Ein Überblick übe die stärksten Armeen in Europa

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Unter Friedrich Merz (CDU) soll die Bundeswehr „konventionell zur stärksten Armee Europas“ werden. Dafür will der Bundeskanzler alle nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Das erwarteten Deutschlands Verbündete, erklärte Merz in seiner Regierungserklärung, „mehr noch, sie fordern es geradezu ein“. Keine einfache Aufgabe: Die Truppe hinkt etwa beim Einsatz und der Abwehr von Drohnen oder der Digitalisierung hinterher. Auch in der deutschen Luftverteidigung klaffen Lücken. An die Ukraine abgegebene Waffensysteme konnten bislang nicht vollständig ersetzt werden. Es ist nicht klar, auf welche Kategorien sich Merz konkret bezieht. Zumal Berlin die Bündnis- und Landesverteidigung im Rahmen seiner Verbündeten sieht. Doch wie steht es um die militärischen Kräfteverhältnisse zwischen Deutschland und seinen europäischen Bündnispartnern? Ein Überblick.

Dass die Bundeswehr ein Personalproblem hat, ist bekannt. Es leisten rund 182.000 Soldaten Dienst in der Truppe, dazu kommen laut Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) 60.000 verfügbare Reservisten. Zum Vergleich: Während des Kalten Krieges dienten bis zu 500.000 Soldaten in der Bundeswehr, die zudem auf rund 800.000 Reservisten zurückgreifen konnte. Bis 2031 soll die Zahl der aktiven Soldaten auf 203.000 anwachsen. Diesem Ziel sei man 2024 abermals nicht näher gekommen, steht im Jahresbericht der früheren Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD). Ohnehin stehe infrage, ob diese Zahl ausreicht. Pistorius forderte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Aufwuchs auf 460.000 Soldaten einschließlich Reservisten und Wehrdienstleistenden.

Die größte Armee unter den europäischen NATO-Bündnispartnern hat die Türkei. Auch wenn sich militärische Angaben zu Deutschland und seinen Verbündeten je nach Quelle unterscheiden können, bietet die Fachpublikation „The Military Balance 2025“ der britischen Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) einen detaillierten Überblick. Demnach liegt Ankara mit rund 355.000 aktiven Soldaten und 378.000 Reservisten innerhalb der NATO nur hinter den USA.

Auch Polens Armee besteht laut Angaben von Fachleuten bereits heute aus circa 200.000 Soldaten und mehr als 300.000 Reservisten. Die Zahl der aktiven Soldaten soll in den kommenden Jahren auf 300.000 wachsen, und von 2027 an sollen jedes Jahr 100.000 Freiwillige ein militärisches Training unterlaufen.

Frankreich liegt mit etwa 200.000 Soldaten ebenfalls bereits bei Deutschlands aktueller Zielmarke für 2031. Großbritanniens Armeestärke liegt laut „Military Balance“ bei rund 141.000 aktiven Soldaten und 70.000 Reservisten, Italien bei gut 161.000 Soldaten und 14.500 Reservisten. Griechenland und Finnland könnten auf ein Reservoir von 289.000 beziehungsweise 233.000 Reservisten zurückgreifen.

Die Bundeswehr verfügt mit rund 300 Leopard 2 über hochmoderne Kampfpanzer. Für 2025 zählen die IISS-Forscher für das deutsche Heer 209 Leopard 2A5/A6 und 104 Leopard 2A7V. Insbesondere letztere zeichnen sich durch eine hohe Feuerkraft, Wendigkeit und zusätzlichen Schutz gegen panzerbrechende Munition aus. Im Juli genehmigte der Haushaltsauschuss die Beschaffung von 105 Leopard 2A8 der neuesten Generation – sie werden voraussichtlich zwischen 2027 und 2030 in die Truppe eingeführt und sollen insbesondere der deutschen Brigade in Litauen dienen. 18 weitere Leopard 2A8, die an die Ukraine abgegebene Panzer ersetzen sollen, sollen bis nächstes Jahr an die Bundeswehr übergeben werden.

Auf weitaus mehr Kampfpanzer kann Polen zurückgreifen. Laut „Military Ba­lance“ auf 662 Stück. Dazu zählen knapp 200 ältere Varianten des Leopard 2 und mehr als 100 amerikanische M1A1 Abrams, die unter anderem im Irakkrieg eine wichtige Rolle gespielt haben, auf dem modernen Schlachtfeld in der Ukraine aber Schwächen etwa gegenüber Drohnen offenbaren. Darüber hinaus verfügt Polen mit 71 südkoreanischen K2-Panzern über einen „Newcomer“. Sie werden erst seit 2012/2013 in Serie produziert und gelten als fortschrittliche Konkurrenz zum Leopard 2.

Spanien besitzt mit 274 älteren und neueren Varianten des Leopard 2 annähernd so viele Panzer wie Deutschland. Frankreich kommt auf 200 Leclerc-Kampfpanzer und Großbritannien auf 213 Challenger 2. Sie gelten, je nach Einsatzszenario, als ähnlich kampfstark wie Leopard 2. Finnland ist mit 200 Kampfpanzern ausgestattet – 100 Leopard 2A6 und 100 Leopard 2A4. Italien besitzt 150 Ariete, die zwar als kampfstark, aber als weniger gut geschützt als hochmoderne Panzer gelten.

Die größte Panzertruppe unter Europas Bündnispartnern aber hat die Türkei, laut „Military Balance“ knapp 2400 Stück: darunter mehr als 300 Leopard 2A4 und knapp 400 ältere Leopard 1, die bei der Bundeswehr 2003 außer Dienst gestellt wurden. Dazu kommen mit mehr als 900 Exemplaren des M60 und 750 des M48 amerikanische Modelle aus dem Kalten Krieg, die modernen Panzern als unterlegen gelten. Auch Griechenland besitzt eine große Anzahl an Panzern, begründet durch die Rivalität mit dem Nachbarn Türkei. Athen verfügt den IISS-Forschern zufolge über mehr als 1300 Panzer, darunter 170 speziell für Griechenland entwickelte Leopard 2A6HEL und 183 Leopard 2A4. Dazu kommen aber auch zahlreiche in die Jahre gekommene Modelle wie Leopard 1 (500 Stück) oder amerikanische M48 (375 Stück).

Für die Bundeswehr sind die 138 Eurofighter das „Rückgrat“ der deutschen Luftwaffe. Sie können auch ohne Nachbrenner über längere Zeit mit Überschall fliegen. Von den veralteten Tornado-Flugzeugen besitzt die Luftwaffe noch 93. Sie sollen von 2026 an durch 35 amerikanische F-35 ersetzt werden, die zu den besten Kampfflugzeugen der Welt gezählt werden – auch wenn die US-Luftwaffe mit hohen Kosten, Software- oder Wartungsproblemen zu kämpfen hat. Zusätzlich sollen als Tornado-Ersatz weitere Eurofighter beschafft werden, die auf Aufklärung und elektronische Kriegführung spezialisiert sind. Aktuell verfügt die deutsche Luftwaffe laut „Military Balance“ über 226 Flugzeuge, einschließlich Transport-, Trainings- und Tankflugzeugen.

Die türkische Luftwaffe kommt demzufolge auf fast 300 kampffähige Flugzeuge. Ankara verfügt insbesondere über eine große Zahl an F-16-Varianten. Die amerikanische F-16 gilt als bewährtes und vielfältiges Flugzeug, während Eurofighter etwa über fortschrittlichere Elektronik verfügen. Frankreichs Luftwaffenflotte ist mit rund 240 Flugzeugen ähnlich groß wie die deutsche, dazu kommen 60 Flugzeuge der Marine. Paris kann auf knapp 100 Mirage 2000 verschiedener Varianten zurückgreifen. Die gelten zwar als agil und schnell, haben aber gleichzeitig eine geringere Nutzlast, weniger fortschrittliche Waffen-, Radar- und elektronische Systeme als neuere Flugzeuge. Paris hat eine unbekannte Anzahl an Mirage 2000-5 an die Ukraine abgegeben.

Paris will die Flugzeuge in Zukunft durch modernere Rafale ersetzen, von denen die Luftwaffe derzeit rund 100 Stück besitzt plus 42, die der Marine unterstehen. Rafale zeichnen sich unter anderem durch bessere Sensoren und Waffensysteme aus. Für Sorge in westlichen Fachkreisen sorgten allerdings unbestätigte Berichte, wonach Pakistan im jüngsten Konflikt mit Indien mehrere Rafale abgeschossen haben soll – mit chinesischen Flugzeugen vom Typ J-10C.

Auch Griechenland hat „Military Balance“ zufolge mit 230 Flugzeugen eine relativ große Flotte vorzuweisen. Neben modernen Rafale (20 Stück) besteht diese aber auch aus älteren Flugzeugen wie überholten F-4 Phantom II (32 Stück), die schon im Vietnamkrieg gekämpft haben und von Deutschland, Großbritannien und den USA vor Jahren außer Dienst gestellt wurden. Außerdem verfügt Athen über ein breites Arsenal an F-16-Varianten (154 Stück). Großbritanniens Luftwaffe besitzt demnach mit 32 F-35 und 121 Typhoon FGR4, einer britischen Variante des Eurofighters, sehr fortschrittliche Modelle. Insgesamt kann London laut den IISS-Daten auf 210 Kampfflugzeuge zurückgreifen. Ähnliches gilt für Italien mit insgesamt 195 Flugzeugen, darunter 92 Eurofighter und 26 F-35.

Die Deutsche Marine hat aktuell sechs U-Boote der Klasse 212 A. Sie sind laut Bundeswehr „die modernsten der Welt“ und „extrem leise“. Sie können zwei Wochen lang tauchen, und die Torpedos haben eine Reichweite von mehr als 50 Kilometern. Über ein gemeinsames Beschaffungsprogramm mit Norwegen will Berlin von 2032 bis 2037 sechs neue U-Boote der Klasse U212 CD beschaffen – sie sollen unter anderem bessere Sensoren haben. Daneben besitzt Deutschland laut eigenen Angaben elf Fregatten.

Frankreich hat neun U-Boote. Darunter sind vier strategische, die mit Atomraketen ausgerüstet sind, und fünf konventionelle, die mit Torpedos, Seezielflugkörpern oder Marschflugkörpern Ziele unter und über See oder auf Land angreifen können. Außerdem verfügt Paris mit dem Flugzeugträger Charles de Gaulle über eine schwimmende Luftwaffenbasis. Dazu kommen laut „Military Balance“ 21 Fregatten und Zerstörer.

Auch Großbritanniens Marine setzt auf neun U-Boote – fünf konventionelle und vier mit Atomraketen bewaffnete. Zwei weitere konventionelle U-Boote der Astute-Klasse sollen die britische Flotte bis 2026 verstärken: Sie können mit Torpedos und Marschflugkörpern bewaffnet werden. Dazu kann London auf zwei Flugzeugträger – HMS Queen Elizabeth und HMS Prince of ­Wales – zurückgreifen. Die britische Marine verfügt laut „Military Balance“ zudem über 14 Fregatten und Zerstörer.

Italien besitzt den Daten zufolge acht U-Boote – darunter vier der 212A-Klasse, die nahezu identisch mit den deutschen sind –, einen Flugzeugträger sowie 17 Fregatten und Zerstörer. Rom will die U-Boot-Flotte bis 2036 auf eine Anzahl von zehn erweitern. Griechenland kommt auf neun U-Boote, nachdem laut Medienberichten erst im Mai eines außer Dienst gestellt wurde, und 13 Fregatten. Alle griechischen U-Boote sind aus deutscher Produktion, die vier modernsten der Papanikolis-Klasse (Typ 214) gelten als sehr leise. Auch die Türkei setzt auf U-Boote aus Deutschland, laut „Military Balance“ 13 Stück. Darunter bislang allerdings nur eines der 214-Klasse, bis 2029 sollen fünf weitere dazukommen. Außerdem kann Ankara auf 17 Fregatten zurückgreifen.

Moderne Abstandswaffen

Zu den modernsten Marschflugkörpern in Europa zählen der deutsche Taurus und die britischen Storm Shadow beziehungsweise die fast identischen französischen SCALP, die eine Reichweite von mehr als 250 Kilometern haben. Sie werden von Flugzeugen gestartet und zeichnen sich durch eine hohe Präzision und Überlebensfähigkeit aus. Allerdings gilt der Taurus unter anderem aufgrund seiner Reichweite von mehr als 500 Kilometern und seiner Durchschlagskraft als noch kampfstärker. Auch Spanien verfügt über Taurus, Schweden will sie Berichten zufolge beschaffen.

Es ist nicht offiziell bekannt, über wie viele dieser Waffen die Verbündeten aktuell verfügen. Der damalige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages Marcus Faber (FDP) nannte 2024 eine Anzahl von 600 Taurus im deutschen Depot. Das ukrainische Fachportal „Defense Express“ zählt ausgehend von vergangenen Bestellungen seit 1997 900 Storm Shadow von Großbritannien, 200 von Italien, 90 von Griechenland und 500 SCALP von Frankreich. Unklar ist, wie viele davon bereits eingesetzt und wie viele an die Ukraine geliefert wurden.

Dagegen gibt es in Europa eine „ernst zu nehmende Fähigkeitslücke“, wie Verteidigungsminister Pistorius sagt, bei bodengestützten Mittelstreckenwaffen. Deswegen will Berlin ab 2026 amerikanische SM-6-Mehrzweckraketen, Tomahawk-Marschflugkörper und in Entwicklung befindliche Hyperschallraketen Dark Eagle in Deutschland stationieren. Sie sollen über weitaus größere Reichweiten als die bisherigen Systeme in Europa verfügen – und bis nach Russland reichen. Auch andere Verbündete wollen in diesem Bereich nachrüsten. So arbeiten Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Großbritannien und Schweden unter dem European Long-Range Strike Approach (ELSA) gemeinsam an einem bodengestützten Marschflugkörper, der zwischen 1000 und 2000 Kilometer weit fliegen soll.

Zuletzt gaben Berlin und London bekannt, dass sie mit der Entwicklung von Präzisionswaffen mit mehr als 2000 Kilometern Reichweite begonnen haben, ohne Details zu nennen. Pistorius sagte, dass die Entwicklung im Rahmen des ELSA-Projekts vorangetrieben wird. Andere Partner könnten sich dem Vorhaben anschließen. „Wir müssen möglichst alle Fähigkeitslücken schließen – und das so schnell wie irgendwie möglich“, sagte der deutsche Verteidigungsminister. Das mache die aktuelle Bedrohungslage nötig.