Die Szene liegt Jahre zurück, aber sie ist sinnbildlich für den Wandel in der deutschen Finanzpolitik: In einer Freiburger Pizzeria sitzen sich Lars Feld und Jens Südekum gegenüber. Es dauert nicht lange, da verwandelt sich das Abendessen, das im Vorfeld einer Fachkonferenz stattfindet, zu einem Streitgespräch über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse: Feld, der ordnungspolitische Verteidiger des Instruments, gegen Südekum, der die Schuldenbremse reformiert sehen will und für höhere staatliche Investitionen kämpft.
Lars Feld war bis zu dessen Demission der persönliche ökonomische Berater von Christian Lindner. Der FDP-Politiker verteidigte als Finanzminister die Schuldenbremse und stellte sich gegen eine höhere Staatsverschuldung, was letztlich einer der ausschlaggebenden Gründe für das Aus der Ampelregierung war. Nun heißt der Finanzminister Lars Klingbeil – und Jens Südekum, der keine Probleme in einer höheren Staatsverschuldung sieht, steigt zum „persönlichen Beauftragten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ auf.
Der Ökonom, der an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Professor für internationale Volkswirtschaft lehrt und forscht, ist wie Klingbeil Sozialdemokrat. Schon vor seiner Berufung, die das Ministerium am Freitag bekannt gab, hat der Forscher die Bundespolitik beraten und seine gute Vernetzung in der SPD genutzt: Südekum gehörte zu einer lagerübergreifender Vierergruppe, die der saarländische Finanzminister Jakob von Weizsäcker (SPD) im Vorfeld der Berliner Sondierungsgespräche zusammengebracht hat. Gemeinsam mit den Institutspräsidenten Clemens Fuest (Ifo München), Moritz Schularick (IfW Kiel) und Michael Hüther (IW Köln) erarbeitete er einen Vorschlag, der schuldenfinanzierte Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur sowie eine Lockerung der Schuldenbremse vorsah. Das Papier diente den Sondierern von Union und SPD als Tischvorlage, das Sondervermögen für Infrastruktur (500 Milliarden Euro) und eine Öffnung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben sind heute beschlossene Sache.
Ein Vertrauter Klingbeils
„Nun möchte ich auch weiter meinen Beitrag leisten, damit die Investitionen und Strukturreformen schnell spürbare Verbesserungen für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger bringen“, teilte Südekum am Freitag mit. Der Forscher werde „ehrenamtlich und unabhängig“ arbeiten, er ist kein angestellter des Ministeriums. Die Grundsatzabteilung in Klingbeils Haus wird Armin Steinbach, ein bislang in Paris lehrender Jurist und Ökonom, übernehmen.
Südekum, 49 Jahre alt und aufgewachsen im niedersächsischen Goslar, gilt schon länger als Vertrauter Klingbeils. Der Minister, ein finanzpolitischer Novize, hat angekündigt ein „Investitionsminister“ sein zu wollen und insbesondere strukturschwächeren Regionen stärken zu wollen. Südekum ist als Berater dafür die passende Wahl. Der Düsseldorfer Ökonom kennt zum einen die Details des Bundeshaushalts zum anderen beschäftigt er sich als Regionalforscher mit den strukturell „abgehängten“ Gebieten in Deutschland. In einem Gastbeitrag in der F.A.Z. machte sich Südekum zuletzt dafür stark, die bestehenden Industrien hierzulande im Kern zu erhalten, anstatt „sein Glück in anderen Wirtschaftszweigen zu suchen“. Wenn beispielsweise die Transformation der Autoindustrie hin zur Klimaneutralität hier in Deutschland gelinge sei das gut für den Wohlstand und ein probates Mittel gegen den Aufstieg der Rechtspopulisten. Südekum forderte dazu auf, Regionalpolitik nicht länger reaktiv als „Reparaturbetrieb“ zu betreiben, sondern schon früher unterstützend, wenn ein Strukturwandel absehbar ist.
Als Klingbeil-Berater dürfte Südekum wie sein Vorgänger Lars Feld im Hintergrund tätig sein und sich mit öffentlichen Kommentaren eher zurückhalten. Ordnungsökonom Feld hatte Minister Lindner auch für in Felds Worten „ordnungspolitisch unschöne Lösungen“ wie den Tankrabatt im Jahr 2022 verteidigt. Rückblickend bezeichnete Feld den Rabatt allerdings als politischen Fehler. Es bleibt abzuwarten, wie Südekum seine Doppelrolle als Forscher und Ministerberater interpretieren wird.