspricht, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft zu beschleunigen und insbesondere in der Hochlaufphase alle „Farben“ des Wasserstoffs gutzuheißen. Das bedeutet, dass nicht nur unter strengen Kriterien mit erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff genutzt werden kann, sondern beispielsweise auch sogenannter blauer Wasserstoff, bei dem CCS zum Einsatz kommt. Katherina Reiche ist schon lange Anhängerin einer solchen „Farbenblindheit“. Und sie hat einen guten Punkt. Erst einmal muss der Markt wachsen. Natürlich ist es wichtig, dass der Wasserstoff in Zukunft grün ist. Zu Beginn wird die Branche aber den blauen wie den grünen Wasserstoff brauchen.
Und es bleibt eine riesige Herausforderung, dass die in der Stahlindustrie perspektivisch benötigten Wasserstoffmengen hierzulande kaum zu wettbewerbsfähigen Preisen erzeugbar sein dürften. Um die heimische Stahlindustrie mittel- und langfristig zu sichern, braucht es deshalb Geschäftsbeziehungen zu Ländern, in denen entweder Wasserstoff oder mithilfe von Wasserstoff direktreduziertes Eisen als Stahl-Vorprodukt günstiger herstellbar sind. Entsprechende Partnerschaften auszuloten und abzuschließen – das ist Aufgabe der Unternehmen, doch die Politik kann die richtigen Rahmenbedingungen dafür setzen. Infrastruktur ist ein Stichwort. Hier ist mit den Plänen zum Wasserstoffkernnetz schon ein guter erster Schritt getan.
Generell enthält der Koalitionsvertrag noch viele weitere Elemente, die der Stahlindustrie helfen dürften, etwa Maßnahmen, die dämpfend auf den Strompreis wirken. Nicht vergessen werden sollte über alldem, dass der Strompreis in Deutschland immer schon relativ hoch war. Ihre wettbewerbliche Stärke schöpfen die Unternehmen traditionell aus anderen Quellen, etwa Innovationskraft und Qualität. Stahl kann durchaus innovativ und hochwertig sein, etwa superdünn, besonders korrosionsbeständig oder magnetisierbar. Hier gilt es anzuknüpfen und weiterzudenken, damit die Branche noch lange mit ihren Pluspunkten wuchern kann.