Über den Kreml kann man sagen, was man will, seine Propaganda ist und bleibt der Goldstandard. Sie hat auch die jüngste Prüfung auf Flexibilität und Einfallsreichtum glänzend bestanden.
Nur durchschnittlich begabte Demagogen hätten Trumps Stellungnahme, Putin sei „völlig verrückt“ geworden, mit Beschimpfungen beantwortet, wie sie Trump Biden, Richtern und auch allen anderen Hinterzimmergaunern angedeihen lässt, die nicht seinen Speichel lecken, und nicht allein den. Putins Goebbels aber säuselte nach Trumps unerwartetem Tadel für seinen Kumpel im Kreml nur etwas von einer „emotionalen Überlastung aller Beteiligten“.
Sensation: Putin ist emotional überlastet
Auch in dieser Bemerkung war freilich ein Hammer enthalten, den offenbar nur wir bemerkten: „aller Beteiligten“. Denn egal, wie man Putins Überfall auf die Ukraine nennt – Spezialoperation, Kreuzzug zur Entnazifizierung Europas oder Vernichtungskrieg –, Putin ist ein Hauptbeteiligter. Damit hat der Kreml erstmals offiziell bestätigt, dass dieser Krieg Putin emotional überlaste – überlaste, nicht nur belaste, was man ihm ja schon lange ansieht, da hilft die ganze Schminke nichts, die ihn mehr und mehr wie Lenin in seinen allerletzten Jahren erscheinen lässt, was aber ja vielleicht auch gewollt ist.
Trump sagte, er wisse nicht, „was zur Hölle“ mit Putin passiert sei, dass er „jetzt“ grundlos ukrainische Städte angreife und Menschen töte. Wir haben da, weil Putin das ja schon länger als drei Jahre tut, eine Vorstellung, wollen uns und Ihnen aber gar nicht ausmalen, welche Albträume Putin in seinen einsamen Nächten im Kreml plagen, sonst raubt das auch uns allen noch den Schlaf.
Freilich können nicht nur lupenreine Demokraten unter emotionaler Überlastung leiden, sondern auch die Demokraten mit kleinen Einschlüssen, die wir im Westen haben. Und vielleicht sogar ihre Ehefrauen, die, das wird viel zu selten gewürdigt, den Stress ihrer Staatsmänner mitmachen und also auch aushalten müssen.
Was sich neckt, das liebt sich
Ob der Schwinger, den Brigitte Macron vor laufenden Kameras dem Gatten zum Auftakt des Besuchs in Vietnam verpasste, ein Zeichen von zu großer Belastung war, ist allerdings umstritten. Der Élysée-Palast wollte zunächst selbst seinen Augen nicht trauen und sprach von einer Fälschung. Weil die Aufnahme aber echt war, wurde nachgeschoben, die Züchtigung der einstigen Lehrerin für ihren einstigen Schüler sei nur eine Neckerei zwischen Eheleuten gewesen (also ein Symptom der Zuneigung gemäß der Pausenhofweisheit „Was sich neckt, das liebt sich“). Die Prügelstrafe ist ja auch in Frankreich schon lange abgeschafft, jedenfalls offiziell.
Bei dieser Erklärung hätten die Sprecher Macrons es bewenden lassen sollen; ein wirklicher Profi wie Putins Peskow hätte das jedenfalls getan. Doch ein weiterer Verharmlosungsversuch aus dem Élysée ließ jedenfalls bei uns neue Fragen zum Belastungspegel in der Ehe der Macrons aufkommen: Die beiden hätten vor dem Staatsbesuch „ein letztes Mal Dampf ablassen“ wollen.
Wieso war so viel Druck im Kessel, dass er nur mit einem Tätscheln des Gatten verringert werden konnte, das in jedem Selbstverteidigungskurs als vortrefflich bewertet werden würde? Macron konnte froh sein, dass seine Frau ihn nur im Gesicht liebkoste.
Honi soir qui mal y pense
Honi soit qui mal y pense. Wie dem auch sei: Wir begrüßen zwar sehr die neue Übereinstimmung zwischen Paris und Berlin, wollen aber eine solch leicht umzudeutende Liebesbezeugung zwischen Merz und seiner Frau nicht sehen, egal wo sich die Tür unserer Regierungsmaschine öffnet. Sonst würde ja auch diese Szene rund um die Uhr im russischen Fernsehen laufen, unterlegt mit der aktuellen Äußerung unseres Kanzlers: „Es geht jetzt Schlag auf Schlag.“
Und natürlich würde dazwischen immer wieder darauf verwiesen werden, wie glücklich die Russen sich schätzen könnten, nicht von westlichen Weicheiern regiert zu werden, sondern einen unbeweibten und ungeschlagenen Führer zu haben, der trotz seiner emotionalen Überlastung nicht kokse. Die Propaganda-Abteilung im Kreml wäre mit einer solchen Aufgabe natürlich nicht überfordert. Derart einfache Übungen beherrscht dort jeder Praktikant.