Wann wird ein Patient aus der Psychiatrie entlassen?

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Gewalttat

Wann wird ein Patient aus der Psychiatrie entlassen?

Aktualisiert am 27.05.2025 – 12:11 UhrLesedauer: 3 Min.

Mehrere Verletzte bei Messerangriff in HamburgVergrößern des Bildes

Die Verdächtige räumte die Tathandlung vor dem Haftrichter ein. (Symbolbild) (Quelle: Georg Wendt/dpa/dpa-bilder)

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Eine Frau kommt aus der Psychiatrie und verletzt am Tag darauf mehrere Menschen mit einem Messer. Was lief schief? Bei der Entscheidung über die Entlassung von psychisch Kranken gibt es Fallstricke.

Welcher Mensch ist für andere gefährlich? Die Möglichkeiten der Psychiatrie, dies vorherzusagen, sind begrenzt. Der Zustand eines Menschen könne sich leider von einem auf den anderen Tag ändern, sagt die Präsidentin der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank.

In Hamburg hat vor wenigen Tagen eine 39-jährige Frau einen Tag nach der Entlassung aus der Psychiatrie mehrere Menschen mit Messerstichen verletzt. Nach Auskunft ihrer Klinik gab es zum Zeitpunkt der Entlassung keinen medizinischen Befund, der eine weitere Unterbringung gerechtfertigt hätte.

“Es besteht immer die Möglichkeit, dass es im Rahmen einer Erkrankung von einem Tag auf den anderen eine Verschlechterung gibt”, erklärt Gouzoulis-Mayfrank. Natürlich könne es aber auch passieren, dass ein Arzt eine Situation als weniger akut einschätzt, als sie sich dann herausstellt.

Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit

“Eine akute Fremdgefährdung liegt dann vor, wenn ein Patient beispielsweise sagt “Ich kenne jemanden, der mir Böses will und ich werde mich verteidigen” oder “Ich werde mich rächen””, erklärt Gouzoulis-Mayfrank. Eine Eigengefährdung sei akut, wenn klar sei, dass sich ein Patient etwas antun wolle. “In diesen Fällen kann man einen Menschen auch unfreiwillig in der Psychiatrie behalten – sofern ein Gericht die Rechtmäßigkeit der Unterbringung bestätigt.”

“Natürlich kann man sagen, ein erfahrener Psychiater muss die akute Gefährdung erkennen”, sagt Gouzoulis-Mayfrank. “Aber die Vorhersagemöglichkeiten sind leider begrenzt. Es gibt immer auch mal Fälle, in denen eine akute Gefährdung nicht erkannt werden kann.”

Forensische Psychiatrie hat eine andere Situation

Eine andere Bewertungssituation gebe es bei forensischen Kliniken, wo Menschen untergebracht sind, die eine schwere Straftat aufgrund einer psychischen Erkrankung begangen haben. Dort dauerten die Aufenthalte in der Regel mehrere Jahre und Ärzte müssten vor der Entlassung einschätzen, ob der Patient in der Zukunft, nach Monaten oder Jahren eine Straftat begehen werde.

“Wenn jemand aufgrund seiner psychischen Erkrankung eine schwere Gewalttat begangen hat und die Erkrankung nicht behandelt wird, ist die Gefahr der Wiederholung hoch”, sagt die Psychiaterin. Wenn jemand jedoch lediglich als gereizt oder aggressiv auffalle, sei die Vorhersage, ob er in der Zukunft eine schwere Gewalttat verüben werde, äußerst schwierig.

Die meisten Patienten seien freiwillig in einer Klinik. Wenn sie entlassen werden möchten und es keine Hinweise auf eine akute Gefährdung gebe, dann könne eine Entlassung erfolgen, sagt die Psychiaterin.

“Wenn ein Patient richterlich eingewiesen worden ist, müssen die behandelnden Ärzte dagegen jeden Tag praktisch überprüfen, ob die Gründe für die Unterbringung weiterhin bestehen”, sagt die Psychiaterin. “In dem Moment, wo die akute Gefährdung nicht mehr besteht, muss der Patient entlassen werden. “

“Das ist ein Problem. Die psychiatrische Unterbringung läuft, solange die Situation akut und zugespitzt ist. Danach muss der Patient, wenn er sich nicht freiwillig länger behandeln lässt, entlassen werden”, sagt Gouzoulis-Mayfrank, die Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Köln ist. Das Beste sei, wenn der Patient freiwillig länger bleibe. “Das passiert ja auch häufig.” Ein Problem sei es aber, wenn die Situation nicht mehr so ganz akut sei und der Patient entlassen werden wolle. “Dann haben die Ärzte rechtlich keine Handhabe.”

Die entsprechenden Gesetze der einzelnen Bundesländer seien “im Großen und Ganzen gut”, meint Gouzoulis-Mayfrank. Es gebe im Detail jedoch Unterschiede – vor allem auch in der Vor- und Nachsorge. “Besonders wichtig ist die Nachsorge.” Der behandelnde Arzt müsse einbezogen werden, “wenn denn bekannt ist, wer der behandelnde Arzt ist und wenn es ihn überhaupt gibt”. Ein Problem sei dies oft bei Patienten, die nicht sesshaft seien.

Die nachsorgenden Hilfen sollten intensiver sein. Die sozialpsychiatrischen Dienste sollten in bestimmten Fällen schon vor der Entlassung Kontakt mit den Patienten aufnehmen, sagt Gouzoulis-Mayfrank. Es sei daher sinnvoll, sozialpsychiatrische Dienste zu unterstützen oder auch die Polizei. Wenn diese in Kontakt trete mit Menschen, die auffällig erscheinen, sollte das Team psychiatrisch erfahrene Fachkräfte haben, die die Polizisten beraten.

“Es gibt Formen der zusätzlichen ambulanten intensiven Betreuung für Menschen mit psychischen Erkrankungen, bei denen ein Gewaltpotenzial vermutet wird, aber keine akute Gefährdung vorliegt”, sagt Gouzoulis-Mayfrank und verweist auf Projekte in Bayern, Hamburg und Hessen. Dabei gebe es Beratung, Hilfe bei der Wohnungssuche oder im Aufnehmen von Kontakten.