Eine Woche, mehr Zeit bleibt der EU nicht, um die von US-Präsident Donald Trump für Anfang Juni angedrohten Zölle von 50 Prozent auf fast alle Einfuhren abzuwenden. Ob das gelingen kann, darüber sind sich Politiker, Diplomaten und Ökonomen ebenso uneins wie in der Frage, ob die EU nun ihre Strategie ändern muss. „Es ist ja nur eine Ankündigung“, wird Trumps Drohung vom Freitag etwa in der Europäischen Kommission heruntergespielt. „Bei Trump weiß man nie, ob er einer Drohung Taten folgen lässt“, sagen EU-Diplomaten. Die Strategie sei bekannt, sagen andere: „Erst Drohen, dann die Kehrtwende.“
Dieses Lager sieht entsprechend keinen Grund, von dem bisherigen defensiven Kurs abzurücken. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) warnte am Sonntag vor Gegenattacken. „Wir sind als Europäer geschlossen und entschlossen, unsere Interessen zu vertreten“, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Wir brauchen jetzt keine weiteren Provokationen, sondern ernsthafte Verhandlungen.“
Drastische Folgen für die deutsche Wirtschaft
Die Kommission hatte noch bis Freitag auf eine schnelle Lösung gehofft. Beide Seiten hatten zuletzt erstmals Positionspapiere ausgetauscht, ohne sich indes inhaltlich anzunähern. Die EU hatte diverse Angebote aufgelistet, etwa den Kauf von mehr Gas und Soja in den USA oder Nullzölle auf beiden Seiten. Die Trump-Regierung hatte mit Forderungen nach Anerkennung von US-Standards oder der Abschaffung von EU-Gesetzen reagiert.
Ähnlich wie Klingbeil hatte sich EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič nach einem Gespräch mit Trumps Unterhändlern, Jamieson Greer und Howard Lutnick, geäußert. Der EU-Abgeordnete Daniel Caspary (CDU) setzt darauf, dass Trump von selbst einlenkt. Seine „handelspolitische Geisterfahrt“ schade den eigenen Verbrauchern und Betrieben.

Nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel stiegen die Preise in den USA um 6,6 Prozent, wenn Trump Ernst macht. Die Wirtschaftsleistung sänke um 1,5 Prozent. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) verweist darauf, dass die USA manche Waren ausschließlich aus Deutschland einführten. So hätten sie 2024 rund 95 Prozent aller Kräne im Wert von 850 Millionen Dollar aus Deutschland eingeführt. Ausweichmöglichkeiten gebe es kaum.
„Es handelt sich um ein vorhersehbares Scheitern“
Allerdings wären auch die Folgen für die deutsche Wirtschaft drastisch. Der deutsche Export in die Vereinigten Staaten würde mit einem Zoll von 50 Prozent um 24 Prozent sinken, haben die Kieler Ökonomen berechnet. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte demnach auf kurze Sicht preisbereinigt um 0,8 Prozent. Eine gewisse Entspannung gäbe es allenfalls mit Blick auf die Preise, die um 2,7 Prozent sinken könnten. Mögliche Gegenzölle der Europäischen Union sind in der Analyse nicht berücksichtigt. Die EU insgesamt würde etwas schwächer getroffen.
Das IW geht davon aus, dass ein 50-Prozent-Zoll die deutsche Wirtschaft bis Ende 2028 etwa 200 Milliarden Euro kosten würde. Die Wirtschaftsleistung fiele 2025 rund 0,1 Prozent niedriger aus, dann würden die Schäden viel größer. Im Durchschnitt der Jahre 2025 bis 2028 würde die Wirtschaftsleistung 1,1 Prozent niedriger ausfallen. Reagiere die EU mit Vergeltungszöllen, drohe sogar ein Schaden von 250 Milliarden Euro bis 2028. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, warnte insbesondere vor den Folgen für die ohnehin schwächelnde Automobilbranche. Die deutsche Wirtschaft könne abermals in die Rezession rutschen.
Dennoch ist Fratzscher für einen Kurswechsel. Die bisherige Strategie sei gescheitert: „Es handelt sich um ein vorhersehbares Scheitern: Trump interpretiert Europas Zaudern, Zögern und Nachgeben als Schwäche, was es auch tatsächlich ist.“ Auch im Europaparlament werden Forderungen nach mehr Härte laut. „Trump muss klar werden, dass die Kosten für ein No-deal-Szenario schwerwiegend sind“, sagte Anna Cavazzini (Grüne). Die EU müsse ansetzen, wo es Trump und seine Gefolgsleute am härtesten treffe.
Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), rief vor einer Delegationsreise nach Washington zu einer konsequenten Antwort auf. „Wenn Trump Ernst macht und die neuen Zölle auch in Kraft setzt, sollten wir das auch tun“, sagte er der F.A.Z. Das werde er in seinen Treffen, unter anderem mit Unterhändler Greer, klarmachen.
Die EU hat alle Gegenmaßnahmen auf Eis gelegt, nachdem Trump Mitte April eine 90-Tage-Zollpause ausgerufen hatte. Das gilt auch für das schon beschlossene Paket an Zöllen, mit denen die EU auf die 25-Prozent-Zölle auf Stahl reagiert hat, die unverändert in Kraft sind. Es trifft US-Importe im Wert von 21 Milliarden Euro, darunter die symbolträchtigen Harley-Davidson-Motorräder, Soja und Jeans.
Diese Zölle könnte die EU schnell wieder in Kraft setzen. Darüber hinaus laufen die Arbeiten an einem zweiten Zollpaket auf US-Importe von 95 Milliarden Euro. Das befindet sich momentan, bis zum 10. Juni, in der Konsultationsphase. Der Beschluss des zweiten Pakets lasse sich aber beschleunigen, sagen Diplomaten.