Wegwerfgesellschaft und Lieferkettengesetz: Mode ist kein Müll

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Wer etwas Neues zum Anziehen kauft, redet sich oft ein, er werde das Stück ewig tragen. Ist es teuer, kommt vielleicht noch der Gedanke hinzu, es später zu vererben. Auch die Industrie wirbt mit diesem Versprechen. „Langlebigkeit“ lautet das Marketing-Stichwort dazu, es ist fast so gängig wie „Nachhaltigkeit“. In einem Werbeclip wird zum Beispiel eine Jeans von einem Träger zum nächsten gereicht. Die Jeans ist mit der Zeit immer abgetragener, dafür wird sie – so legt es die Werbung nahe – immer besser.

Die Realität sieht anders aus. Viele Kleidungstücke halten häufig nicht lange durch, unabhängig davon, ob sie teuer oder günstig waren. Bei der Tasche reißt ein Riemen ab, beim Mantel löst sich eine Naht, die Jeans scheuert durch. Solche Schäden lassen sich reparieren. Das sieht auch die Politik so. Im Koalitionsvertrag ist vom „Grundsatz Reparieren statt Wegwerfen“ die Rede. Auch der Green Deal der EU-Kommission sieht ein „Recht auf Reparatur“ vor. Die Reparatur soll wieder selbstverständlicher zum Lebenslauf eines Produkts gehören. Hersteller von Staubsaugern oder Smartphones müssen sie künftig noch Jahre nach dem Kauf anbieten. Schon jetzt nehmen sich Ehrenamtliche in mehr als 1000 Repaircafés hierzulande technischer Defekte an.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Aber eine Winterjacke ist keine Kaffeemaschine. Wer mit kaputtem Reißverschluss zu einer guten Schneiderin geht, ist – dort, wo das Leben teuer ist und die Löhne zurecht mithalten müssen – schnell 100 Euro los. Wer Lederstiefel beim Schuster abgibt, schluckt wahrscheinlich ebenfalls. Eine Reparatur kostet heute fast so viel wie ein Neukauf. Und manchmal scheitert es schon daran, einen Schuster oder eine Schneiderin zu finden.

Denn die Industrie predigt Langlebigkeit, aber liefert Wegwerfmode. Die Abschaffung des Lieferkettengesetzes, wie von Bundeskanzler Merz gefordert, würde deshalb am meisten die Hersteller von Billigwaren freuen. Mit ihren günstigen Produkten sorgen sie außerdem dafür, dass handwerkliche Fähigkeiten verkümmern. Wer besitzt noch eine Nähmaschine? Wer stopft seine Socken? Nur noch wenige Menschen. Kein Wunder, ist doch der Durchschnittspreis von Socken seit den Neunzigerjahren allenfalls konstant geblieben. Die Schale Erdbeeren kratzt derweil an der Sechs-Euro-Marke. Das passt – Kleider aus minderwertigen Materialien halten manchmal kaum länger als frische Beeren.

Mode ist zum Verbrauchsgut geworden

Dabei haben die Billigunternehmen unserer Zeit das Wegwerfen gewiss nicht erfunden. Heute schockieren die 400.000 Päckchen von Shein und Temu, die jeden Tag in Deutschland landen. Vor 15 Jahren waren es die vollgepackten Primark-Tüten: Bei Starkregen kam es vor, dass sie durchweichten und die Kleider auf die Straße fielen – ihre Besitzer liefen weiter. Vor mehr als einem halben Jahrhundert waren es Kleider aus Papier, die Urmodelle der Fast Fashion. Die Kernzielgruppe damals wie heute: junge Menschen. Jede Jugendgeneration hat eben ihre eigene Wegwerfmode.

Doch auch für zu viele Erwachsene ist Mode zum schnellen Verbrauchsgut geworden. Obwohl klar ist, dass die Industrie zu den größten Treibern des Klimawandels gehört. Kürzlich meldete die Europäische Umweltagentur einen Rekordkonsum: 19 Kilogramm Textilien waren es demnach pro Person im Jahr 2022, darunter acht Kilogramm Bekleidung und vier Kilogramm Schuhe. Die Kosten für Lebensnotwendiges in Folge des Kriegs in der Ukraine waren damals gestiegen. Man sprach übers Sparen, etwa beim Heizen. Mode aber ist so billig, dass hier kaum jemand verzichtete.

Weil die Wenigsten Platz für kiloweise neue Klamotten haben, muss auch das raus, was gar nicht kaputt ist – manches wurde gar nicht getragen. So ist Ausmisten eine Art Volkssport geworden, samt Trainer-Stab. Aufräumexpertinnen erklären, wie man sich effektiv von seinem Besitz trennt. Auch der Wiederverkauf über Plattformen wie Vinted ist nur ein weiterer Ausdruck des Drangs, Dinge loszuwerden, die man zuvor unbedingt haben musste. Von wegen Erbstück.

DSGVO Platzhalter

Irgendwann landet das Stück doch im Altkleidercontainer. Mit Blick auf die Mengen sind wir Deutschen Europameister. Das zeigt, dass viele auf Zweitverwertung hoffen. Ansonsten könnten sie kaputte Stücke in den Restmüll geben, wo sie hingehören. Stattdessen bestehen die Alttextilsammlungen laut Experten zu 30 Prozent aus solchen definitiv unbrauchbaren Teilen.

Da sendet die EU-Kommission mit der erweiterten Herstellerverantwortung ein richtiges Signal. Textilhersteller müssen demnach für Sammlung und Recycling von weggeworfener Kleidung Gebühren bezahlen. Und zwar nach dem Prinzip der „Öko-Modulation“. Das heißt, wer ressourcenschonend und nachhaltig produziert, zahlt weniger. Das Problem ist damit sicher nicht gelöst, aber die Botschaft ist klar: Mode ist kein Müll.