Lebenslange Haft für syrischen Arzt Alaa M. gefordert

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Nach fast dreieinhalb Jahren Verfahrensdauer gegen den syrischen Arzt Alaa M., der sich vor dem Oberlandesgericht Frankfurt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss, gehörte der 186. Prozesstag am Dienstag den beiden Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft. Mehr als fünf Stunden lang trugen sie ihr Plädoyer vor. Am Ende forderten sie eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Angeklagten mit anschließender Sicherungsverwahrung sowie ein lebenslanges Berufsverbot. Sie stellten auch eine besondere Schwere der Schuld des Angeklagten fest. Er habe wehrlose Menschen, die ihm in seiner Funktion als Arzt anvertraut wurden, gefoltert, geschlagen, beleidigt und in zwei Fällen getötet.

Der Staatsschutzsenat will am 16. Juni sein Urteil gegen den 40 Jahre alten Arzt verkünden, der bei seiner Festnahme im Juni 2020 als Orthopäde in einer Klinik im nordhessischen Bad Wildungen arbeitete. In den Jahren 2011 und 2012 war er als Assistenzarzt in Militärkrankenhäusern in Homs und Damaskus eingesetzt.

Zeugen „nahezu alles abverlangt“

Oberstaatsanwältin Anna Zabeck begann den Schlussvortrag mit dem Verweis, in dem Verfahren sei es darum gegangen, die persönliche Schuld des Angeklagten festzustellen. Aufgabe des Verfahrens sei zudem gewesen, die vom Angeklagten begangenen Straftaten im politischen und gesellschaftlichen Kontext der Jahre 2011 und 2012 in Syrien zu beurteilen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie dem Angeklagten vorgeworfen werden, verstoßen gegen das Völkerstrafrecht.

Zabeck erinnerte zudem an die schwierigen Verhältnisse, unter denen die Opfer aussagen mussten. Immer wieder seien sie und ihre noch in Syrien lebenden Verwandten bedroht und eingeschüchtert worden, um ihr Erscheinen im Frankfurter Prozess zu verhindern. „Den Zeugen wurde bei ihren teilweise mehrtägigen Aussagen nahezu alles abverlangt, trotzdem standen sie Rede und Antwort“, sagte Zabeck. Sie seien körperlich und seelisch gezeichnet von der erlittenen Gewalt. Staatsanwältin Christina Schlepp ergänzte, es habe bei allen Zeugen „keinerlei Anzeichen für einen Belastungseifer“ gegeben, wie von der Verteidigung wiederholt nahegelegt worden sei.

Folter in Militärkrankenhaus

M., ab 2010 Assistenzarzt im Militärkrankenhaus in Homs sowie Anhänger von Diktator Baschar al-Assad, soll Menschen, die sich im Zuge des Arabischen Frühlings an den Aufständen gegen das Regime beteiligt hatten, gefoltert haben. Zabeck listete in ruhigen Worten die Straftaten auf, die die Bundesanwaltschaft als bewiesen ansieht – belegt durch Aussagen von mehr als 50 Zeugen sowie zahlreichen Sachverständigen.

Die gravierendste lautet: Tötung eines Mannes, dem M., der sich zum Tatzeitpunkt in der Facharztausbildung zum Orthopäden und Unfallchirurgen befand, eine Spritze verabreicht haben soll, woraufhin der Mann vor den Augen von Mitinhaftierten starb. Weitere Tatvorwürfe lauten: Folter, unter anderem durch das Übergießen von Körperteilen mit brennbaren Flüssigkeiten und dem anschließenden Anzünden, was zu Verbrennungen führte. In zwei Fällen soll dabei der Genitalbereich betroffen gewesen sein, unter anderem bei einem etwa 14 Jahre alten Jungen. Darüber hinaus habe M. die Korrektur einer Beinfraktur vorgenommen, ohne dass dem Patienten zunächst Narkosemittel in ausreichender Dosierung verabreicht worden sei. Dafür habe er sich später gegenüber Kollegen gebrüstet.

Arzt streitet alle Vorwürfe ab

Der Bundesanwaltschaft zufolge soll M. zudem einen jungen Mann, der an epileptischen Anfällen litt, in Kenntnis der Erkrankung geschlagen und getreten haben, was dessen kritischen Zustand verschlechterte. Später habe er ihm eine Tablette verabreicht, in deren Folge der Epileptiker im Beisein seines Bruders starb. Dieser Vorfall soll sich im Gefängnis der Abteilung 261 des syrischen militärischen Geheimdienstes in Homs abgespielt haben. M. gibt an, dieses Gefängnis nie betreten zu haben. Auch alle anderen Tatvorwürfe streitet er ab. Während des mehrstündigen Plädoyers saß er mit meist gesenktem Kopf auf der Anklagebank und musste sich immer wieder die Nase putzen.

Zur Eröffnung ihres Schlussvortrags hatte Oberstaatsanwältin Anna Zabeck gesagt, eine „Hoffnung auf Gerechtigkeit“ sei von diesem Verfahren, das nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip abgehalten wird, wohl zu viel verlangt. „Hoffnung auf Sachaufklärung“ sei aber berechtigt. In der ersten Juniwoche plädieren die Vertreter der Nebenkläger und die Verteidigung.