Traum der Zionisten von der Umsiedlung der Palästinenser

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Die israelische Armee versetze der Hamas gerade „machtvolle Schläge“, wie Benjamin Netanjahu vor wenigen Tagen auf einer Pressekonferenz sagte. Ausgiebig pries Israels Ministerpräsident die neue Militäraktion. Und er skizzierte, was geschehen müsse, damit es ein Ende des Krieges gibt: „Alle Geiseln kommen nach Hause, die Hamas legt ihre Waffen nieder, tritt von der Macht zurück, ihre Führung wird aus dem Gazastreifen verbannt.“ Der Küstenstreifen werde vollständig demilitarisiert, erläuterte er weiter, „und wir setzen den Trump-Plan um“. Netanjahu fügte hinzu: „Ein Plan, der so richtig und so revolutionär ist.“

Netanjahu liebt es, die Pläne anderer Leute zu loben, wenn sie ihm politisch zupasskommen. Seit Wochen erwähnt er immer wieder „den Trump-Plan“. Dabei spricht der amerikanische Präsident selbst praktisch kaum noch über die Idee, die er Anfang Februar auf einer Pressekonferenz mit Netanjahu vorgebracht hatte: die Bewohner des Gazastreifens in andere Länder umzusiedeln und das verwüstete Gebiet in eine Nahost-Riviera zu verwandeln.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


In Israel hat der Vorschlag einiges in Bewegung gesetzt. Netanjahu pries den „einzigen Plan“, der „eine andere Zukunft für die Menschen in Gaza, für die Menschen in Israel, für die umliegenden Gebiete“ ermögliche. Von einem „Wunder“ sprach Kulturminister Miki Zohar. Trumps wenige, unausgegorene Sätze haben die Phantasie der Israelis auf das Äußerste angeregt. In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage befürworteten 82 Prozent der befragten jüdischen Israelis eine gewaltsame Vertreibung der Palästinenser im Gazastreifen.

Das ist kein Wunder: Die Umsiedlung der Palästinenser ist ein alter Traum der zionistischen Bewegung. Und es gab immer wieder Versuche, ihn umzusetzen.

„Für uns ist Palästina die historische Heimat, für die Araber nicht“

Denn schon wenige Jahre nachdem im späten 19. Jahrhundert die organisierte Einwanderung von Juden nach Palästina begonnen hatte, kam es zu ersten Konflikten mit den dort lebenden Menschen. Viele Zionisten hatten anfangs oberflächliche Vorstellungen von Land und Leuten – aber eine fest umrissene Agenda: Durch die Besiedelung des Landes wollten sie eine neue hebräische Kultur und eine „nationale Heimstätte“ für das jüdische Volk schaffen. Dass dies mit den nationalen Rechten der Palästinenser kollidierte, die sich in jener Zeit herausbildeten, akzeptierten viele nicht.

Selbst als klar geworden war, dass die arabischen Bewohner des Landes Theodor Herzls Vision nicht teilten, zogen Vertreter verschiedener Strömungen des Zionismus ganz unterschiedliche Schlüsse daraus. Der aus Berlin stammende Richard Lichtheim, ein Vertreter der revisionistischen Strömung, schrieb im Jahr 1931: „Für uns ist Palästina die historische Heimat, für die Araber nicht. Wir brauchen Palästina für unser heimatloses Volk, die Araber verfügen rings um die Zentren ihrer ehemaligen Kultur über riesige ganz unterentwickelte Gebiete.“

Palästinenser bei ihrer Umsiedelung 1948
Palästinenser bei ihrer Umsiedelung 1948www.imago-images.de

Solche Auffassungen wurden umso einflussreicher, desto mehr die „Binationalisten“ an Unterstützung verloren. Sie warben für einen Staat mit zwei Völkern. Angesichts der zunehmenden gewaltsamen Auseinandersetzungen seit den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts glaubten jedoch immer weniger daran. Selbst der Gedanke eines jüdischen Staats mit einer großen arabischen Minderheit geriet zu einer bedrohlichen Vorstellung. Aber was dann?

Der einflussreiche Zionist Israel Zangwill hatte schon 1905 angemerkt, dass die einzige andere Möglichkeit die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung sei. Die Idee einer – freiwilligen oder erzwungenen – Umsiedlung wurde seit jener Zeit immer wieder aufgebracht. Zionisten dachten darüber nach, wie man die palästinensischen Araber mit Anreizen zur Auswanderung bewegen könnte.

Einen Wendepunkt markierte 1937. In jenem Jahr veröffentlichte die britische Mandatsmacht den Bericht einer Untersuchungskommission. Im sogenannten Peel-Bericht wurde zum ersten Mal offen die Teilung Palästinas vorgeschlagen, in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Die Kommission hatte sogar Karten ausgearbeitet, auf Grundlage der demographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse.

Juden und Araber sollten „ausgetauscht“ werden

Allerdings hätten in dem vorgesehenen jüdischen Staat zahlreiche Araber gelebt und umgekehrt in dem künftigen arabischen Staat eine kleine Zahl von Juden. Aus diesem Grund schlug die Kommission einen „Bevölkerungsaustausch“ vor: 1250 Juden und 225.000 Araber sollten „ausgetauscht“ werden. Das sollte freiwillig geschehen und mit Kompensationen verbunden sein; die Peel-Kommission empfahl aber, notfalls zur Gewalt zu greifen.

„Wenn die Einigung sauber und endgültig sein soll, muss diese Frage der Minderheiten mutig angegangen und entschlossen gelöst werden“, schrieb sie. Ermutigt sah die Kommission sich durch das Vorbild des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustauschs nach dem Ersten Weltkrieg. Auch er wurde erzwungen (und begann mit brutalen Massenvertreibungen), galt vielen aber als Erfolg.

Während die Idee der Teilung des Landes unter den Zionisten heftige Diskussionen hervorrief, sahen führende Vertreter in dem „Bevölkerungstransfer“ einen der größten Pluspunkte. David Ben-Gurion sprach von einer „historischen Gelegenheit“, er schrieb: „Wir wollten den Arabern niemals ihr Land wegnehmen. Aber da Großbritannien ihnen einen Teil des Landes gibt, das uns versprochen worden war, ist es nur fair, dass die Araber in unserem Staat in den arabischen Teil umgesiedelt werden.“ Viele sahen das ähnlich, viele hatten anfangs aber auch gemischte Gefühle angesichts der Idee eines erzwungenen Transfers.

Palästinensische Flüchtlinge 1974 in einem Lager in der Nähe von Damaskus
Palästinensische Flüchtlinge 1974 in einem Lager in der Nähe von Damaskuswww.imago-images.de

Aufgrund der politischen Großwetterlage rückten die Briten bald wieder von dem Teilungsplan ab. Die Zionisten um Ben-Gurion verfolgten die Idee dagegen weiter, und sei es als Schritt auf dem Weg, das gesamte Land zu kontrollieren. 1947 beschlossen die Vereinten Nationen die Teilung Palästinas.

Da die Palästinenser und die arabischen Länder dies ablehnten, konnten die Zionisten ihre Staatsgründung nur mit Gewalt durchsetzen – im ersten Nahostkrieg von 1948 bis 1949. In diesem Krieg kam es nicht nur zu einer Verschiebung der Grenzen gegenüber dem UN-Plan, sondern auch zur Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 Palästinensern. Bis heute streiten Historiker darüber, inwieweit das geplant war.

Klar ist: Die Zionisten hatten ein Interesse daran, dass die Zahl der Palästinenser im jüdischen Staat möglichst gering sein würde. Seit 1937 hatten sie sich immer wieder mit der Idee des „Transfers“ beschäftigt – bevorzugt freiwillig, aber notfalls auch erzwungen. Ben-Gurion fand daran „nichts Unmoralisches“. Wenn Bedenken laut wurden, dann eher aus praktischen Gründen.

Es sollte „leise, ruhig und geheim“ ablaufen

Diese Haltung zieht sich als roter Faden auch durch die weitere Geschichte des Konflikts. Nach dem Suezkrieg 1956 kontrollierte Israel erstmals vier Monate lang den Gazastreifen. Eine brutale Militärverwaltung wurde eingerichtet, eine der Maßnahmen war, Beduinen aus Gaza nach Ägypten zu vertreiben.

Auch nach 1967, als Israel Ostjerusalem, das Westjordanland, den Gazastreifen, die Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel eroberte, wurde bald über Transfer nachgedacht. Eine Idee lautete, Bewohner des Gazastreifens in das Westjordanland umzusiedeln – oder auf den Sinai, nach Jordanien, Libyen oder in weitere Länder. Familien wurde Geld geboten, wenn sie Gaza verließen.

Mindestens 20.000 Menschen gingen darauf ein, während etwa 38.000 Palästinenser in den Sinai vertrieben wurden – zusammen fast zehn Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens. Ministerpräsident Levi Eschkol war wichtig, dass solche Initiativen „leise, ruhig und geheim“ abliefen. Eschkol erwog auch, die Lebensbedingungen in Gaza zu erschweren, um den Auswanderungsdruck zu steigern. Das Ziel war stets, die Bindung der Palästinenser an ihr Land zu erschüttern und die Demographie zu eigenen Gunsten zu verändern – und so die mögliche Annexion des Gebiets vorzubereiten.

Finanzminister rechnet vor: Jeden Tag 10.000 Menschen umsiedeln

Dazu kam es nicht, aber Israel errichtete 21 Siedlungen im Gazastreifen. Dass Ariel Scharon sie 2005 räumen ließ, hat bei der Siedlerbewegung eine bleibende Wunde hinterlassen. Sie fordert seither die Rückkehr in den Gazastreifen. Verstärkt und radikalisiert wurden diese Forderungen durch den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 – und nun noch einmal durch Trumps Äußerungen. Im März sagte beispielsweise Umweltministerin Idit Silman, sie glaube, Gott habe die amerikanische Regierung geschickt. „Die einzige Lösung für den Gazastreifen besteht darin, dass er geräumt wird und es dort keine Gazaner mehr gibt.“

Kurz darauf richtete Israel eine Behörde ein, welche die „freiwillige Auswanderung“ aus Gaza ermöglichen und fördern soll. Finanzminister Bezalel Smotrich rechnete vor, wenn man sieben Tage pro Woche täglich 10.000 Menschen umsiedele, brauche man etwa ein halbes Jahr. Das sei eine „riesige logistische Operation“, aber Geld sei nicht das Problem. Smotrich hob hervor, als er vor anderthalb Jahren zum ersten Mal über diese Idee sprach, habe man ihn für verrückt erklärt – „genauso wie damals, als wir davon sprachen, dass Gaza erobert werden müsse“.

Tatsächlich verweist die Popularität der Umsiedlungsideen auf eine generelle Tendenz in Israel: Radikales Gedankengut wird salonfähig. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wirkten in Israel Politiker wie Meir Kahane oder Rehavam Ze’evi, die offen für den „Transfer“ der Palästinenser warben – teilweise sogar derjenigen mit israelischer Staatsbürgerschaft. Sie waren umstritten, Kahane wurde sogar von der Kandidatur für die Knesset ausgeschlossen. Heute sitzen seine ideologischen Erben in der Regierungskoalition und arbeiten daran, seine rassistischen und messianischen Ideen unter die Leute zu bringen. Netanjahu unterstützt sie dabei.