Eigentlich sollte das neue Verteilsystem für Hilfsgüter im Gazastreifen, das Israel angekündigt hatte, am Sonntag in Kraft treten. Allerdings steht der umstrittene Mechanismus, unter dem ein Privatunternehmen die Ausgabe von Lebensmitteln übersieht, offenbar noch nicht bereit. „In den nächsten Tagen“ werde das Projekt anlaufen, hieß es am Sonntag in der Zeitung „Yedioth Ahronoth“; möglicherweise schon an diesem Montag.
Nach fast 80 Tagen kompletter Blockade lässt die israelische Regierung seit dem vergangenen Montag wieder die Einfuhr von Hilfsgütern in den Gazastreifen zu; der Grund war Druck aus Washington. In der vergangenen Woche konnten die Vereinten Nationen etwa 400 Lastwagenladungen in das Gebiet bringen – weniger als vor dem Gazakrieg an einem Tag hineingelangten. Die UN und Hilfsorganisationen sagen, die Menge reiche nicht aus, um eine Hungersnot abzuwenden, vor der sie seit Wochen warnen.
Der israelischen Regierung zufolge sollte die Wiederaufnahme der Lieferungen ohnehin nur eine kurzfristige Lösung sein, bis die Voraussetzungen für das neue Verteilsystem geschaffen wurden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach am vergangenen Mittwoch von drei Stufen: Die erste war demnach die Einfuhr von Grundnahrungsmitteln über mehrere Tage hinweg, um eine humanitäre Krise zu verhindern. Anschließend sollen im Rahmen des neuen Systems Verteilstellen für Hilfsgüter eingerichtet werden. Schließlich solle im Süden des Gazastreifens eine Hamas-freie „sterile Zone“ geschaffen werden, in der die Bevölkerung konzentriert werden soll.
Eine „Militarisierung humanitärer Hilfe“?
Laut israelischen Medienberichten hat die israelische Armee inzwischen vier Verteilungsstellen vorbereitet. Dort sollen Lebensmittelpakete an palästinensische Familien ausgegeben werden. Anfangs sollen 1,2 Millionen Menschen auf diese Weise versorgt werden, also rund die Hälfte der Bewohner des Gazastreifens. Im Laufe der Zeit sollen es mehr werden.
Die israelische Armee soll dem Plan zufolge das „äußere Perimeter“ der Ausgabestellen sichern. Für die Ausgabe der Hilfsgüter selbst zuständig ist dem Plan zufolge die Gaza Humanitarian Foundation (GHF), eine zu Jahresbeginn in der Schweiz gegründete Organisation. Die Zeitung „Haaretz“ berichtete am Wochenende, dass zwei weitere Firmen die GHF dabei unterstützen sollen. Sie waren an der Überwachung des Netzarim-Korridors im Gazastreifen während der Waffenruhe zwischen Mitte Januar und Mitte März beteiligt. Führende Mitarbeiter der beiden Unternehmen, über die nicht viele Details bekannt sind, haben dem Bericht zufolge lange Zeit für das Militär oder Geheimdienste in den USA sowie für private Sicherheitsfirmen gearbeitet.
Solche Berichte verstärken die Besorgnis vieler Beobachter über eine „Militarisierung humanitärer Hilfe“. Ohnehin werfe der Plan für das neue Versorgungssystem zahlreiche Fragen auf, heißt es. So halten viele es für unrealistisch, über eine Handvoll von Versorgungsstellen mehr als eine Million Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Gleichzeitig könnte die Konzentration der Bevölkerung im Süden des Gazastreifens eine Vorstufe für ihre Vertreibung sein. Netanjahu deutet das immer wieder an, wenn er davon spricht, dass Israel den „Trump-Plan“ umsetzen wolle.
Luftangriff in Khan Yunis
Aufgrund solcher Bedenken unterstützt die Bundesregierung die GHF vorerst auch nicht finanziell. Von wo das Startkapital des Unternehmens von angeblich 250 Millionen Dollar stammt, ist im Einzelnen nicht klar. Eine schweizerische Nichtregierungsorganisation hat beantragt, eine Untersuchung zu der Frage einzuleiten, ob die Aktivitäten der GHF mit schweizerischem Recht und mit internationalem humanitären Recht vereinbar sind.
Ungeachtet der Wiederaufnahme der Hilfslieferungen führte die israelische Armee ihre Offensive am Wochenende fort. Am Sonntagnachmittag meldete das teils der Hamas unterstehende Gesundheitsministerium in Gaza zwanzig Todesopfer durch israelische Angriffe. Bei einem Luftangriff in Khan Yunis am Freitag wurden palästinensischen Berichten zufolge acht der neun Kinder eines Arztehepaars getötet. Die Geschwister waren demnach alle weniger als zwölf Jahre alt. Nur ein elf Jahre alter Sohn überlebte schwer verletzt.