Der Vorstand des Essener Industriekonzerns Thyssenkrupp, der seit Jahren mit schlechten Zahlen kämpft, möchte das Unternehmen sehr viel stärker umbauen, als bislang bekannt. Konzernchef Miguel López plant, unter dem Dach einer Finanzholding „schrittweise alle Geschäftsbereiche von Thyssenkrupp zu verselbstständigen und für die Beteiligung Dritter zu öffnen“, wie der Konzern am Montag in einer Mitteilung bekanntgab.
Mit Ausnahme des Stahlbereichs möchte Thyssenkrupp aber in jedem der Geschäftsbereiche „grundsätzlich“ Mehrheitseigner bleiben, hieß es weiter. Der einst so stolze Ruhrgebiets-Riese, der mittlerweile zum schwer durchschaubaren Industrie-Mischkonzern geworden ist, plant also, sich selbst zu zerlegen. Über das Vorhaben muss allerdings der Aufsichtsrat noch entscheiden. Dies strebt die Thyssenkrupp-Führung noch in diesem Geschäftsjahr an, das schon zum 30. September endet.
Thyssenkrupp behalte die Kontrolle
Miguel López, der Kopf hinter dem geplanten neuen Konstrukt, führt Thyssenkrupp seit dem Jahr 2023 und hat sich von Anfang an als Anpacker und Sanierer in Szene gesetzt. „Die künftige Eigenständigkeit unserer heutigen Segmente – mit dem Vorteil eines eigenen Kapitalmarktzugangs und der Möglichkeit für die Beteiligung Dritter – wird ihre unternehmerische Flexibilität erhöhen, ihre Investitionsvorhaben sowie Ergebnisverantwortung stärken und die Transparenz für Investoren verbessern“, ließ er sich am Montag zitieren. Der Schritt ermögliche, das „volle Wertschöpfungspotenzial der Geschäfte zu heben und ihre Eigenständigkeit gezielt für Investitionen, Marktchancen und weiteres Wachstum zu nutzen“.
Gleichzeitig behalte Thyssenkrupp die Kontrolle und werde „weiterhin an der zukünftigen Wertentwicklung der Geschäfte partizipieren.“ Als Vorbild diene der Wasserstoff-Spezialist Thyssenkrupp Nucera, der mittlerweile ein eigenständiges Unternehmen ist, dessen größter Aktionär Thyssenkrupp aber weiterhin bleibe. „Daran wollen wir anknüpfen“, sagte López.
„Einer Zerschlagung werden wir uns entschieden entgegenstellen“
Der Thyssenkrupp-Konzernbetriebsrat und die IG Metall bemängelten in einer ersten Reaktion, dass die Arbeitnehmerseite bisher „nicht angemessen“ in die strategische Diskussion eingebunden gewesen sei. Einer sinnvollen strategischen Neuausrichtung stünden die Arbeitnehmer nicht im Wege. „Eine einseitige Orientierung auf Aktionärsinteressen zu Lasten der Belegschaften und der Steuerzahler lehnen wir ab“, heißt es jedoch. Und: „Einer Zerschlagung werden wir uns entschieden entgegenstellen.“
Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Tekin Nasikkol sprach von „zu vielen gescheiterten Managementstrategien der Vergangenheit“, die überhaupt erst zur derzeitigen Lage geführt hätten. Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Betriebsratschef der Thyssenkrupp AG ließ sich damit zitieren, dass es die Gewerkschaft ablehne, „den Konzern zu filetieren und nach und nach an die Börse zu bringen“, falls es keine Zukunftsbilder und Perspektiven für Mitarbeiter und Standorte in allen Bereichen gebe. „Betriebsbedingte Kündigungen müssen ausgeschlossen werden“, so Kerner weiter.
Derzeit läuft es schlecht
Insgesamt hat der Thyssenkrupp-Konzern rund 95.600 Mitarbeiter. Das Umstrukturierungsvorhaben biete ihnen eine klare Zukunftsperspektive, sagte Personalvorstand und Arbeitsdirektor Wilfried von Rath am Montag.
Derzeit läuft es für den Konzern aber eher schlecht. Im abgelaufenen Geschäftsjahr musste er ein Minus von 1,5 Milliarden Euro vermelden. Thyssenkrupp besteht momentan aus insgesamt fünf recht unterschiedlichen Sparten: Stahl, Marineschiffe, Materialhandel, Autozulieferung und Grüne Technologien. Während für die kränkelnde Stahltochter und die in Zeiten globaler Unsicherheit florierende Marinetochtergesellschaft schon lange Ausgliederungsabsichten bestehen, sind die Pläne für die Abspaltung der restlichen Sparten neu.
Kapitalmarktfähige Aufstellung
So hatte López etwa noch in der Halbjahrespressekonferenz betont, dass der Werkstoffhandel mit seinen mehr als 15.000 Beschäftigten und seinen rund 12 Milliarden Euro Jahresumsatz zum „Kerngeschäft“ gehöre. Der Materialhandel solle sich ebenso wie die Autozuliefersparte „in den kommenden Jahren“ kapitalmarktfähig aufstellen und dem Stahlbereich und den Marinewerften „in die Eigenständigkeit folgen“, heißt es dagegen in der Mitteilung vom Montag.
Zum Halbjahr hatte Thyssenkrupp schon bekannt gegeben, dass das Marktumfeld im Autozulieferbereich „anhaltend schwierig“ sei. Die Sparte plane daher einen Einstellungsstopp, Kostensenkungen und weitere „Portfolioanpassungen und Restrukturierungen innerhalb der Geschäfte“, hieß es damals. Zurzeit hat der Bereich etwa 30.600 Mitarbeiter, und der Umsatz lag im vergangenen Geschäftsjahr bei rund 7,5 Milliarden Euro.
Die mit rund 3,8 Milliarden Euro Umsatz vergleichsweise kleine und junge Sparte „Decarbon Technologies“, die sich rund um klimafreundliche Zukunftstechnologien rankt, soll den Angaben zufolge „perspektivisch“ ebenfalls verselbständigt werden, allerdings erst „nachdem die Märkte für grüne Technologien entsprechend Fahrt aufgenommen haben“.
Für das langjährige Sorgenkind Stahl bleiben die bekannten Pläne von López erhalten. Thyssenkrupp hat hier seine Ausgliederungsabsichten schon lange bekanntgegeben und hatte im vergangenen Jahr einen 20-Prozent-Anteil am Stahlgeschäft an die Holding des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky verkauft. Nun bemüht sich López, weitere 30 Prozent des Stahlbereichs an Kretinsky loszuwerden, um ein jeweils hälftiges Gemeinschaftsunternehmen zu formen. Doch noch sind Konzern und Stahlsparte uneins über die finanzielle Mitgift, die die Muttergesellschaft dem Tochterunternehmen im Zuge der Verselbständigung überlassen soll. Um eine bessere Basis für diese Entscheidung zu haben, fertigen Wirtschaftsprüfer derzeit ein Gutachten über die finanzielle Situation der Sparte an.
Klar ist: Im Zuge der Verselbständigung soll die Stahlsparte umfassend saniert werden. Denn Deutschlands größter Stahlkocher leidet unter globaler Konkurrenz, geringen Marktpreisen und dem zunehmenden Druck, auf klimafreundlichere Produktionstechniken umzustellen. Laut einem Papier aus dem vergangenen Herbst möchte Thyssenkrupp im Zuge der Neuaufstellung des Stahlbereichs dort bis 2030 insgesamt 11.000 Stellen streichen oder auslagern, was zu langem Stillstand in den Verhandlungen mit der Gewerkschaft IG Metall geführt hatte, die sich so schockiert gezeigt hatte, dass sie jegliche Gespräche lange verweigerte.
In einer Grundsatzeinigung mit der IG Metall hat Thyssenkrupp sich Anfang des Monats aber dazu bekannt, dass im Zuge der Sanierung betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden sollen. Auch eine zunächst geplante Werksschließung im Siegerland wird zumindest nicht sofort umgesetzt. Nun soll auf dieser Basis bis zum Sommer ein Tarifvertrag verhandelt werden. Klar ist: Die Produktionskapazitäten sollen stark sinken und zwei der vier Hochöfen heruntergefahren werden. Für den Ersatz eines der beiden durch eine Grünstahlanlage ist eine staatliche Förderung von zwei Milliarden Euro zugesagt.
Ende Juni soll der Aufsichtsrat abstimmen
Sehr konkret sind ebenfalls die Pläne für einen Minderheits-Börsengang der Marineschiffbau-Sparte TKMS. „Wir wollen den Börsengang noch im Kalenderjahr 2025 vollziehen. Dafür bereiten wir eine außerordentliche Hauptversammlung vor“, hatte López schon im Februar angekündigt, was der Konzern am Montag bestätigte. Thyssenkrupp will seinen Aktionären börsennotierte Marineaktien direkt in die Depots buchen und sie so an der momentan florierenden Sparte beteiligen. Schon Ende Juni soll nun der Aufsichtsrat des Konzerns darüber abstimmen, ist zu hören. Das für die außerordentliche Hauptversammlung kursierende Datum 8. August, wollte der Konzern auf Anfrage nicht bestätigen.
An der Börse kamen die Konzernumbaupläne gut an. Während im Herbst 2024 für eine Thyssenkrupp-Aktie nur noch 2,77 Euro bezahlt wurden, lag der Kurs kurz vor Börenschluss bei mehr als 9,40 Euro. Verglichen mit vergangenem Freitag war das ein Plus von mehr als neun Prozent.
Schon länger stützt gerade die Aussicht auf den Teilbörsengang der Marinesparte den Thyssenkrupp-Kurs als Ganzes. Fachleute hatten dazu zuletzt gesagt, der Konzern werde zunehmend als Rüstungs- denn als Stahlkonzern wahrgenommen. Die globalen Aufrüstungspläne sorgten zuletzt dafür, dass die Auftragsbücher der Marinesparte randvoll sind. Allein in der ersten Hälfte des Geschäftsjahres hat der Bereich Bestellungen über mehr als 5,5 Milliarden Euro verbucht, gut achtmal so viel wie im Vorjahreszeitraum. An diesem Montag gab es die nächste Nachricht über neue Kooperationspläne: Thyssenkrupp Marine Systems prüfe mit Saab Australia eine Zusammenarbeit im Fregatten-Bereich, teilte das Unternehmen mit. Hierzu sei eine Absichtserklärung unterzeichnet worden.