Die französische Nationalversammlung hat am Dienstag in erster Lesung ein Gesetz zum „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ gebilligt. 504 Abgeordnete gaben ihre Stimme ab, 305 sprachen sich für, 199 gegen die Reform aus. Kurz zuvor hatten die Abgeordneten bereits einstimmig ein Gesetz angenommen, mit dem die Palliativpflege gestärkt werden soll. Beide Gesetze werden nun dem Senat zur Prüfung übergeben. Präsident Emmanuel Macron begrüßte die Beschlüsse der Nationalversammlung als „wichtigen Schritt“ in einem Bereich, der besonders sensibel sei.
Der christdemokratische Regierungschef François Bayrou, der eine Minderheitsregierung anführt, hatte seine Bedenken zur Ausweitung der Sterbehilfe vor der Abstimmung öffentlich gemacht. Zur Überraschung vieler Beobachter verlief die parlamentarische Debatte weitgehend einvernehmlich und ohne Gefühlsausbrüche, wie sie etwa die Debatten zur „Ehe für alle“ geprägt hatten.
Die französische Staatsbürgerschaft ist Bedingung
Die katholische Kirche hatte zuvor gegen die Einführung einer aktiven Sterbehilfe protestiert. In einem offenen Brief betonten elf Bischöfe aus dem Großraum Paris ihre „tiefste und grundlegendste Ablehnung der Euthanasie und der Sterbehilfe“. Die Bischöfe äußerten die Befürchtung, dass die Schwächsten und Ärmsten davon überzeugt werden könnten, dass sie im Alter und bei Krankheit „überflüssig“ seien.
Das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ soll erst greifen, wenn der Patient unheilbar erkrankt und der Tod „kurz oder mittelfristig“ unausweichlich ist. Sterbehilfe können demnach nur Erwachsene in Anspruch nehmen, die über ihre uneingeschränkte Urteilsfähigkeit verfügen. Alzheimer-Patienten werden damit ausgeschlossen. Auch der Besitz der französischen Staatsbürgerschaft ist eine zwingende Bedingung – so will man „Sterbetourismus“ ausschließen. Weitere Bedingungen sind, dass ein Kollegium von Ärzten hinzugezogen wird und dass es keine wirksamen Schmerzmittel gibt, um die Leiden der Kranken zu mindern.
Die Abgeordneten haben sich zudem darauf verständigt, medizinische Einrichtungen zu schützen, an denen Sterbehilfe angeboten wird. So enthält das Gesetz einen neuen Straftatbestand, sollte es zu Drohungen oder Einschüchterungen gegenüber Patienten oder medizinischem Fachpersonal kommen. Derartige Behinderungen der Sterbehilfe sollen mit bis zu zwei Jahren Haft und Geldstrafen bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Als Vorbild gilt das Recht auf Abtreibung. Abtreibungsgegner machen sich strafbar, wenn sie Ärzte und medizinische Einrichtungen daran hindern, Abtreibungen vorzunehmen.
Françoise Hardy warb für aktive Sterbehilfe
Innenminister Bruno Retailleau hatte sich vor der Abstimmung empört über die geplante Einführung des Straftatbestandes gezeigt. Damit werde eine Grenze überschritten, beklagte der neue Vorsitzende der Republikaner (LR). Es sei ein Grundzug der Menschlichkeit, den Leidenden die Hand zu reichen. „Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, die diejenigen verurteilt, die versuchen, denen, die keinen Lebenswillen mehr haben, wieder einen Lebenssinn zu geben?“, fragte er.
Gesundheitsministerin Catherine Vautrin versuchte die Debatte zu entschärfen. Wenn im familiären oder Freundeskreis gegen die Sterbehilfe argumentiert werde, sei das natürlich keine Straftat. Das Angebot von Palliativpflege und anderen Alternativen sei nicht gemeint, so Vautrin.
In Frankreich ist seit 2016 das nach den Abgeordneten Claeys und Leonetti benannte Gesetz in Kraft, das eine tiefe Sedierung von unheilbar Kranken erlaubt. Es hat aber die Debatte nicht entschärft. In den vergangenen Jahren hatten mehrere berühmte Persönlichkeiten für eine aktive Sterbehilfe geworben. Dazu zählte die mittlerweile an den Folgen einer Krebserkrankung gestorbene Sängerin Françoise Hardy: „Jemanden, der unheilbar krank ist, unerträglich leiden zu lassen, bis er stirbt, ist unmenschlich.“
Präsident Macron hatte einen Bürgerkonvent zu dem Thema einberufen. Ein Teil der Vorschläge des Konvents wurde später im Gesetzentwurf aufgegriffen. Es ist fraglich, ob die rechtsbürgerliche Mehrheit im Senat dem Gesetzentwurf zustimmt. Präsident Macron hat bereits angekündigt, dass er im Fall einer Blockade ein Referendum über die Sterbehilfe einberufen könnte.