Ob es die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, wirklich gibt? Nahe liegt zumindest das Gegenteil, dass nämlich allein das Gute zu wollen, böse Folgen haben kann. Zum Beispiel im Schweizer Kanton Wallis. Dort will der Energieversorger Grande Dixence ein Wasserkraftwerk bauen, das klimaneutralen Strom für bis zu 140.000 Haushalte liefern soll. Eine feine Sache, sollte man meinen, zumal dort, wo der Stausee entstehen soll, keine Menschen wohnen, mithin niemand seine Heimat verliert.
Das Dumme an der Sache: Just im zu flutenden Tal befindet sich der untere Teil des Gornergletschers, des der Fläche nach zweitgrößten Gletschers der Alpenrepublik. Nun, sagt der Bauherr vermutlich zu Recht, den Klimawandel würde der Eispanzer, in der betroffenen Region noch bis zu 300 Meter dick, ohnehin nicht überstehen. Man nimmt also, so unsere Interpretation, das Schicksal des Todgeweihten vorweg, indem man ihn vorzeitig einem guten Zweck opfert. Vor der Zeit auch deshalb, weil Berechnungen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zeigen, dass das Kraftwerk anfangs sehr viel weniger Strom liefern wird, denn das Eis schmilzt nur langsam, erst zur Mitte des Jahrhunderts kann das Kraftwerk volle Leistung liefern.
Mit ähnlichem Vorgehen ließe sich in Deutschland Großes für den Klimaschutz erreichen. Die Fichtenplantagen, die hierzulande noch immer einen bedeutenden Teil des Forstes ausmachen, werden den Klimawandel schließlich auch nicht überstehen, selbst um die Buchenwälder müssen wir fürchten. Außerdem wachsen ältere Bäume langsamer oder gar nicht mehr, mithin speichern sie auch wenig oder keinen Kohlenstoff mehr ein. Vorschlag: Holzen wir doch allen Bestand ab und pflanzen stattdessen junge Bäume, so wird der Wald wieder zu einer Kohlenstoffsenke. Mit Romantik oder gar Vorstellungen von Biodiversität und Ökosystemen kommen wir nicht weiter.
Dass der Zweck auf dem Weg in die Klimaneutralität immer häufiger jedes Mittel zu rechtfertigen scheint, daran sind jene mitschuldig, die sich als Umwelthelfer stilisieren. Wo gegen jeden Kilometer Stromleitung und jedes netzstabilisierende Kraftwerk geklagt wird, gilt es, sich auftuende Möglichkeiten rasch zu nutzen. Eben dies passiert in der Schweiz. Basisdemokratisch hatte die Bevölkerung im Sommer vergangenen Jahres einem Gesetz über die Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zugestimmt. Darin enthalten: 16 Wasserkraftwerke, jenes im Wallis eingeschlossen. Die Klagemöglichkeiten sollen nun eingeschränkt werden. Keine Kraft ohne Gegenkraft.