Von einem „beeindruckenden Werk“ sprach Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer am Dienstagnachmittag, als der der CDU-Politiker den Koalitionsvertrag zusammen mit der SPD-Führung im Dresdener Landtag vorstellte. Er ist 110 Seiten stark und soll dafür sorgen, dass ein fragiles Konstrukt hält, das in Sachsen unbekannt und für die einst so erfolgreiche sächsische Union eine besondere Zumutung ist: eine Minderheitsregierung.
Man wisse, dass man keine eigene Mehrheit habe, und gehe deshalb „mit Demut an die Arbeit“, sagte Kretschmer. Sachsens SPD-Chef Henning Homann ergänzte, man wolle das Land „aus der Mitte heraus wieder zusammenführen“. Dafür gelte es, noch stärker als bisher den Kompromiss zu suchen.
Dafür brauchten CDU und SPD allerdings mehr Zeit als geplant. Eigentlich hatten sie ihre finalen Beratungen schon bis Sonntag abschließen wollen. Doch dauerte es bis zum Mittwoch, bis weißer Rauch – oder doch eher weißer Nebel – über Dresden aufzog. Umstritten war bis zuletzt die Finanzpolitik in Zeiten einer „finanziellen Notlage“, die allerdings nicht nur für Sachsen gelte, so Kretschmer.
Innere Sicherheit soll gestärkt werden
Die sächsische Union sieht finanzpolitische Solidität von jeher als ihr Markenzeichen, die es gegen die Ausgabenwünsche der Sozialdemokraten zu verteidigen galt. Die SPD wollte einen Sparhaushalt verhindern, dem soziale und kulturelle Projekte zum Opfer fallen würden; zudem sollte es mehr Spielraum für Investitionen geben. Im sächsischen Haushalt von 23 Milliarden Euro fehlen aber 2,3 Milliarden, ein Betrag, den man nicht mit Konsolidierung wettmachen könne, sagte Kretschmer.
Gefunden wurde schließlich ein Kompromiss: Die Hälfte soll eingespart werden, weitere Mittel dadurch frei werden, dass die Regierung die Zahlungen für die künftigen Pensionen der sächsischen Beamten in Sachsens Generationenfonds „maßvoll“ senkt, wie der Ministerpräsident sagte. Die Zuführungen in den Fonds, der zwölf Milliarden Euro schwer ist, könnten jährlich um etwa 270 Millionen Euro reduziert werden, erläuterte CDU-Fraktionschef Christian Hartmann. Ob das reichen wird, ist unklar.
Zudem wollen die Koalitionäre die innere Sicherheit stärken, mehr Personal in Polizei und Justiz gewinnen. Das teure Lieblingsprojekt der CDU im Wahlkampf, die sächsische Grenzpolizei mit 300 bis 400 neuen Beamten, ist im Koalitionsvertrag allerdings auf eine unverbindliche Formel geschrumpft. Man wolle „mit zusätzlich eingestelltem Personal neue Fahndungs- und Kontrolleinheiten der Polizei in Grenzregionen aufstellen sowie einen modernen Verbund an Fahndungsdienststellen einrichten“, lautet die entsprechende Passage im Vertrag.
In der Frage der Abschiebung soll ein sächsisches Pilotprojekt für vollziehbar ausreispflichtige Personen eingerichtet werden, „deren Rückführung gesichert ist und bei denen kein unmittelbares Abschiebehindernis besteht“.
Die SPD bekommt zwei Ministerien, die CDU alle anderen
In der Bildungspolitik will Sachsen auch in Zukunft mit an der Spitze in Deutschland stehen, indem das letzte Kita-Jahr zu einem kostenfreien Vorschuljahr gemacht wird, um die großen Leistungsunterschiede bei der Einschulung zu reduzieren, wie Hartmann sagte. Zudem sollen nicht nur mehr Lehrerinnen und Lehrer angeworben, sondern auch weiter Schulsozialarbeiter und Schulassistenten eingestellt werden.
Auch über die Ministerien haben sich CDU und SPD geeinigt. Die SPD wird das Wirtschaftsministerium behalten, das auch für Arbeit, Energie und Klimaschutz zuständig ist. Ebenso werden die Sozialdemokraten weiter für Soziales und Gesundheit verantwortlich sein, hier gilt die bisherige Sozialministerin Petra Köpping als gesetzt. Die CDU erhält alle anderen Ministerien, also Innen, Finanzen, Kultus, Justiz, Umwelt und Landwirtschaft sowie ein neues Infrastrukturministerium. Wissenschaft, Kultur und Tourismus sollen in einem Ministerium vereint werden, das allerdings einen zweiten Minister für Kultur und Tourismus haben wird.
Die CDU spart, wie Kretschmer sagte, einen Ministerposten ein, indem der Chef der Staatskanzlei nicht mehr den Ministerrang hat, sondern Staatssekretär sein wird. Die Zahl der Staatssekretäre wird von 15 auf elf verringert.
Für die Wahl des Ministerpräsidenten, die am 18. Dezember stattfinden soll, fehlen Kretschmer zehn Stimmen. Er werde daher das BSW, die Grünen und die Linken um ein Gespräch bitten, kündigte Kretschmer an. Mit den Grünen gebe es eine „große Vertrautheit“, auch wenn Verletzungen im Wahlkampf entstanden seien, über die man sprechen müsse, sagte Kretschmer, der die Grünen immer wieder rabiat angegangen war.
Man werde die Gespräche mit den anderen Fraktionen auf Vorschlag von Kretschmer gemeinsam mit der CDU führen, sagte SPD-Chef Homann. Kretschmer braucht 61 Stimmen im ersten Wahlgang, um Ministerpräsident zu werden, CDU und SPD haben nur 51. Für weitere Wahlgänge reicht die relative Mehrheit der Stimmen.
Gespräche mit der AfD kündigte Kretschmer nicht an. Die CDU hatte die Landtagswahl am 1. September mit 31,9 Prozent vor der AfD mit 30,6 Prozent gewonnen. Jörg Urban, Landes- und Fraktionschef der sächsischen AfD, reagierte am Mittwoch entsprechend. „Diese Anti-AfD-Koalition wird keine fünf Jahre überleben“, so Urban. Kretschmer und Köpping hätten „einen visionslosen und schwachen Koalitionsvertrag vorgelegt“.