Die grüne Vorherrschaft im Industrieland Baden-Württemberg könnte Anfang 2026 nach drei Legislaturperioden zu Ende gehen. Aktuell ist die CDU in Umfragen stärkste Kraft; die Grünen haben wegen der Schwierigkeiten der Ampelregierung – und weil die Strahlkraft von Ministerpräsident Winfried Kretschmann nachlässt – zehn Prozentpunkte eingebüßt. Vor vier Jahren hatten die Südwest-Grünen Kretschmanns Lebensziel fast erreicht: eine in der politischen Mitte verankerte linksökologische Volkspartei zu werden. Davon sind sie gerade weit entfernt. Für einen rechtzeitigen Generationswechsel von Kretschmann zu Cem Özdemir fehlte der Partei der Mut.
Konservative Grundstimmung
Für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ist die Landtagswahl in Baden-Württemberg eine Testwahl. Merz zeigte sich kürzlich optimistisch, mit dem Landesvorsitzenden Manuel Hagel bald den Ministerpräsidenten zu stellen.
Die CDU steht aufgrund der konservativeren Grundstimmung und des machtfixierten Fleißes ihres Spitzenkandidaten derzeit viel besser da als früher. Doch wie belastbar ist dieser Vorsprung? Die Bürger haben sich noch kein Bild von den Leistungen der neuen Bundesregierung gemacht, den neuen CDU-Spitzenmann kennen viele noch nicht. Hagels Herausforderung ist es, in Krisenzeiten für Veränderungen zu werben und die Wähler gleichzeitig davon zu überzeugen, dass ein 37-Jähriger ohne Regierungserfahrung hierfür der Richtige ist.
Das ist anspruchsvoll, zumal Hagel keinen Wahlkampf aus der Opposition führt. Er kann weder die Regierungsarbeit mit den Grünen desavouieren noch gegen Kretschmann Stimmung machen. Deshalb unterscheidet er zwischen „guten“ und „bösen“ Grünen und verspricht, das „Erbe Winfried Kretschmanns“ zu bewahren.
Mangels einer klaren Koalitionsalternative – ein Bündnis aus CDU und FDP ist höchst unwahrscheinlich – spricht Hagel von einer „bürgerlichen Bewegung für den Wechsel“ und meint damit eine „Deutschlandkoalition“ aus CDU, SPD und FDP. In jedem Fall muss er einen Zweifrontenwahlkampf führen: Auf der einen Seite gilt es, ein schwarz-grün-bürgerliches Milieu zu umwerben, das es im Südwesten tatsächlich gibt. Auf der anderen Seite setzt die AfD die CDU unter Druck: Die in Teilen rechtsextremistische AfD tritt erstmals mit einem Ministerpräsidentenkandidaten an, sie verfügt mittlerweile über eine feste Stammwählerschaft und agiert professioneller – bei der Bundestagswahl war sie zweitstärkste Partei, auf Landesebene steht sie bei 19 Prozent – knapp hinter den Grünen. Radikale AfD-Thesen sind längst ins CDU-Milieu eingesickert. Hagel wettert deshalb gegen Brandmauern, um AfD-Wähler zurückzugewinnen, und erklärt die Partei gleichzeitig zum Hauptgegner. Zudem ist Hagel vom Bundestrend abhängig: Da die AfD ihre eigenen Kommunikationsräume bespielt, garantiert selbst eine ordentlich arbeitende Bundesregierung der CDU im Südwesten nicht automatisch 30 Prozent. Wenn Merz Erfolg hat, kann Hagel mit Rückenwind aus Berlin rechnen.
Die Aufgaben, vor denen Cem Özdemir steht, sind nicht weniger anspruchsvoll: Der ehemalige Bundesminister muss bis zum Wahltag mit mehreren Dilemmata kämpfen: Er muss die Wähler in der Mitte der Gesellschaft ansprechen, die Kretschmann dreimal ins Ministerpräsidentenamt halfen. Gleichzeitig könnte die Linkspartei die Grünen mit der „Reichinnek-Methode“ und einer linkspopulistischen Kampagne in den Medien vor sich hertreiben.
Özdemir wird auf seine Aufstiegserzählung setzen
Özdemir wird im Wahlkampf auf seine authentische Aufstiegserzählung als Sohn türkischer Einwanderer setzen. Er benötigt die größtmögliche Unabhängigkeit von seiner ins Klein-Klein verliebten Partei. Der Erfolg des ersten grünen Ministerpräsidenten beruhte auch darauf, die politische Metaebene perfekt zu bespielen und sich durch ständigen Widerspruch zu seiner Partei zu profilieren. Özdemir muss seinen eigenen Politikstil und vor allem Antworten auf die Krise und Transformation der Wirtschaft finden. Anders als zu Beginn der grünen Suprematie wünschen sich viele Multiplikatoren in der Wirtschaft wieder eine CDU-geführte Landesregierung.
Özdemir muss angesichts einer durchwachsenen Regierungsbilanz von Grün-Schwarz in der Bildungs-, Energie- und Ansiedlungspolitik viel Überzeugungsarbeit leisten, wenn er aufholen will. Die Partei des ländlichen Raumes ist eher die CDU. Angesichts des Bedeutungsverlusts der Landespolitik geht es am Ende um das Personal. Es wird also die Frage sein, ob die Bürger es Hagel oder Özdemir zutrauen, verlässlich zu regieren und dem Land bildungs-, wirtschafts- und wissenschaftspolitisch die notwendigen Impulse zu geben.