Manchmal reicht ein kurzer Anruf. Wie dieser: „Mama, kannst du morgen am Nachmittag spontan auf die Kinder aufpassen?“ Oder dieser: „Lieber Sohnemann, kannst du bitte mit mir einkaufen fahren? Ich kann nicht so viel schleppen, mein Rücken macht Probleme.“
In vielen Familien gilt ein ungeschriebener Vertrag: Die Großeltern helfen mit der Kinderbetreuung, die Enkel und Kinder unterstützen dafür bei Tätigkeiten, die den Älteren schwerfallen. Oder sie pflegen ihre Angehörigen später mal, wenn es nicht mehr anders geht.
Schwierig ist die gegenseitige Unterstützung jedoch, wenn die Familienmitglieder viele Kilometer voneinander trennen. Und das ist gar nicht so selten. Nur knapp 55 Prozent der 60- bis 90-Jährigen haben zumindest eines der eigenen Kinder direkt im selben Wohnort. Das zeigen die Daten des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA). Familien leben teils sehr verstreut in Deutschland. Verglichen mit den 2000er-Jahren haben deutlich weniger Senioren eines ihrer Kinder in unmittelbarer Nähe, damals waren es immerhin 66 Prozent.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Dass über 60-Jährige heute seltener ein Kind in der Nähe haben als früher, hat mehrere Gründe. Da ist erstens die Demographie. „Paare bekommen weniger Kinder. Die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest eines in der Nähe bleibt, ist dadurch gesunken“, sagt Bünning. Manchmal entscheiden sich auch die eigenen Kinder, selbst keinen Nachwuchs zu bekommen und sich lieber auf die Karriere zu fokussieren. Der Anreiz, in der Nähe der Eltern zu leben, sinkt dann.
Zudem trägt der Wandel der Arbeitswelt dazu bei, dass Eltern und ihre Kinder oft sehr weit voneinander entfernt wohnen. „Das Bildungsniveau ist von Generation zu Generation gestiegen“, sagt Bünning. Die Universitäten sind häufig in den größeren Städten, ebenso viele Jobs für Akademiker. Diese beginnen, sich dort ein Leben aufzubauen, einen Freundeskreis, und entscheiden sich zu bleiben. Oder sie ziehen in die nächste Stadt weiter, wo ein noch besserer Job wartet.
„Je höher gebildet man ist, desto größer ist auch die berufsbedingte Mobilität“, sagt Bünning. „Besonders wenn die Eltern eher in ländlichen Regionen leben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Kinder wegziehen.“
Fest steht mit Blick auf die Zahlen allerdings auch, dass der größte Rückgang zwischen 2002 und 2014 passiert ist und seither eher konstant bleibt. Von 2021 auf 2023 ist der Anteil der Eltern, die zumindest ein Kind in der Nähe haben, sogar wieder etwas gestiegen. Eine große Trendumkehr will Bünning nicht ausrufen, die Änderung sei statistisch nicht signifikant.
Gleichwohl aber gibt es Faktoren, die dazu beitragen, dass der Anteil nicht weiter fällt. So dürfte der größte Effekt durch die Akademisierung und Urbanisierung bereits erfolgt sein. „Auch das Homeoffice wirkt sich aus“, sagt Katharina Spieß vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Seit es in vielen Unternehmen möglich ist, nur mehr an wenigen Tagen pro Woche vor Ort zu sein, nehmen Arbeitnehmer höhere Pendelstrecken in Kauf – vor allem diejenigen, die kleine Kinder haben und die Großeltern gern in der Nähe hätten. „Denn sie sind auch weiterhin in der Betreuung nicht wegzudenken“, sagt Spieß.
Eigentlich sollte der Kitaausbau die Last von den Eltern, aber auch von Angehörigen nehmen. „Doch es mangelt noch immer an Flexibilität“, sagt Spieß. Während Kitas am Nachmittag teils schließen, gibt es bei Oma und Opa keine festen Öffnungszeiten. „Und oft ist die gemeinsame Zeit ja etwas Gewolltes. Vielen Familien ist es wichtig, regelmäßig Kontakt zu haben.“
Bedenkt man, wie viele Stunden Großeltern sich um die Enkel kümmern, ergibt sich ein hoher wirtschaftlicher Wert im zweistelligen Milliardenbereich. Dazu der Vergleich: Wer weit entfernt wohnt, muss sich eine Nanny oder einen Babysitter organisieren. Zumindest der Mindestlohn muss gezahlt werden, teils aber liegen die Stundensätze bei mehr als 20 Euro.
Ähnlich ist es auch bei Haushaltstätigkeiten und der Pflege durch die erwachsenen Kinder, wenn die Eltern nicht mehr fit sind. Gerade bei Fahrdiensten zu Ärzten oder Therapeuten oder Veranstaltungen können Angehörige aus der Distanz nur wenig helfen. Die muss eine externe Hilfe übernehmen und will dafür natürlich entlohnt werden.
Dennoch leisten auch Angehörige aus der Ferne viele Stunden an unentgeltlicher Betreuung. Sie helfen beispielsweise dabei, Informationen zu beschaffen, übernehmen administrative Tätigkeiten oder schicken Geld. Auch emotionale Unterstützung kommt aus der Ferne. Der technische Fortschritt durch das Smartphone und Videogespräche hilft, trotz Distanz die Nähe zu behalten.
Selbst wenn die Familie in der Nähe ist, hat dennoch nicht jeder die Kapazitäten, die eigenen Eltern zu pflegen und die Kinder stets von der Kita abzuholen. Gut die Hälfte der Großeltern, die am selben Ort wohnen, kümmert sich regelmäßig. Manchmal sind die Großeltern selbst noch berufstätig oder haben gesundheitliche Probleme. Und manchmal wollen auch sie einfach nur ihren Ruhestand genießen und die Welt entdecken. Nähe hilft für die gegenseitige Unterstützung. Eine Selbstverständlichkeit ist sie aber trotzdem nicht.