Gian Giacomo Trivulzios bedeutendste militärische Leistung war die Eroberung seiner Heimatstadt Mailand in Diensten des französischen Königs, der ihn dafür zum Marschall von Frankreich ernannte. Dies trug sich im Jahre 1499 zu, und vermutlich wäre Trivulzio völlig in Vergessenheit geraten, wenn er nicht ein bekanntes Zitat geprägt hätte: „Zur Kriegsführung sind drei Dinge nötig: Geld, Geld und nochmals Geld.“
Diese Erkenntnis ist freilich vielen Feldherren und den sie finanzierenden Herrschern vor und nach Trivulzio geläufig gewesen. Aus den Geschichtsbüchern bekannt ist beispielsweise die Finanzierung des habsburgischen Kaisers Karl V. durch die Fugger und andere reiche Kaufmannsfamilien.
In unserer Zeit hat die These vom Zusammenhang zwischen Geld und Krieg durch eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft wissenschaftliche Anerkennung erhalten, die den griffigen Titel „Geld gewinnt Kriege“ trägt. Sie weist anhand historischer Daten aus mehr als 700 Kriegen eine Wirkung steigender Militärausgaben auf das Ergebnis eines Krieges nach.
Die Kosten eines US-Rückzugs aus der NATO
Über Jahrzehnte war das Denken über Militär wie über Militärökonomie in Deutschland verpönt. Mit der Zunahme geopolitischer Spannungen und dem russischen Krieg gegen die Ukraine haben diese Themen auf der Agenda wieder einen vorderen Platz erklommen. Eine aktuelle Untersuchung des International Institute for Strategic Studies, einer angesehenen Londoner Denkfabrik, beschäftigt sich mit einem aus europäischer und damit auch aus deutscher Sicht unangenehmen Szenario.
Die Autoren untersuchen die Möglichkeit eines baldigen russischen Angriffs auf NATO-Territorium nach einem Waffenstillstand oder Friedensschluss in der Ukraine unter der gleichzeitigen Annahme, dass die Amerikaner ihre militärischen Zelte in Europa nach gut 75 Jahren abbrechen, um sich auf den Wettbewerb mit der Volksrepublik China im Pazifikraum zu konzentrieren.
Wie realistisch ist ein solches Szenario? Die Ansichten westlicher Militärexperten über die Fähigkeit Russlands, nach einem Waffenstillstand in der Ukraine die Schlagkraft seines Heeres rasch wiederherzustellen, gehen auseinander. Bis zur Fähigkeit, großräumige Aktionen durchzuführen, dürfte es einige Jahre brauchen.
Eine begrenzte russische Aggression hält das Londoner Institut allerdings an einer Stelle für möglich, an der die NATO schon aus geographischen Gründen am ehesten verwundbar scheint. „Nach unserer Einschätzung könnte Russland ungeachtet der Herausforderungen bereits 2027 in der Lage sein, eine bedeutende militärische Herausforderung für die NATO-Verbündeten, insbesondere die baltischen Staaten, darzustellen“, heißt es in der Studie.
Die gleichzeitige Annahme eines baldigen und vollständigen Rückzugs der Vereinigten Staaten aus Europa ist sicherlich extrem, aber Militärstrategen müssen sich auch Szenarien mit einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit zuwenden. „Sollten sich die amerikanischen Streitkräfte ab Mitte 2025 vom europäischen Schauplatz zurückziehen, würde Europa schnell verwundbar“, warnen die Autoren So schlimm muss es nicht kommen. Aber dass die Europäer künftig auch dann deutlich mehr für ihre Verteidigung ausgeben müssen, wenn die Amerikaner in der NATO bleiben, ist unbestritten.
Das Londoner Institut schätzt den zusätzlichen Bedarf an Verteidigungsausgaben in Europa nach einem vollständigen Abzug der Vereinigten Staaten auf rund 1000 Milliarden Dollar für die kommenden 25 Jahre. Das ist ein gewaltiger Betrag. Um ihn zu mobilisieren, müsste es den Regierungen gelingen, der Bevölkerung die Notwendigkeit zu vermitteln.
Nicht nur müssten die Streitkräfte um 128.000 Soldaten aufgestockt und bisher von den Amerikanern in den Führungsgremien der NATO wahrgenommene Aufgaben umverteilt werden. Die Engpässe befänden sich vor allem auf dem industriellen Gebiet, denn es wäre angesichts einer baldigen Bedrohung aus Moskau kaum möglich, alle benötigten Militärgüter rasch zu beschaffen. Dies gilt auch für den in der Studie dringend empfohlenen Ausbau der europäischen Militärindustrie.
Die Herausforderung ist groß
Die Kosten für die Beschaffung neuer Militärgüter nach einem amerikanischen Abzug schätzt das Londoner Institut auf 226 bis 344 Milliarden Dollar. Die große Spannbreite der Schätzung erklärt sich mit der schwierigen Kalkulation von Preisen für Militärgüter. Mit der Anschaffung wäre es aber nicht getan, denn über 25 Jahre fielen erhebliche Kosten für das Personal, die Infrastruktur und für die Unterhaltung der Waffensysteme an. Nach einer Faustregel belaufen sich die Kosten für die Unterhaltung von Waffensystemen mindestens auf das Doppelte ihrer Anschaffungskosten.
Engpässe in der Beschaffung bestünden vor allem für die Luftwaffe, die Marine und satellitengestützte Aufklärung, auf die fast drei Viertel der zusätzlichen Beschaffungsausgaben entfielen. Als Kompensation für einen amerikanischen Abzug müssten die europäischen Staaten für die Luftwaffe 400 Kampfflugzeuge, 15 spezielle U-Boot-Jagdflugzeuge und knapp 500 Helikopter bestellen. Für die Marine bedürfte es unter anderem zwei Flugzeugträgern, 20 Zerstörern, 6 Fregatten und 10 atomgetriebenen Unterseebooten.
Die Herausforderung ist groß, weil die russische Luftwaffe und Marine im Ukrainekrieg weniger beansprucht wurden als das Heer und daher die Bedrohung unmittelbarer erscheint. Gleichzeitig ist die europäische Militärindustrie schlecht darauf vorbereitet, innerhalb kurzer Zeit die für die Neubeschaffung notwendigen Militärgüter für Luftwaffe und Marine zu liefern. Selbst unter Zuhilfenahme außereuropäischer Lieferanten wie der mächtigen amerikanischen Militärindustrie wäre es kaum möglich, innerhalb weniger Jahre 400 leistungsstarke Kampfflugzeuge zu erhalten.
Besser aufgestellt wäre die europäische Militärindustrie für den zusätzlichen Heeresbedarf, zu dem unter anderem 600 Kampf- und 800 Schützenpanzer zählten. Aber auch hier käme es zu Engpässen. Generell hält das Londoner Institut für die Branche fest: Zwar haben die europäischen Militärunternehmen damit begonnen, ihre Kapazitäten durch mehr Montagelinien, Fusionen und Übernahmen zu erhöhen, doch das Tempo ist nach wie vor ungleichmäßig, und es bleiben noch Fragen ungeklärt.
Die Studie verdeutlicht vor allem, in welch erheblichen Maße die Vereinigten Staaten zur Verteidigung Europas beitragen. Damit zeigt sie, warum amerikanische Präsidenten, und nicht erst Donald Trump, die Europäer seit Langem zu höheren eigenen Ausgaben auffordern.