Geschichtsdidaktiker Joachim Rohlfes gestorben

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„Solange Geschichte überliefert, erzählt, erforscht wird, geschieht dies mit der Absicht, ein künftiges oder gegenwärtiges Publikum über die Vergangenheit zu belehren.“ Mit diesem schlichten Satz setzt das vor bald vier Jahrzehnten publizierte Lehrbuch „Geschichte und ihre Didaktik“ ein. Da Geschichte nun einmal ihren „lebenspraktischen Verwendungszusammenhang“ darin finde, Bewusstsein zu erzeugen, wohne ihr die didaktische Dimension inne. Joachim Rohlfes schrieb dies, als die ganz großen Kämpfe um die junge Disziplin der Geschichtsdidaktik schon abflauten, ihre Probleme jedoch keineswegs gelöst waren. Um das Odium einer handwerklichen Instruktionskunst loszuwerden – als wenn eine solche ehrlos und simpel wäre! –, hatten jüngere Fachvertreter seit den Siebzigerjahren den Marsch in eine nicht länger an Wirklichkeiten des Klassenzimmers rückgebundene Theoriebildung angetreten und dabei dem Geschichtsunterricht zugleich das Ziel „kritische Emanzipation“ (von was auch immer) aufgebürdet.

Rohlfes war skeptisch, weniger aus politischen Gründen, sondern weil er aus der Praxis des schulischen Lehrens und Lernens wusste, wie schwierig, wie voraussetzungsreich guter Geschichtsunterricht ist. Zugleich war ihm selbstverständlich klar, dass eine Praxis ohne tragfähige Begriffe und theoretische Re­flexion blind bleiben muss. Unermüdlich arbeitete er daran, Geschichtsdidaktik als Wissenschaft praxisfähig und praxisrelevant zu halten: mit seinen bei Fachleitern und Referendaren geschätzten Überblicken sowie als Co-Herausgeber der Zeitschrift „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“ über mehr als dreißig Jahre. „Bausteine für die Unterrichtspraxis“ und „Stichworte zur Geschichtsdidaktik“ – Rohlfes wusste, was gebraucht wird und hilft, und er lieferte. Auch unterzog er sich der Pflicht, an Geschichtsbüchern für den Schulunterricht mitzuschreiben, eine Kalibrierungsleistung, die immer wieder neu zu erbringen ist.

Klare Urteile gegen Dogmatismus und Repetition

Seine um den Brückenschlag bemühten Literaturberichte in der Zeitschrift vermögen, nach Jahrzehnten wiedergelesen, noch immer zu überzeugen: durch Ernst, Nüchternheit und, wo nötig, klare Urteile wider dogmatische Verstiegenheit und repetitive Betriebsamkeit, auch wenn die Wirklichkeit des Geschichtsunterrichts längst eine völlig andere, viel diversere ist als 1968.

Just in diesem Jahr wurde der 1929 in Stendal geborene Rohlfes – nach der Promotion in Göttingen bei Reinhard Wittram und Dienst am Alten Gymnasium in Oldenburg – auf eine Professur an der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe, Abteilung Bielefeld berufen. Als Einrichtungen wie diese 1977 durch einen Beschluss der Landesregierung in die Universitäten integriert werden sollten, publizierte Hans-Ulrich Wehler, Professor für Allgemeine Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Bielefeld, in der F.A.Z. eine Philippika im Duktus eines ältesten Großordinarius: PH-Dozenten fielen im wissenschaftlichen Leistungswettbewerb regel­mäßig zurück und verschenkten ihre Scheine und Examina großzügig. Rohlfes konterte, sachlich, wie es seine Art war, zugleich deutlich. Wehlers Attacke steche hervor, „weil hier mit einer sonst nicht anzutreffenden Unverblümtheit und Grobheit Emotionen der Abneigung und Verachtung artikuliert werden, die Schlimmes befürchten lassen“. Da predige einer Demokratie, Emanzipation und soziale Chancengleichheit, wolle aber angehenden Grund- und Hauptschullehrern die Tore der Universität verschließen und schrecke vor glatter Diffamierung nicht zurück.

Die Bielefelder Schule im Sinne einer Historikergruppe, der Kritiker eine fachfremde Überbetonung des Didaktischen vorwarfen, bleibt mit dem Namen Wehlers verbunden, der zwei Jahre jünger war als Rohlfes. Im Wettbewerb um das längere Leben hatte Rohlfes die Nase vorn. Am 18. Mai ist er in Bielefeld gestorben, fünfundneunzig Jahre alt.