Mit seiner Auffahrt in den Himmel hatte es der Erlöser nicht eilig. Schon am dritten Tage nach dem Tode auferstanden, verweilte er im Anschluss noch eine Weile unter seinen Jüngern. „Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang“, heißt es in der Bibel. Weil das österliche Auferstehungsfest auf einen Sonntag fällt und der erste wie der letzte Tag jeweils mitzählen, bedeutet diese Zeitangabe: Der Feiertag Christi Himmelfahrt fällt stets auf einen Donnerstag.
Für die Unternehmen im Land handelt es sich bei diesem Vers aus der Apostelgeschichte um eine der teureren Passagen religiösen Schrifttums. Ihnen entgeht nicht nur am Feiertag selbst die Arbeitsleistung ihrer Beschäftigten, die sie gleichwohl weiter bezahlen müssen. Auch am folgenden Freitag ist Studien zufolge nur mit ungefähr zwei Dritteln der gewöhnlichen Wertschöpfung zu rechnen. Viele nehmen sich an dem Brückentag frei, andere sind nur mit halben Kopf im Büro. Und an Himmelfahrt kommt hinzu, dass der Konsum geistiger Getränke am westdeutschen „Vatertag“ oder dem ostdeutschen „Herrentag“ bisweilen die Produktivität am Folgetag noch schmälert.
Nicht umsonst stehen angesichts der aktuellen Wirtschaftsflaute besonders diese Feiertage zur Disposition, die regelmäßig unter der Woche begangen werden. Auch Fronleichnam zählt dazu, wenngleich nur in einigen Bundesländern arbeitsfrei. Und dass in den Neunzigerjahren ausgerechnet der Buß- und Bettag entfiel, um die Kosten der frisch eingeführten Pflegeversicherung aufzufangen, hatte auch mit seiner Lage mitten in der Woche zu tun. Gelegentlich wird zudem der Pfingstmontag genannt. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass kaum noch jemand weiß, was mit der Ausgießung des Heiligen Geistes eigentlich gefeiert wird.
Mangel an helfenden Händen
Vor allem Wirtschaftswissenschaftler hatten zuletzt den Verzicht auf arbeitsfreie Tage gefordert, aber auch Manager und Wirtschaftsverbände. Kanzler Friedrich Merz sprach zwar nicht über Feiertage, gab aber immerhin den Hinweis, die Deutschen müssten mehr arbeiten. Interessant daran ist die Argumentation, die sich deutlich von früheren Zeiten unterscheidet. Weniger um die entgangene Wertschöpfung an sich geht es in der heutigen Debatte als um eine Ressource, die nicht so leicht zu ersetzen ist wie Geld: Arbeitskraft. Um etwa die 500 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden für die Infrastruktur sinnvoll investieren zu können, so etwa der Hinweis von Ifo-Chef Clemens Fuest, brauche es eben auch zusätzliche Arbeitsstunden, zum Beispiel der Beschäftigten in der Baubranche.
Das entkräftet dann auch eines der gängigen Gegenargumente. Erfahrungen etwa aus Dänemark haben gezeigt, dass sich die Beschäftigten bei guter Arbeitsmarktlage und entsprechend starker Verhandlungsposition die zusätzliche Arbeitszeit über Tarifverträge auch extra honorieren lassen: Wenn es den Unternehmen weniger ums Geld geht als um den Mangel an helfenden Händen, lässt sich das verschmerzen.
Darüber hinaus lässt sich die Frage, wie viel an zusätzlichem Wachstum der Wegfall eines Feiertags bringen könnte, gar nicht so leicht beantworten. Eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft kam jüngst auf eine Wirtschaftsleistung von vier bis acht Milliarden Euro je abgeschafftem Feiertag, das wären bis zu 0,2 Prozent des jährlichen Sozialprodukts in Deutschland. Eine ältere Untersuchung des Hamburger Ökonomen Dirk Meyer verortete den Effekt eher am unteren Rand des Spektrums, bei 0,12 Prozent.
Augsburger Religionsfrieden
Das hängt auch damit zusammen, dass ein Feiertag in manchen Branchen die Wertschöpfung sogar steigert. Gerade an verlängerten Wochenenden wie zu Himmelfahrt sind Hotels ausgebucht, Freizeitparks überfüllt, Biergärten gut besucht. Airlines und die darbende Bahn können für ihre Tickets leicht Mondpreise verlangen, und in Baumärkten steigen die Umsätze, weil sich die Leute in den Tagen zuvor fürs Heimwerken eindecken. Hohe Feiertage wie Weihnachten kurbeln die Umsätze im Handel sogar so sehr an, dass sich die Ladenschließung zum eigentlichen Fest leicht verschmerzen lässt. Ganz abgesehen vom immateriellen Profit: Von der „seelischen Erhebung“ sprechen die Kirchen, von einer „Sozialsynchronisation“ die Soziologen, weil an den Feiertagen eben alle gleichzeitig freihaben und nicht bloß Einzelne.
Hinzu kommen saisonale Faktoren. Gerade in der Baubranche, die in der aktuellen Debatte so eine große Rolle spielt, macht das einen beträchtlichen Unterschied aus. Würde etwa in den katholischen Gegenden der Dreikönigstag abgeschafft, an dem die Arbeit aufgrund des kalten Wetters oft ohnehin ruht, brächte das einen geringen Effekt. Am Pfingstmontag mit seinen milden Temperaturen könnte die zusätzliche Wertschöpfung hingegen um einiges größer ausfallen. Selbständige oder Freiberufler pausieren oftmals an den Feiertagen ohnehin nicht, in vielen Fällen arbeiten auch abhängig Beschäftigte Anstehendes oder Versäumtes vor oder nach, auch wenn dafür Überstundenzuschläge fällig werden können.
Die Idee, dass Feiertage den Wohlstand vermindern, wird zumindest auf den ersten Blick auch von der Statistik der Bundesländer widerlegt. Nach wie vor verfügt kein Land der Republik über so viele Feiertage wie der Freistaat Bayern, noch einmal getoppt von der Stadt Augsburg mit 14 arbeitsfreien Tagen. Nicht bloß, dass dort aufgrund der überwiegend katholischen Bevölkerung am 15. August die Himmelfahrt Mariens begangen wird. Für die protestantische Minderheit wird in der einstigen Freien Reichsstadt von Alters her das Hohe Friedensfest begangen. Es erinnert nicht etwa an den Augsburger Religionsfrieden, sondern an den Westfälischen Frieden von 1648, der ganz im Gegenteil festschrieb, dass die Obrigkeit ihre Untertanen nicht mehr zu einem Konfessionswechsel zwingen konnte.
Das Schlagwort von der blockierten Republik
Trotz dieser barocken, fast noch mittelalterlichen Üppigkeit zahlreicher, meist kirchlicher Feiertage zählte der Freistaat bislang zu den wirtschaftlich erfolgreicheren Bundesländern. Im Gegensatz dazu schien der Norden der alten Bundesrepublik ökonomisch nicht davon zu profitieren, dass er sich lange Zeit mit nur neun Feiertagen begnügen musste. In den Zeiten vor der aktuellen Standortdebatte löste das allerdings eher Begehrlichkeiten aus. Nachdem zum 500-jährigen Jubiläum des lutherschen Thesenanschlags 2017 bundesweit der Reformationstag am 31. Oktober arbeitsfrei blieb, beschlossen die nordwestdeutschen Bundesländer, zwecks föderaler Gerechtigkeit gleich dabei zu bleiben. In den ostdeutschen Ländern mit Ausnahme Berlins war dieser Termin ohnehin arbeitsfrei. Deshalb verfiel Thüringen darauf, den Weltkindertag für arbeitsfrei zu erklären.
Das alles hatte allerdings zur Folge, dass die inzwischen prosperierende Hauptstadt Berlin als Metropole der Feiertagsarmut übrig blieb. Das wollte die damalige Stadtregierung nicht auf sich sitzen lassen, zumal in jenen ökonomisch sorglosen Jahren. In einer merkwürdigen Verkehrung der Kausalitäten wurde für den gewünschten Feiertag nun ein Anlass gesucht, nicht umgekehrt. Der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus stand zur Debatte, der 9. November mit seinen widersprüchlichen Botschaften, auch der 18. März als Tag der Revolution von 1848 und Symbol gegen den Obrigkeitsstaat. Am Ende fiel die Wahl auf den 8. März, den Weltfrauentag – ungeachtet des Umstands, dass dieser Termin die Feiertagsballung im Frühjahr noch verschärfte.
Schließlich trifft das Schlagwort von der blockierten Republik auf keinen Zeitraum mehr zu als auf die Periode zwischen Karfreitag und Fronleichnam. Unter den zehn Wochen zwischen dem 14. April und dem 20. Juni sind in diesem Jahr gerade mal drei, auf die in keinem Bundesland ein Feiertag fällt. Ansonsten folgen Karfreitag, Ostermontag, 1. Mai, 8. Mai, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam in nur geringen Abständen aufeinander, was angesichts des vorgezogenen Wahltermins in diesem Jahr die Regierungsbildung massiv behinderte: Erst musste der Termin der SPD-Mitgliederbefragung nach hinten geschoben werden, weil er nicht komplett in den Osterferien liegen sollte, dann kam der Maifeiertag einer schnellen Kanzlerwahl in die Quere.
Schwindende Zahl an Kirchenmitgliedern
Immerhin bot der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Jahr 1990 die Gelegenheit, den „Tag der Deutschen Einheit“ vom 17. Juni auf den 3. Oktober zu verlegen, in die Zeit zwischen Pfingsten und Weihnachten mithin, die in den nordwestdeutschen Bundesländern komplett feiertagsfrei gewesen war.
Als ob das alles nicht schon genug wäre, begann vor allem die Linkspartei eine Debatte, ob Feiertage nicht nachgeholt werden müssten, wenn sie auf ein Wochenende fielen. In Berlin war das – neben dem etwas runderen Jubiläum – das Argument dafür, in diesem Jahr den 8. Mai als Tag des Kriegsendes zu begehen, als Ersatz für den in diesem Jahr samstäglichen Frauentag. Ganz abwegig ist das Argument allerdings nicht. Wie die Partei vorrechnete, kennen 85 Staaten auf der Welt eine Regel, dass dann der folgende Werktag arbeitsfrei bleibt, darunter wirtschaftlich zumindest zeitweise erfolgreiche wie Großbritannien, Spanien oder Australien. Die Vereinigten Staaten und auch Großbritannien verfügen zudem über Feiertage, die generell auf einen Montag fallen. Diese Regeln haben immerhin einen Vorteil: Durch die Bindung an den Montag entfällt der Anreiz für arbeitsfreie Brückentage, die den wirtschaftlichen Verlust zusätzlich steigern.
Für die Wertschöpfung weniger relevant erscheint die Frage, ob sich Deutschland gerade angesichts der schwindenden Zahl an Kirchenmitgliedern zu viele religiöse und zu wenige weltliche Feiertage leiste. Das extreme Gegenmodell findet sich bei den Nachbarn in Tschechien mit ihrer stark antiklerikalen Tradition seit dem Spätmittelalter: Dort stehen sage und schreibe sieben staatlichen Feiertagen einzig Ostern (mit Karfreitag) und Weihnachten als kirchliche Feste gegenüber. Darunter findet sich wie in vielen anderen europäischen Ländern die Befreiung von den Deutschen 1945: das Datum also, dessen Eignung zum Feiertag in Deutschland selbst so heftig umstritten ist, heftiger jedenfalls als die Himmelfahrt Christi.