Selbstbestimmtes Lebensende? Frankreich ringt um Sterbehilfe

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Die katholische Kirche in Frankreich hat gegen die geplante Einführung einer aktiven Sterbehilfe protestiert. In einem offenen Brief betonten elf Bischöfe aus dem Großraum Paris ihre „tiefste und grundlegendste Ablehnung der Euthanasie und der Sterbehilfe“, kurz bevor die Nationalversammlung am Dienstag in erster Lesung über ein entsprechendes Gesetzwerk abstimmen wollte. Die Bischöfe äußerten die Befürchtung, dass die Schwächsten und Ärmsten davon überzeugt werden könnten, dass sie im Alter und bei Krankheit „überflüssig“ seien.

Die Gesetzesinitiative war von der Minderheitsregierung unter François Bayrou in zwei Texte aufgeteilt worden, über die getrennt abgestimmt werden sollte. Der erste Gesetzentwurf betrifft den Ausbau der Palliativmedizin, der zweite ein neues Recht auf Sterbehilfe und ein „selbstbestimmtes Lebensende“.

Der christdemokratische Regierungschef hatte seine Bedenken zur Ausweitung der Sterbehilfe öffentlich gemacht. Aber zur Überraschung vieler Beobachter verlief die parlamentarische Debatte weitgehend einvernehmlich und ohne Gefühlsausbrüche, wie sie etwa die Debatten zur „Ehe für alle“ geprägt hatten.

Neuer Straftatbestand

Frankreich sucht einen eigenen Weg und lehnt sowohl das belgische Euthanasie-Modell wie auch das Schweizer Modell der Suizidhilfe ab. Geplant ist, ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ einzuführen, das aber erst greift, wenn der Patient unheilbar erkrankt und der Tod „kurz oder mittelfristig“ unausweichlich ist.

Sterbehilfe können demnach nur Erwachsene in Anspruch nehmen, die über ihre uneingeschränkte Urteilsfähigkeit verfügen. Alzheimer-Patienten werden damit ausgeschlossen. Auch müssen sie die französische Staatsbürgerschaft haben, um „Sterbetourismus“ auszuschließen. Weitere Bedingungen sind, dass ein Kollegium von Ärzten hinzugezogen wird und dass es keine wirksamen Schmerzmittel gibt, um die Leiden der Kranken zu mindern.

Die Abgeordneten haben sich zudem darauf verständigt, medizinische Einrichtungen zu schützen, an denen Sterbehilfe angeboten wird. So enthält der Gesetzentwurf einen neuen Straftatbestand, sollte es zu Drohungen oder Einschüchterungen gegenüber Patienten oder medizinisches Fachpersonal kommen. Derartige Behinderungen der Sterbehilfe sollen mit bis zu zwei Jahren Haft und Geldstrafen bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Als Vorbild gilt das Recht auf Abtreibung. Abtreibungsgegner machen sich strafbar, wenn sie Ärzte und medizinische Einrichtungen daran hindern, Abtreibungen vorzunehmen.

Prominente Befürworter der Sterbehilfe

Innenminister Bruno Retailleau äußerte sich empört über die geplante Einführung des Straftatbestandes. Damit werde eine Grenze überschritten, beklagte der neue Vorsitzende der Republikaner (LR). Es sei ein Grundzug der Menschlichkeit, den Leidenden die Hand zu reichen. „Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, die diejenigen verurteilt, die versuchen, denen, die keine Lebenswillen mehr haben, wieder einen Lebenssinn zu geben?“, fragte er.

Gesundheitsministerin Catherine Vautrin versuchte die Debatte zu entschärfen. Wenn im familiären oder Freundeskreis gegen die Sterbehilfe argumentiert werde, sei das natürlich keine Straftat. Das Angebot von Palliativpflege und anderen Alternativen sei nicht gemeint, so Vautrin.

In Frankreich ist seit 2016 das nach den Abgeordneten Claeys und Leonetti benannte Gesetz in Kraft, das eine tiefe Sedierung von unheilbar Kranken erlaubt. Es hat aber die Debatte nicht entschärft. In den vergangenen Jahren hatten mehrere berühmte Persönlichkeiten für eine aktive Sterbehilfe geworden. Dazu zählte die mittlerweile an den Folgen einer Krebserkrankung gestorbene Sängerin Francoise Hardy: „Jemanden, der unheilbar krank ist, unerträglich leiden zu lassen, bis er stirbt, ist unmenschlich.“

Präsident Emmanuel Macron hatte einen Bürgerkonvent zu dem Thema einberufen. Ein Teil der Vorschläge des Konvents wurden im Gesetzentwurf aufgegriffen. Es ist fraglich, ob die rechtsbürgerliche Mehrheit im Senat dem Gesetzentwurf zustimmt. Präsident Macron hat bereits angekündigt, dass er im Fall einer Blockade ein Referendum über die Sterbehilfe einberufen könnte.