An diesem Freitag haben beide Kandidaten noch einmal alles gegeben. Rafał Trzaskowski, Warschaus Bürgermeister, der für die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) von Ministerpräsident Donald Tusk antritt, war in Zentral- und Nordpolen unterwegs. Unter seinem Slogan „Ganz Polen voran!“ rief er auf Marktplätzen und beim Gang von Tür zu Tür vor allem dazu auf, am Sonntag wählen zu gehen. In der Region hatten die Menschen zwar schon im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl mehrheitlich für den 53 Jahre alten Politiker gestimmt. Längst waren aber nicht so viele zur Wahl gegangen wie bei der Parlamentswahl 2023, als es der KO und den mit ihr verbündeten Parteien gelungen war, die nationalkonservative PiS in die Opposition zu schicken. In Umfragen steht es bisher unentschieden, wahlentscheidend wird deshalb sein, wer mehr Anhänger mobilisieren kann.
Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen, den Trzaskowski mit 31,4 Prozent gewonnen hatte, war das dem Tusk-Lager nicht gelungen. Zwar lag die Wahlbeteiligung mit 67 Prozent hoch. Doch vor zwei Jahren gelang die Regierungsübernahme durch eine breite Mitte-Links-Allianz nur, weil 75 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen hatten. Das waren so viele wie nie, seit Polen 1989 seine Freiheit zurückerlangt hatte.
Mehr als eine halbe Million Menschen gingen im Herbst 2023 in Warschau für den Regierungswechsel auf die Straße, 11,6 Millionen stimmten schließlich für die heutige Regierungskoalition. Der scheidende Staatspräsident Andrzej Duda, der 2015 von der PiS nominiert wurde, erreichte bei seiner Wiederwahl 2020 rund 10,4 Millionen Stimmen. Ihn will die PiS durch Karol Nawrocki ersetzen und das Amt sichern. Der Präsident besitzt in Polen eine einflussreiche Position – vor allem durch sein Vetorecht bei Gesetzen. So machte Duda Tusk bisher das Regieren schwer.
Die Milieugeschichten schaden Nawrocki kaum
Nawrocki war am Freitag in Podlachien unterwegs, einer weniger wohlhabenden Gegend im Osten des Landes. Dort stimmen die Menschen traditionell mehrheitlich für die PiS. Auch Nawrocki gewann im ersten Wahlgang dort. Im ganzen Land lag er mit 29,5 Prozent der Stimmen überraschend knapp hinter Trzaskowski. Ginge es nun allein nach der Aufmerksamkeit, die der 42 Jahre alte Historiker in den vergangenen Tagen bekam, müsste Nawrocki die Stichwahl gewinnen. Doch es waren keine rühmlichen Schlagzeilen, mit denen der von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński persönlich nominierte Kandidat von sich Reden machte.

Es begann damit, dass Nawrocki während eines Duells mit Trzaskowski im Fernsehen vor laufender Kamera, aber hinter vorgehaltener Hand, einen als „weißer Snus“ bezeichneten Nikotinstreifen einnahm. Dessen Herstellung und Verkauf ist in Polen illegal. Nawrocki gab die Einnahme schließlich zu und ging zum Drogentest, der negativ ausfiel. In den sozialen Netzwerken präsentierte er daraufhin stolz das Diagnosepapier. Kurz darauf bezichtigten zwei einstige Kollegen Nawrockis aus dessen Zeit in der Türsteherszene den Kandidaten, mit Zuhältern kooperiert und Hotelgästen in der Ostseestadt Sopot Prostituierte zugeführt zu haben. Nawrocki bestreitet Letzteres, nicht leugnen kann er jedoch seinen Kontakt mit Milieugrößen seiner Heimatstadt Danzig.
Noch nie habe es in Polen einen Präsidentschaftskandidaten gegeben, der aus dem Hooliganmilieu stammt, an Schlägereien zwischen Ultras beteiligt war, unter undurchsichtigen Umständen Wohnungen von kriminellen Personen übernahm und so eng mit der Unterwelt verknüpft war, schrieb die konservative Zeitung „Rzeczpospolita“. Die Strategen der PiS, die offensichtlich selbst von der Flut der beinahe täglich ans Licht kommenden Skandale ihres Kandidaten überrascht sind, versuchen, das alles als eine mediale Hetzkampagne der Regierung Tusk unter Mithilfe des Inlandsgeheimdienstes darzustellen. Allerdings wehren sie sich anders als sonst bisher nicht auf dem Rechtsweg gegen die Vorwürfe.
Umfragen zufolge ist es bisher ohnehin so, dass die Anhänger Nawrockis sich mit ihrem Kandidaten umso kräftiger solidarisieren, je mehr Skandale ans Licht kommen. Es ist wie bei der auch von der PiS verehrten MAGA-Bewegung Donald Trumps: Es gibt so gut wie nichts, was Nawrocki schadet. Die amerikanische Regierung mischte sich zudem in den Wahlkampf ein. Heimatschutzministerin Kristi Noem forderte die Polen auf, für Nawrocki zu stimmen, weil die USA nur dann ihre militärische Unterstützung aufrechterhalten würden. Die Drohung hat Gewicht, da Polen, das mehrfach zwischen europäischen Staaten aufgeteilt oder von ihnen besetzt war, in den USA einen Garanten für die eigene Souveränität und Unabhängigkeit sieht.
Hat die PiS die Rechtsaußen-Stimmen sicher?
Für Trzaskowski, der sowohl für eine Anbindung an die USA als auch eine enge Zusammenarbeit in Europa plädiert, wird es nicht nur auf eine hohe Wahlbeteiligung, sondern auch darauf ankommen, Stimmen aus dem rechtskonservativen Lager zu bekommen. Eine Quelle könnten die Wähler von Sławomir Mentzen von der rechtsradikal-libertären Partei Konfederacja sein, der im ersten Wahlgang mit drei Millionen Stimmen Platz 3 erreicht hatte. Mentzen hatte Trzaskowski und Nawrocki zu Interviews auf seinem Youtube-Kanal eingeladen und ihnen acht Punkte zur Unterschrift vorgelegt. Darunter waren: die Verpflichtung, keine Steuern zu erhöhen, den Euro nicht einzuführen, keine Kompetenzen an die EU abzugeben, keine polnischen Soldaten in die Ukraine zu schicken und eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern.

Nawrocki unterzeichnete alles umstandslos, während Trzaskowski Mentzen nicht auf den Leim, dafür aber mit ihm ein Bier trinken ging, was für große Empörung im PiS-Lager sorgte, das Mentzens Stimmen fest für sich verbucht hatte. Mentzen jedoch hatte Nawrocki im Wahlkampf wegen dessen Vergangenheit scharf attackiert und erklärte, die Entscheidung seinen Wählern zu überlassen. Darunter sind zahlreiche Mittelständler und Handwerker, die von der Freizügigkeit in der EU profitieren und mit dem isolationistischen Kurs Nawrockis nichts anfangen können.
Regierungschef Tusk versuchte am Freitag noch mit einer Spitze gegen Deutschland, Wähler zu gewinnen. „Beim Namen Trzaskowski werden sich die Deutschen die Zunge brechen“, erklärte er auf der Plattform X. „Für jeden wahren Patrioten liegt die Wahl also auf der Hand.“ Mentzen griff das sofort auf. Das stimme schon, antwortete er. „Andererseits stellt sich die Frage, welcher der Kandidaten Deutschland eher die Zähne ausschlagen würde.“