L’Oréal Paris: Die Marketingfestspiele von Cannes

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In den Gängen des Fünfsternehotels Martinez herrscht am frühen Freitagabend dichtes Gedränge. „Excusez-moi“ ruft eine gestresste Fotografin, quetscht sich vorbei und joggt in Richtung Aufzug. In der Lobby, bevölkert von Männern mit Fliege und Frauen in langem Gewand, vermengen sich die Parfümwolken. Vor der Tür stehen sich Schaulustige hinter Absperrgittern schon den ganzen Tag die Füße platt.

Derweil posieren Simone Ashley und andere Filmstars auf der Dachterrasse von Suite Nummer 130. Ein paar Gläschen Champagner, ein paar Aufnahmen für die Follower, dann geht es auch schon in schwarzer Limousine von BMW, Mercedes oder BYD die Uferstraße Croisette entlang zum roten Teppich. Am vorletzten Abend der zwölftägigen Filmfestspiele ist der Trubel in Cannes noch einmal besonders groß.

L’Oréal ist Cannes seit 28 Jahren als Sponsor verbunden

Die Präsenz von L’Oréal Paris ist fester Bestandteil dieses Spektakels an der Côte d’Azur. Die mit einem Jahresumsatz von mehr als 7,5 Milliarden Euro größte Kosmetikmarke der Welt ist als Sponsor der Filmfestspiele nicht nur mit Werbebannern omnipräsent. Auch ihre Markenbotschafter wie Simone Ashley, Eva Longoria oder Iris Berben schwirren in diesen Tagen durch das Areal zwischen Martinez und Festspielhaus und liefern der Marketingabteilung konstant Content.

Simone Ashley und Gillian Anderson auf dem roten Teppich.
Simone Ashley und Gillian Anderson auf dem roten Teppich.EPA

„Wir erzielen mit dieser Veranstaltung eine Reichweite von fünf Milliarden, was einem Werbewert von etwa 350 Millionen Euro entspricht“, sagt Delphine Viguier-Hovasse. Das Engagement auf den sozialen Medien von L’Oréal Paris sei mit einer Rate von zehn Prozent sehr hoch. Verwundert zeigt sie sich darüber freilich nicht. Die Marke zeige hier in Cannes schließlich „Dinge, die die Leute normalerweise nicht sehen“. Man liefere Impressionen vom Styling der Markenbotschafter, filme aus den Autos, die zum roten Teppich fahren, und gebe Make-up-Tipps.

Viguier-Hovasse ist seit dem Jahr 2019 die Chefin von L’Oréal Paris und auf dem Sprung, als Innovationschefin in den Vorstand des insgesamt 36 Marken zählenden L’Oréal-Konzerns aufzurücken. Die Filmfestspiele in Cannes sind für die Französin eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Event des Jahres. Es dient nicht nur der Imagepflege, sondern rechnet sich auch kommerziell, stellt sie im Gespräch mit der F.A.Z. klar. Mit den Aktivitäten hier habe man einen direkten Einfluss auf die E-Commerce-Aktivitäten der Marke. Auf den Social-Media-Kanälen lief die Marketingmaschine in den vergangenen Tagen entsprechend auf Hochtouren.

Auch Eva Longoria ist L’Oréal-Markenbotschafterin
Auch Eva Longoria ist L’Oréal-MarkenbotschafterinJoel C Ryan/Invision/AP

L’Oréal ist Cannes seit nunmehr 28 Jahre als Sponsor verbunden. Für den Kosmetikkonzern hat sich in dieser Zeit vor allem die Interaktion mit der Kundschaft revolutioniert. „Wir haben eine direkte Verbindung zu unseren Verbrauchern, die wir vorher nicht hatten“, betont Viguier-Hovasse in Abgrenzung zu früher, wo man den Einzelhandel belieferte und keine eigenen Onlinekanäle betrieb. Und diese Kundschaft sei durch die Möglichkeiten der Aufklärung im Internet heute „unglaublich gut informiert“. „Meine Güte, sie haben Kenntnisse über Wissenschaft, Moleküle und Inhaltsstoffe“, sagt sie. Das gelte allen voran für Chinesen.

Nach L’Oréal-Angaben sind die Aufrufe von Beauty-Videos auf der ganzen Welt im vergangenen Jahr um 90 Prozent gestiegen. Dort lernt man, wie man Wimperntusche richtig aufträgt, die Haare färbt oder was bei der Hautpflege zu beachten ist. Der Konzern spricht von einer „Demokratisierung des Wissens“. Diese verändere den Markt stark. Es gelte schließlich: Je besser informiert der Kunde, desto anspruchsvoller sei er auch bei der Suche nach dem richtigen Schönheitsprodukt. Neben der verstärkten Interaktion im Netz reagiert L‘Oréal auch mit einem neuen KI-basierten „Beauty-Assistenten“ auf die Veränderungen am Markt. Er soll Menschen mit Akne beispielsweise die maßgeschneiderte Kosmetik empfehlen, lautet das Versprechen.

Marktführer unter den Massenmarken

Nahezu 600 Millionen Kunden hat L’Oréal Paris nach eigenen Angaben auf der ganzen Welt. Die Produkte kosten zwischen vier und 55 Euro. Die Marke wurde in den vergangenen Jahren „premiumisiert“, also aufgewertet, gehört aber nach wie vor nicht zur Luxussparte von L’Oréal – und das soll auch so bleiben, macht Viguier-Hovasse deutlich. Gerade der Status als „erschwingliche Luxusmarke“, die über alle möglichen Vertriebskanäle die Masse erreicht, erkläre den nachhaltigen Erfolg. Im vergangenen Jahr habe das Umsatzwachstum der Marke neun Prozent betragen. Gerade Deutschland mit seinen preisbewussten Konsumenten ist L’Oréal Paris ein wichtiger Markt.

Die Positionierung als gehobene Marke für die Masse hilft, unter der Flaute auf dem Luxusgütermarkt und den aktuellen Handelskonflikten nicht allzu stark zu leiden. Man könne nicht sagen, dass die Lage einfacher geworden ist, aber in globaler Hinsicht sei man von den Zöllen nur sehr wenig betroffen, gibt Viguier-Hovasse zu Protokoll. „Es macht keinen Sinn, Shampoo zu transportieren, das ist schwer und groß“, sagt sie. Anders als Luxusgütermarken made in France produziere man grundsätzlich dort, wo man verkaufe. Für den US-Markt gelte das sogar fast ausschließlich.

Auch in China stellt L’Oréal Paris Kosmetik nicht nur her, sondern ist man auch Marktführer unter den Massenmarken. Lange Zeit war das Land der Wachstumsmotor schlechthin. Doch zuletzt hat sich die Dynamik auf dem globalen Kosmetikmarkt verändert. So kamen nach L’Oréal-Angaben 50 Prozent des letztjährigen Wachstums der Massenmarken aus Schwellenländern in Lateinamerika, Südostasien, dem Nahen Osten sowie Indien und Südafrika. Neben dem wachsendem Wohlstand ist die Erwerbstätigkeit von Frauen ein wichtiger Treiber der Nachfrage nach Make-up-, Haar- und Hautpflegeprodukten.

Viguier-Hovasse gehört gleichwohl nicht zu denen, die nun nur noch in den Schwellenländern großes Wachstum erwarten. „Wir stehen erst am Anfang dessen, was wir heute in China erreichen können“, sagt sie. Im Vergleich zur Größe des Landes erreiche man dort bislang nur sehr wenige Verbraucher. Die Französin spricht grob geschätzt von 80 bis 100 Millionen chinesischen Kunden. Wenn man das mit der Einwohnerzahl des Reichs der Mitte und der Zahl der Frauen in dem Alter, in dem sie Kosmetika kaufen, vergleiche, dann habe man „das Potenzial, die Marktdurchdringung von L’Oréal Paris in China zu vervierfachen“, so Viguier-Hovasse.