Der bizarre Streit um Swatch

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An der Außenfassade von Nick Hayeks Büro hängt eine Piratenflagge. Dahinter verbirgt sich der Aufruf, Regeln zu brechen, um so etwas Neues zu schaffen. Der eigensinnige Anführer und Großaktionär der Schweizer Uhrengruppe Swatch bricht selbst regelmäßig die Regeln – vor allem im Umgang mit Aktionären, Analysten und Journalisten. Das jüngste Beispiel hierfür war die Generalversammlung am 21. Mai. Zu dem nur virtuell abgehaltenen Aktionärstreffen erhielten Journalisten keinen Zugang. Der Grund für den Ausschluss der Presse, einen wohl einmaligen Vorgang unter den börsennotierten Schweizer Unternehmen, liegt auf der Hand: Hayek wollte nicht, dass über die Versammlung berichtet wird.

Denn in dem Treffen stellte sich ein Mann zur Wahl in den Verwaltungsrat, den Hayek dort partout nicht haben will. Er heißt Steven Wood und ist Gründer der New Yorker Anlagegesellschaft Greenwood Investors , die nach eigenen Angaben 0,5 Prozent der Swatch-Aktien gekauft hat. Wood erkennt erhebliches Wertsteigerungspotential in der Aktie, das frische Impulse eines neuen, von außen kommenden Verwaltungsratsmitglieds seiner Ansicht nach heben könnten. Der Amerikaner betont, kein sogenannter aktivistischer Investor zu sein, der die Gruppe zerschlagen wolle. Er komme in friedlicher Absicht, gab er zu Protokoll.

Das jedoch scheint Hayek nicht zu interessieren. Der 70 Jahre alte Patron gilt als Enfant Terrible der Schweizer Industrie. Er übernahm 2003 die Führung der Swatch-Gruppe von seinem Vater Nicolas G. Hayek, der als Retter der Schweizer Uhrenindustrie in die Geschichte eingegangen ist. Ende der Siebzigerjahre drohten günstige Quarzuhren aus Asien den mechanischen Chronometern „made in Switzerland“ den Rang abzulaufen. Mit Hilfe der Banken vereinte Hayek Senior von der Insolvenz bedrohte Anbieter unter einem Dach, kaufte bedeutende Marken hinzu und brachte die Plastikuhr Swatch auf den Markt, einen globalen Bestseller. Zu den heute 16 Marken der Gruppe zählen Omega, Blancpain, Breguet, Glashütte Original, Harry Winston, Tissot, Rado, Longines, Mido und eben Swatch. Der Konzern betreibt gut 150 Produktionsstätten in der Schweiz, beschäftigt 32.000 Mitarbeiter in aller Welt und erzielte 2024 einen Umsatz von 6,7 Milliarden Franken.

Gewinn um 75 Prozent gesunken

Die einstige Position als größter Uhrenkonzern der Welt hat Swatch unter Nick Hayeks Ägide allerdings verloren. Seit 2014 ist der Umsatz um mehr als ein Viertel gefallen. Auch mit den Ergebnissen ging es bergab. Besonders schlecht lief es im vergangenen Jahr: Der Nettogewinn brach um 75 Prozent auf 219 Millionen Franken ein. Ein Grund dafür war die starke Ausrichtung auf China und Hongkong. Die konjunkturbedingt stark gedämpfte Konsumlaune ließ die Verkäufe in dieser Region stark absacken. Der schwache Geschäftsgang spiegelt sich im Swatch-Aktienkurs, der sich binnen zwei Jahren auf 134 Franken halbiert hat.

Auf kritische Fragen von Analysten und Investoren zum Margenverfall und zu den gewaltigen Lagerbeständen reagiert Hayek zuweilen unwirsch. Er wirft den Kritikern vor, nur kurzfristig zu denken, während er den langfristigen Erfolg des Unternehmens im Auge habe. Anfang vergangenen Jahres eskalierte eine Analystenkonferenz. Als ein Fondsmanager die Frustration der Aktionäre über die Kursentwicklung zum Ausdruck brachte, entgegnete Hayek gereizt: „Wer als Investor frustriert ist, kann woanders hingehen.“ Und: „Ich bin Unternehmer, nicht Investor.“ Insofern passt es ins Bild, dass sich Hayek nun auch gegen den Investor Steven Wood wehrt.

Wood legt den Finger in die Wunde

Wood sieht in der Unterbewertung der Swatch-Gruppe, die bei der Hälfte ihres Buchwertes notiert, eine riesige Chance, wie er im Gespräch mit der F.A.Z. sagt. Der Amerikaner ist davon überzeugt, dass die Luxusmarken der Gruppe viel mehr aus ihrem Potential machen könnten. Dies gelte insbesondere für die Marke Breguet, die in diesem Jahr ihr 250-jähriges Jubiläum feiert und einst das Tourbillon erfunden hat. Jean-Philippe Bertschy, Branchenanalyst bei der Bank Vontobel, stimmt dieser Einschätzung zu: „Breguet ist in den vergangenen 15 Jahren kaum gewachsen und kommt heute vielleicht auf einen Umsatz von knapp 250 Millionen Franken.“ In der gleichen Zeit habe sich der Umsatz der rivalisierenden Genfer Uhrenmarke Patek Philippe auf mehr als zwei Milliarden Franken vervielfacht.

Bertschy findet es gut, dass Steven Wood vernehmbar den Finger in die Wunde legt: „Dank seines Engagements wird jetzt breiter über die Missstände in der Swatch-Gruppe diskutiert. Einige Uhrenmarken haben signifikante Marktanteile verloren. Wichtige Trends wurden nicht erkannt oder verschlafen.“ Der Analyst führt den kontinuierlichen Geschäftserfolg von Rolex als Beleg dafür an, dass eine vergleichbare Luxusmarke wie Omega hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben ist. „Rolex produziert 1,2 Millionen Uhren im Jahr und damit doppelt so viel wie Omega.“ Die einer Stiftung gehörende Rolex SA dürfte Schätzungen zufolge auf einen Jahresumsatz von mehr als zehn Milliarden Franken kommen und damit die gesamte Swatch-Gruppe deutlich überholt haben.

Bei Swatch gibt es zwei Aktiengattungen: Inhaber- und Namensaktien. Über die Namensaktien vereint die Familie Hayek rund 44 Prozent der Stimmrechte auf sich, obwohl sie nur 25 Prozent des Kapitals besitzt. In der jüngsten Hauptversammlung kandidierte Wood als Vertreter der Inhaberaktionäre für die Wahl in den Verwaltungsrat: Von den Besitzern dieser Anteilsscheine bekam er 61,9 Prozent Ja-Stimmen. Doch die Hayeks erkannten diesen Erfolg nicht an. Sie führten an, dass der zur Wiederwahl vorgeschlagene ehemalige Nationalbankchef Jean-Pierre Roth mit mehr Stimmen als Wood in den Verwaltungsrat gewählt worden und damit allein als Vertreter der Inhaberaktionäre legitimiert sei.

Swatch verstößt bei der Wahl gegen Schweizer Aktienrecht

Allerdings gab es keinen Tagesordnungspunkt, der klar zum Ausdruck brachte, dass es um ein Votum „Wood gegen Roth“ ging. Mit diesem Vorgehen hat Swatch nach Einschätzung von Juristen gegen das Schweizer Aktienrecht verstoßen. Daher erwägt Wood nun, eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen, um die Wahl zu wiederholen. Den dafür nötigen Stimmenanteil von mindestens fünf Prozent habe er dank zahlreicher gleichgesinnter Aktionäre hinter sich, sagte Wood der F.A.Z.

Für Stirnrunzeln sorgt unter Rechtsexperten auch, dass die Familie Hayek mit ihren Namensaktien in einem Aufwasch ebenfalls über Woods Wahl als Vertreter der Inhaberaktionäre abstimmte und diese so mit insgesamt 79,2 Prozent Nein-Stimmen abschmetterte. Dabei beruft sich das Unternehmen auf eine frühere Bundesgerichtsentscheidung, nach der die Generalversammlung das Recht habe, einen Kandidaten für den Verwaltungsrat „aus wichtigen Gründen“ abzulehnen.

Die Gründe für die Ablehnung Woods hatte Swatch schon in der Tagesordnung zur Aktionärsversammlung veröffentlicht: Der Amerikaner verfüge über keinen offensichtlichen Bezug zur Schweiz und zur schweizerischen Industrie. Die Swatch Group trage mit Stolz das Schweizer Kreuz in ihrem Logo. „Es ist ihr wichtig, dass ihre Verwaltungsräte Schweizer Staatsbürger sind oder ihren Lebensmittelpunkt in der Schweiz haben.“ Zudem lehne der Verwaltungsrat aus Reputationsgründen die Wahl einer Person ab, die in einem internationalen Rüstungskonzern engagiert sei. Wood sitzt im Aufsichtsrat der italienischen Rüstungsgruppe Leonardo.

Familie Hayek dominiert Verwaltungsrat: Aktionäre verlieren die Geduld

Der Vontobel-Analyst Bertschy hat keinerlei Verständnis für diese Haltung: „Swatch lebt vom Verkauf im Ausland. Daher braucht es Diversität und Internationalität im Verwaltungsrat.“ Aktuell sitzen in dem sieben Mitglieder zählenden Gremium drei Vertreter der Familie Hayek: Nayla Hayek als Präsidentin sowie ihr Sohn Marc und ihr Bruder Nick Hayek. Auch Daniela Aeschlimann, Tochter des früheren Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amann, ist über gepoolte Aktienanteile dem Einflussbereich der Familie zuzuordnen. Seit ewigen Zeiten gehören überdies der 78 Jahre alte Lindt-Patron Ernst Tanner und der 80 Jahre alte ehemalige Astronaut Claude Nicollier dem Verwaltungsrat an.

Dass der Verwaltungsrat stark überaltert ist und klar von den Hayeks dominiert wird, kommt am Kapitalmarkt nicht gut an, wie Bertschy betont: „Die schlechte Corporate Governance ist uns Analysten schon lange ein Dorn im Auge.“ Auch die Inhaberaktionäre sind unzufrieden mit der Führung des Konzerns: Beim Beschluss zur Entlastung von Vorstand und Verwaltungsrat gab es in der jüngsten Hauptversammlung nur 55,7 Prozent Ja-Stimmen. „Das zeigt, wie stark die Akzeptanz und das Vertrauen der Aktionäre schon gesunken sind“, sagt Bertschy. Der Analyst wünscht sich einen Wechsel an der Spitze des Unternehmens: „Die operative Führung sollte ein familienfremder Branchenprofi übernehmen, wie es zum Beispiel bei Richemont der Fall ist.“

Beim Genfer Luxusgüterkonzern Richemont hat sich der Großaktionär Johann Rupert auf die Rolle als Verwaltungsratspräsident zurückgezogen und die operative Führung in die Hände familienfremder Manager gelegt. Nick Hayek indes macht keinerlei Anstalten, die Kommandobrücke am Hauptsitz des Konzerns in Biel zu verlassen. „Solange es Spaß macht, sehe ich keinen Grund aufzuhören“, sagte er vor zwei Monaten in der „NZZ“. In dem Interview deutete Hayek an, dass sein Neffe Marc eines Tages die Führung übernehmen könnte, so er dies denn überhaupt wolle.

Angesichts der Abneigung gegenüber dem „Casino Börse“ (Nick Hayek) wäre es konsequent, wenn sich die Familie Swatch vollständig zu eigen machte und von der Börse nähme. Ein solcher Rückzug gefiele auch Nick Hayek gut, wie er mehrfach bekundet hat. Doch er schreckt davor zurück, weil die Familie zur Finanzierung eines milliardenschweren Abfindungsangebots eine Menge Schulden machen und vielleicht auch die eine oder andere Uhrenmarke verkaufen müsste.

Die Swatch-Gruppe wollte sich auf Anfrage nicht zu Steven Woods Strategiekritik äußern. In Sachen Corporate Governance halte man sich an die geltenden Gesetze.